Von der akademischen Vergangenheit eingeholt: Politikerinnen und Politiker mit Uni-Abschluss wie Zadić stehen im Visier von Plagiatsprüfern – doch nicht nur die Arbeiten, auch die Vorwürfe sind mitunter fragwürdig.
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Die Plagiatsverdächtigungen reißen nicht ab: Nach Familienministerin Susanne Raab geriet nun deren für Justiz zuständige Regierungskollegin Alma Zadić ins Gerede. Wie schon bei der ÖVP-Politikerin hat DER STANDARD auch im Fall der grünen Ressortchefin die Vorwürfe auf ihre Stichhaltigkeit hin abgeklopft.

Auslöser der Debatte ist diesmal nicht der als "Plagiatsjäger" bekannte Medienwissenschafter Stefan Weber. Eine andere Plagiatssucherin namens Katharina Renner – sie gab dem Online-Medium "Exxpress" ein Interview – hat sich der Arbeit angenommen, die Zadić 2017 auf Englisch zum Thema "Transitional Justice in Former Yugoslavia" eingereicht hatte. Das kursierende Prüfdokument weist 85 Passagen aus, in denen die heutige Juristin und Justizministerin fremdes Gedankengut nicht sauber als solches ausgewiesen habe.

Fehlende Gänsefüßchen

In der Mehrzahl der beanstandeten Textabschnitte geht es um folgenden Sachverhalt: Zadić hat Inhalte aus anderen Werken übernommen, diese ziemlich originalgetreu wiedergegeben, aber nicht mit Anführungszeichen als Aussagen anderer gekennzeichnet. Sehr wohl hat sie aber am Ende der jeweiligen Passage in aller Regel per Fußnote die entsprechende Quelle genannt.

Das ist ein entscheidender Unterschied zur Diplomarbeit von Susanne Raab: Die Familienministerin hatte Formulierungen augenscheinlich einfach übernommen, ohne das Originalwerk auszuweisen.

Vorwerfen kann man Zadić also nur, die Anführungszeichen unterschlagen zu haben. Doch die gesamten inkriminierten Passagen hätte die Autorin nicht unter Gänsefüßchen setzen können, zumal sie den Wortlaut in aller Regel doch verändert hat. Möglich wäre es aber gewesen, jene Satzteile auf diese Weise klar zu kennzeichnen, die nicht von der Doktorandin stammen.

Gesetz spricht gegen Plagiat

Sind die Textstellen in Zadićs Dissertation deshalb als Plagiat zu werten? Das Universitätsgesetz legt ein Nein nahe. Laut Paragraf 51 liegt dann ein Plagiat vor, wenn Inhalte "ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle" als eigene ausgegeben werden. Es müssen also beide Kriterien zutreffen – was in den genannten Beispielen nicht der Fall ist.

Für Zadić spricht auch Ingeborg Zerbes. Die angewandten Zitierregeln seien unter englischsprachigen Juristen gängige Praxis, sagte die Vizeleiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie, wo die Politikerin ihre Dissertation eingereicht hatte.

Das vorliegende Überprüfungsdokument birgt noch weitere Vorwürfe. So dürfte manche Fußnote falsche Seitenangaben enthalten. Außerdem soll Zadić Quellenverweise aus den von ihr gesichteten Werken direkt übernommen haben, sodass es den Anschein hat, als hätte sie selbst die Originale verwendet. Auf die Details kann hier nicht eingegangen werden, im Groben entsteht folgender Eindruck: Manche beanstandete Stellen deuten tatsächlich auf fehlerhaftes Zitieren hin, andere Vorwürfe hingegen wirken kleinlich bis konstruiert.

Schlampig oder sauber?

Was Zadić geleistet habe, sei kein schönes wissenschaftliches Arbeiten, sagt "Plagiatsjäger" Weber – schließlich solle es bei einer Dissertation darum gehen, Sachverhalte und Ideen in eigene Worte zu fassen, statt fremde Textbausteine umzustellen. Plagiate sehe er in den vom kursierenden Prüfdokument angeführten 85 Passagen jedoch keine.

Allerdings hat Weber in Zadićs Arbeit mittlerweile selbst vier Stellen gefunden, die er sehr wohl in die Kategorie Plagiat reiht. So greift die Autorin in der Conclusio auf einen Gedanken zurück, der sich nicht wortgleich, aber ähnlich in einem anderen Werk findet. Dieses zitiert Zadić zwar ausgiebig in ihrer Dissertation, jedoch nicht an dieser Stelle.

Wie schwer einzelne Verstöße, möglicherweise aus Schlamperei, auf 220 Seiten ins Gewicht fallen? Wegen vier Plagiatsstellen werde kein Titel aberkannt werden, sagt Weber, für gravierend halte er die Fehler dennoch: "Immerhin handelt es sich um die Justizministerin."

Ein paar kleine Ungenauigkeiten ließen sich nie ausschließen, urteilt hingegen Zadićs Doktorvater Frank Höpfel: Bei der heutigen Ministerin habe sich dies aber "völlig in Grenzen gehalten", die Arbeit sei "ordentlich gemacht". Die Uni könne stolz auf derartige Absolventinnen sein, sagt der emeritierte Strafrechtsprofessor und vermutet eine politisch motivierte Intrige: "Das Ganze ist an den Haaren herbeigezogen."

Ähnlich die Reaktion aus Zadićs Büro: Die Vorwürfe seien "absolut unseriös und falsch". (Gerald John, 17.1.2022)