Beim Ski-Rennwochenende vor einer Woche in Adelboden freuten sich tausende Zuseher über die Wettkämpfe.

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Fast 20.000 Zuschauer sahen am Samstag entlang der legendären Lauberhorn-Piste, wie der Österreicher Vincent Kriechmayr dem Einheimischen Beat Feuz den erhofften Sieg wegschnappte. Auch an den anderen Renntagen in Adelboden und in Wengen waren Zehntausende im Berner Oberland live dabei. Bei diesem Anblick wurde es sogar der Tageszeitung Der Bund unwohl: "In der beliebten Fanzone beim Hundschopf herrscht nicht nur Partystimmung, sondern auch Dichtestress. Kaum jemand trägt hier eine Maske. Wieder einmal scheint Corona weit weg", schrieb das Blatt unter dem Titel "Viel Sonnenschein, wenig Maskenträger".

Und der Kommentator des Tages-Anzeigers schrieb über die Nächte von Wengen, "als im Dorf Tausende feiern und zu wummernden Bässen tanzen, als seien Coronavirus, Omikron und Fallzahlen weit weg. Das Argument, dass das Fest unter freiem Himmel stieg, kann bei so viel Menschen und Alkohol nicht gelten."

Die Schweizer Regierung hat Mitte Dezember zwar neue, aber relativ milde Maßnahmen angeordnet: Veranstaltungen im Freien mit mehr als 300 Zuschauern bleiben erlaubt, es gilt die 3G-Regel – nur Geimpfte, Genesene oder Getestete haben Zutritt. Bars und Discos bleiben für geimpfte und genesene Personen offen, die zusätzlich ein negatives Testresultat vorweisen können.

Viele Touristen kommen

Und auch auf den Schweizer Skipisten tummeln sich an schönen Wochenenden zehntausende Skifreunde. Die Restaurants sind offen, im Inneren kann allerdings nur nach der 2G-Regel, dafür draußen auf den Terrassen gar ohne Einschränkung und ohne Zertifikat konsumiert werden. Maskenpflicht gilt bloß in geschlossenen Seilbahngondeln, ansonsten steht dem Vergnügen nichts im Wege. Kein Wunder, dass auch viele Touristen aus dem benachbarten Ausland in die Schweizer Skigebiete strömen.

Eine Umfrage von Schweiz Tourismus hat gezeigt, dass seit Neujahr bis zu fünfmal mehr Gäste aus dem nahen Ausland in die Schweizer Skigebiete gekommen sind. "Sie haben vielfach erklärt, dass die weniger hohen Einschränkungen für Covid-19 der Grund für ihre Ausflüge in die Schweiz gewesen seien", sagte der Sprecher von Schweiz Tourismus im Sender SRF.

Das freut die Wirte und die Wirtschaft – der Tourismus trägt in der Schweiz ähnlich viel zum Wohlstand bei wie in Österreich. Die Schweiz ist fast seit Beginn der Pandemie einen eher liberalen Kurs gefahren: Zwar gab es auch einen Lockdown in der ersten Welle von März bis Mai 2020 mit Schulschließungen und weitgehenden Wirtschaftseinschränkungen. Seither aber hat die Regierung meist mildere Maßnahmen angeordnet als in den Nachbarländern. Eine Impfpflicht wurde nicht verhängt, und auch der soziale Druck auf Ungeimpfte ist vergleichsweise klein. So ist denn noch immer ein Drittel der Bevölkerung überhaupt nicht geimpft.

In Österreich dagegen sind die Regeln in vielen Bereichen strikter: So gilt für die Gastronomie ab 22 Uhr eine Sperrstunde, Discos und Klubs sind zu. Dazu kommt, dass in Restaurants, zum Friseur oder ins Modegeschäft aktuell nur Genesene und Geimpfte dürfen. Seit Mitte November gilt zudem ein Lockdown für Ungeimpfte. Und beim Rennwochenende in Kitzbühel gilt: Maximal 1.000 Fans sind zugelassen.

Protest läuft ins Leere

Und wie hitzig werden die Maßnahmen in der Schweiz diskutiert? Die grotesken Auftritte der selbsternannten "Freiheitstrychler", die im vergangenen Herbst immer wieder mit Glockengeläut durch die Straßen zogen und vor einer "Diktatur" warnten, laufen offensichtlich ins Leere: Wie kaum ein anderes Land hat die Schweiz versucht, die Freiheiten der Bürger und der Wirtschaft zu erhalten. Zwar hat die Regierung jüngst wieder eine Homeoffice-Pflicht angeordnet für alle Angestellten, bei denen dies möglich ist. Aber ansonsten laufen Unternehmen, Handel und Gastronomie fast uneingeschränkt weiter.

Interessanterweise scheint die Zahl der Corona-Todesopfer kaum mit strengeren oder lockereren Maßnahmen zu korrelieren: Mit gut 12.000 Todesfällen durch die Pandemie liegt die Schweiz, bei einer Einwohnerzahl von rund 8,7 Millionen, leicht unter den Todeszahlen Österreichs (13.500), und auch das liberale Schweden hat mit 15.000 Todesopfern bei rund zehn Millionen Einwohnern einen ähnlichen Corona-Tribut zahlen müssen.

Zahlen der Industrieorganisation OECD zeigen, dass die Schweiz 2020 einen moderateren Wirtschaftseinbruch erlebte als Österreich. In der Schweiz wird das Vorkrisenniveau bei der Wirtschaftsleistung heuer etwas früher erreicht werden als in Österreich. (Klaus Bonanomi aus Bern, 18.1.2022)