Die Sicherheitsbehörden von Machthaber Ramsan Kadyrow sollen Angehörige von im Exil Lebenden verschleppt haben.

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Grosny/Wien – Vertreter der tschetschenischen Diaspora in Europa beklagen in Gesprächen mit der APA eine neue Welle brutaler Repressionen in ihrer Heimat. Betroffen sind dieses Mal insbesondere Angehörige von im Exil lebenden Anhängern einer Eigenstaatlichkeit der russischen Teilrepublik. Das Regime von Machthaber Ramsan Kadyrow möchte die Aktivisten zum Verstummen bringen. Als Antwort auf die aktuelle Zuspitzung rufen tschetschenische Aktivisten in Wien für Dienstagabend zu einer Demonstration auf.

Konkret ist davon die Rede, dass in den letzten Wochen Angehörige von im Ausland lebenden Aktivisten von Kadyrow'schen Sicherheitsbehörden entführt und teils wochenlang festgehalten wurden. Zudem soll zahlreichen Personen gedroht worden sein, dass sie in der allernächsten Zeit aus ihrer tschetschenischen Heimat "deportiert" würden, so ihre im Exil lebenden Verwandten ihr politisches Engagement nicht zuvor einstellten.

Verschleppte Verwandte

"Das ist eine Kampagne, damit alle, die hier (in der Diaspora, Anm.) etwas zu sagen haben, in Zukunft schweigen", kommentierte am Montag ein tschetschenischer Exilpolitiker, dessen Namen die APA aus Sicherheitsgründen nicht nennt. Seine Familie sei selbst von den aktuellen Ereignissen nicht betroffen, betonte er und nannte die Namen einiger Aktivisten der tschetschenischen Diaspora unter anderem in Österreich, deren politisch unauffällige Familienmitglieder in der Heimat derzeit litten.

Einer der wenigen Tschetschenen im Ausland, die offen über die dramatische Situation ihrer Angehörigen sprechen, ist der bekannte Videoblogger Tumso Abdurachmanow. Nachdem sie am 22. Dezember verschwunden seien, seien eine Cousine und ihr Sohn erst am Montagabend wieder nach Hause gekommen, erklärte er. Seine kurz zuvor freigelassene Schwiegermutter und Schwägerin seien außerhalb Tschetscheniens, in der russischen Stadt Astrachan, verschleppt worden. Dortige Polizisten hätten sie an Vertreter des Kadyrow-Regimes übergeben, schilderte er am Montag in einem Telefonat mit der APA.

Deportationen aus der Heimat

Gegen ihn konkret habe es in diesem Zusammenhang nur eine schriftliche Drohung gegeben, die Recherchen der Investigativplattform "Bellingcat" mit einer Polizeispezialeinheit von Kadyrow in Verbindung gebracht hätten, sagte Abdurachmanow. Informell sei er aber aufgefordert worden, seinen Youtube-Kanal zu löschen und kritische Aussagen über Achmat Kadyrow, den 2004 bei einem Terroranschlag getöteten Vater des aktuellen Potentaten Ramsan, in Hinkunft zu unterlassen.

Ein in Österreich lebender Gesprächspartner der APA, dessen Name aus Sicherheitsgründen ebenso nicht genannt wird, sprach am Montag indes davon, dass teils weitschichtigen Verwandten in Tschetschenien die "Deportation" aus der Heimat drohe. Es sei ihnen nicht einmal möglich, zuvor Immobilienbesitz in Tschetschenien zu verkaufen, da Käufer vom Regime ebenso zu Feinden erklärt werden würden.

Kundgebung am Dienstag

An der für Dienstagabend in Wien angekündigten "Kundgebung gegen Repressionen in Tschetschenien" werde er jedenfalls nicht teilnehmen, betonte der Tschetschene: "Würde ich auf diese Demo gehen, hätten meine Angehörigen noch mehr Probleme." Er erzählte, dass es im Zusammenhang mit der aktuellen Kampagne des Regimes in Grosny zuletzt auch zu Drohungen gegen ihn und in Österreich lebende Verwandte gekommen sei. Den österreichischen Verfassungsschutz habe er darüber bisher noch nicht informiert.

"Wir dürfen nicht zulassen, dass in Tschetschenien systematisch Menschen verschwinden und die Welt dazu schweigt", informierte am Dienstagvormittag Aktivistin Rosa Dunajewa in einer Aussendung zur angekündigten Demonstration. Angesichts der Tatsache, dass es in Österreich keine Sicherheit vor politischer Verfolgung durch das Kadyrow-Regime gebe, sei auch hier mehr Aufmerksamkeit für die systematischen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nötig – und tschetschenische Oppositionelle müssten geschützt werden, erklärte sie.

Abschiebestopp nach Russland gefordert

Kübra Atasoy von der NGO Asyl in Not forderte zudem, dass Abschiebungen nach Russland gestoppt werden müssten. Sie verwies auf den Fall des ehemaligen Asylwerbers Chassan Tamajew, der nach seiner Abschiebung in Russland entführt und spurlos verschwunden sei.

Parallel zum Vorgehen gegen die Angehörigen von Aktivisten, die für eine Loslösung von Russland und tschetschenische Eigenstaatlichkeit eintreten, gingen Kadyrow-Behörden in den letzten Tagen auch noch gegen ein einschlägiges Symbol vor. Laut zahlreichen Medienberichten laufen seit vergangener Woche in ganz Tschetschenien Razzien, bei denen nach Wolfsdarstellungen gesucht wird. Der Wolf war das Wappentier der Tschetschenischen Republik Itschkerien, einer de facto von Russland unabhängigen, international jedoch nicht anerkannten Republik, die zwischen 1991 und der russischen Rückeroberung des Gebiets im Jahr 1999 existierte. (APA, 18.1.2022)