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Vater, Mutter, Kind: Das ist eine mögliche Konstellation, die sich beim Co-Parenting ergibt. Manches Mal sind aber noch mehr Eltern und Kinder involviert. (Symbolbild)

Foto: Getty Images

Wer ihn selbst schon verspürt hat, weiß, wie intensiv und drängend ein Kinderwunsch sein kann. Noch dazu, wenn da gerade niemand ist, mit dem man ihn verwirklichen kann. Auch Christine Wagner hat das so erlebt. Sie war Anfang 30 und in einer Beziehung mit einer Frau. Ihre Partnerin wünschte sich ebenfalls ein Kind, erzählt die Ärztin in Berlin. Also beschlossen die beiden, einen Vater für das Kind zu suchen. "Wir wollten einen echten Vater" – also einen, der im Leben des Kindes eine Rolle spielt und sich kümmert. Im Internet stießen sie allerdings nur auf Seiten, die Samenspenden offerieren. "Das war nicht das Richtige für uns."

Also gründeten die Frauen 2011 ihre eigene Plattform, familyship.org. Das Angebot richtet sich an Menschen, die sich ein Kind wünschen, aber noch einen anderen Elternteil dafür suchen. Die Frauen sahen darin eine Nische, merkten, dass Bedarf gegeben war. Über die Plattform fanden sie schließlich auch den geeigneten Mann für ihr Vorhaben: Gianni Bettucci, einen schwulen Theatermanager, sympathisch und "etwas verpeilt". "Wir haben uns in einem Café getroffen und gemerkt: Er steht voll im Leben, auch wenn er seine Schlüssel vergisst, und gespürt, dass das sicher ein lustiger Papa wird", erinnert sich Wagner.

Obwohl die Beziehung mit ihrer Partnerin in die Brüche ging, blieb ihr Kinderwunsch – von Bettucci bekam sie Milla, die mittlerweile acht Jahre alt ist. Gemeinsam ziehen sie das Mädchen groß. Sie hatten nie miteinander Sex und empfanden nie romantische Gefühle füreinander, wohnen nicht zusammen, aber tragen gemeinsam die Verantwortung für das Kind.

Co-Parenting heißt diese Familienform, die der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky sogar als Trend bezeichnet. Menschen verspürten heutzutage immer später einen Kinderwunsch, erklärte er in einem Interview. Zwischen 20 und 30 würden sich viele erst einmal selbst verwirklichen wollen, mit 40 sehnten sie sich dann doch nach einem Kind. Wer dann nicht das Glück habe, in einer Beziehung zu sein, suche vielleicht im Internet nach einem Partner für das Kind. Weil sich irgendwann das Gefühl einstelle, dass die Zeit knapp wird.

Chancen und Fallstricke

Wagner und Bettucci kümmern sich zu gleichen Teilen um Milla. Eine Woche ist sie bei ihm, eine Woche bei ihr. Zeitweise haben sie auch in nebeneinanderliegenden Wohnungen mit Verbindungstür gewohnt und sind zusammen auf Urlaub gefahren. Vor allem schätzen sie an der Co-Elternschaft aber, dass sie mehr Exklusivzeit mit dem Kind bedeute. Welche Chancen, aber auch welche Fallstricke das Konzept mit sich bringt, beschäftigt die deutsche Soziologin Christine Wimbauer. Ihre Erkenntnisse hat sie in Buchform zusammengefasst.

Das Positive zuerst: Co-Parenting erlaube mehr Menschen, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, nicht mehr nur heterosexuellen Frauen und Männern in einer Beziehung. Wer sich für eine Co-Elternschaft entscheide, tue das meist aus vollster Überzeugung – und nicht, um dem Partner einen Gefallen zu tun oder weil es einfach so passiert. "Zufällig" komme es kaum dazu, schreibt die Forscherin. Die Liebe zum Kind sei in diesen Familien groß und bilde deren Fundament. Weil die Eltern nicht ineinander verliebt sind, seien auch Enttäuschungen unwahrscheinlicher. Denn wenn keine Gefühle da sind, könne auch niemand verletzt werden, so die Logik. Demnach verheddern sich Co-Eltern nicht so oft in klassischen Paarstreitigkeiten, sondern führen eine pragmatische oder freundschaftliche Beziehung.

Allerdings komme es auch da zu Konflikten, etwa bei Fragen wie: Wer geht wie lange arbeiten? Wer verdient mehr? Wer bezahlt was und wofür? Und obwohl die meisten Männer aktive Väter sein wollen, seien die Rollen auch beim Co-Parenting eher klassisch verteilt. So wie bei Wagner und Bettucci: "Als wir zusammengewohnt haben, hat Gianni unsere Tochter in den Kindergarten gebracht und abgeholt, ich habe die Wäsche gemacht und geputzt. Er war zwar auch in Karenz, aber nur zwei Monate, und da waren wir zusammen auf Reisen."

Schwierig kann es werden, wenn neue Partner dazukommen, die ebenfalls Ansprüche stellen. Im Gegensatz zur klassischen Familie haben Co-Eltern zudem weniger Vorbilder, deren Alltagsroutinen sie sich abschauen können. Es muss viel geredet und besprochen werden, viel organisiert, was manchmal nervenaufreibend sein kann. Anders als ein Paar, das lange zusammen ist, habe man auch noch keine Streitkultur entwickelt, sagt Wagner.

Ist das Konzept egoistisch?

Nicht alle finden neue Familienformen wie die Co-Elternschaft gut. Kritiker werfen den Frauen und Männern vor, egoistisch zu sein, sich einfach nur ein Bedürfnis erfüllen zu wollen. Dazu sagt die Psychologin Katharina Grünewald, die sich mit dem Thema auskennt und selbst im Patchwork lebt: "Ich rate immer dazu, den Kinderwunsch sehr ernst zu nehmen und achtsam zu prüfen, was ein Kind bedeutet." Ein Kind komme nicht auf die Welt, "um meine Erwartungen und Bedürfnisse zu erfüllen". Um diese müsse man sich schon selbst kümmern, sagte die Psychologin in einem Interview. Außerdem: Warum soll es egoistisch sein, wenn sich der Vater und die Mutter von Beginn an kennen?

Auch Wagner hält die Co-Elternschaft für einen "guten Weg", der für immer mehr Menschen infrage komme. Auf ihrer Seite würden sich zunehmend auch heterosexuelle Männer anmelden. Derzeit sind dort rund 7.000 Nutzerinnen und Nutzer aktiv. An sie hat Wagner einen Appell: "Man sollte Co-Parenting nicht als schnelle Lösung sehen und nur auf den nächsten Eisprung warten, weil man 43 ist. Das ist nicht gut. Man sollte schon wissen, mit wem man es zu tun hat." Wichtig sei, einander gut kennenzulernen, um zu wissen, ob es passt und ob man ähnliche Vorstellungen hat. Denn wie bei anderen Familien gilt, dass die Eltern ein gutes Team sein sollten. (Lisa Breit, 19.1.2022)