1914/15 ließ der Fabrikant Ernst Marlier die Villa am Wannsee im Berliner Stadtteil Zehlendorf errichten. Seit 1992 befindet sich in dem Gebäude eine Gedenk- und Bildungsstätte.

Foto: Ullstein – Will / Ullstein Bild

Der Blick aus dem Büro von Deborah Hartmann ist schön und friedlich. Still ruht der Berliner Wannsee, einige Schwäne ziehen vorbei. Man vergisst kurz, dass die Politikwissenschafterin aus Wien eigentlich an einem schrecklichen historischen Ort – im Haus der Wannseekonferenz – ihren Arbeitsplatz hat.

"Ich erinnere mich an meinen ersten Arbeitstag", sagt Hartmann, die die Gedenkstätte seit dem 1. Dezember 2020 leitet. Sie kam an, und im Park der berühmten Villa standen "SS-Leute". Es war "surreal und gruselig", meint Hartmann – auch wenn die Männer Kostüme trugen.

Neuer Film

Damals drehte das ZDF die Außenszenen für den Film Wannseekonferenz mit dem österreichischen Schauspieler Philipp Hochmair. Er wird am 24. Jänner anlässlich des 80. Jahrestages der "Wannseekonferenz" gezeigt.

Im Jänner 1942 trafen sich auf Einladung des Chefs der berüchtigten Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, 15 hochrangige NS-Politiker zu einer Besprechung der "Endlösung der Judenfrage". So wird der einzige Tagesordnungspunkt im damaligen Protokoll, erstellt von Adolf Eichmann, bezeichnet.

30 Abschriften wurden gefertigt, eine hat die Kriegswirren überstanden. Das Dokument befindet sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, ein Faksimile ist natürlich im Haus der Wannseekonferenz zu sehen.

"Natürliche Verminderung"

Darin kann man lesen, dass "nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung" von mehr als elf Millionen europäischen Juden "nach dem Osten" geplant war. "In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter" sollten die "arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt" werden, "wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen" werde. Der "allfällig endlich verbleibende Restbestand" sollte "entsprechend behandelt" werden.

Historiker sind sich einig, dass bei der Wannseekonferenz nicht die Judenvernichtung beschlossen wurde. Diese war 1941 schon im Gange. Vielmehr ging es um die effiziente Organisation der systematischen Vernichtung.

Für Deborah Hartmann, die zuvor in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem die deutschsprachige Abteilung der International School for Holocaust Studies geleitet hat, ist die alte Fabrikantenvilla am Wannsee viel mehr als ein Haus, das man auf diesen einen Tag der Konferenz reduzieren sollte.

"Interessant ist vor allem, was lange Zeit mit dieser Villa nicht passiert ist", sagt sie. Der Bezirk Neukölln nutzte es lange als Schullandheim. Erst 1992 wurde die Gedenkstätte eröffnet. Hartmann: "Man wollte sich jahrzehntelang eben nicht mit dem Geschehen auseinandersetzen."

Doku-Archiv fehlt in Wien

Immerhin aber sei das Haus nun seit 30 Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich. Hartmann will mit ihrem 29-köpfigen Team nicht nur historische Rückschau betreiben, sondern "eine Verbindung zur Gegenwart herstellen", etwa zum erstarkenden Antisemitismus.

Sie findet, dass die Deutschen einerseits zwar mehr Aufarbeitung als die Österreicher betreiben. Denn: "In Wien fehlt ein Dokumentationsarchiv, das sich mit österreichischer Beteiligung am Holocaust und österreichischer Täterschaft auseinandersetzt." Eine Idee, wo dieses errichtet werden könnte, hat sie: "Anstelle des Lueger-Denkmals in Wien."

Andererseits hat die 37-Jährige manchmal Sorge, dass auch manche Deutsche sich auf ihren Lorbeeren ausruhen könnten, nach dem Motto: "Jetzt muss es aber mal gut sein mit der Erinnerungsarbeit."

Das dürfe nicht sein, meint Hartmann, ist aber mit Blick auf die vielen Jugendlichen, die Jahr für Jahr in die Gedenkstätte kommen, zuversichtlich: "Sie sind wissbegierig und stellen Fragen – oft radikaler als ihre Eltern."

Todesanzeige

Wie lange das dröhnende Schweigen mancherorts andauerte, lässt sich an einer Todesanzeige ablesen, die im Haus der Wannseekonferenz gezeigt wird. Sie gilt dem Rechtsanwalt Gerhard Klopfer, der 1987 in Ulm starb.

Er war im Jänner 1942 einer der Teilnehmer der Wannseekonferenz – und damit an der "Endlösung" beteiligt. In der Todesanzeige seiner Familie heißt es, der Jurist sei verstorben "nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich (!) waren". (Birgit Baumann aus Berlin, 20.1.2022)