Abwechslungsreiche Ernährung und Bewegung machen einen gesunden Lebensstil aus, heißt es immer. "Aber der Schlaf wird dabei völlig außer Acht gelassen", sagt Ingo Fietze von der Berliner Charité. Dabei sei die Bettzeit mindestens genauso bedeutsam für das Wohlbefinden und die Gesundheit. Beispielsweise ist bekannt, dass die fehlende Nachtruhe wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass Schichtarbeiter etwas häufiger an Krebs erkranken. Die Betroffenen leben auf Dauer gegen ihre biologische Uhr.
Aber die Wohltat einer guten Nacht reicht noch viel weiter. Wie wir schlafen, beeinflusst, was wir essen und ob wir zunehmen. Das legt jedenfalls eine Reihe neuer Studien nahe. Etliche davon hat die Ernährungswissenschafterin Robin Tucker von der Michigan State University publiziert. Ihr fiel auf, dass Studierende über das erste Semester hinweg oft sichtbar dicker werden. Diesem Effekt wollte sie auf den Grund gehen.
Vier Kilo im ersten Semester
Dafür untersuchte sie 60 Studierende im Laufe ihres ersten Semesters. Tatsächlich brachten einige nach viereinhalb Monaten im Schnitt knapp vier Kilo mehr auf die Waage; andere legten moderater zu. Aber nur ein Drittel konnte das Gewicht halten. Die jungen Leute gaben jedoch an, nicht merklich anders gegessen zu haben. Vielmehr schlief die Gruppe, die am deutlichsten zunahm, am Semesterende fast eine Stunde weniger als die Gruppe, die ihre Figur halten konnte.
Offenbar legen einige Menschen in Abhängigkeit zur geringeren Schlafdauer zu. Tucker ging der Sache weiter auf den Grund. Sie rekrutierte 24 gesunde normalgewichtige Frauen, die gewöhnlich zwischen sieben und neun Stunden schlafen. Der einen Hälfte kappte sie die Nachtruhe um ein Drittel, was sie mit Elektroden auf der Kopfhaut überwachte. Die anderen durften wie gewohnt durchschlafen. Danach gab es Frühstück.
Verschobene Geschmacksvorlieben
Die Unausgeschlafenen waren am Morgen nicht nur müder, sondern auch hungriger als die Kontrollgruppe und hatten mehr Verlangen, etwas zu essen. Das ging so weit, dass sie in einem Aufgabentest mehr dafür taten, um mit Süßigkeiten belohnt zu werden. Sie aßen insgesamt mehr Schokolade zum Frühstück und luden sich noch zum Mittagessen eine größere Portion auf den Teller.
"Schlechter Schlaf lässt uns mehr essen und verschiebt unsere Geschmacksvorlieben", leitet Tucker daraus ab. Letzteren Effekt konnte sie in einem weiteren Experiment an 41 Probanden erhärten. Sie griffen nach einer verkürzten Nacht zu einem süßeren Getränk, wohingegen ihnen im ausgeschlafenen Zustand die weniger gesüßte Variante schmeckte. "Das kann über kurz oder lang dazu führen, dass Menschen zunehmen, wenn sie schlecht schlafen", sagt die Forscherin.
Verschiedene Esstypen
Jürgen König, Ernährungswissenschafter an der Universität Wien, relativiert die Effekte des Schlafs etwas. "Wir Menschen sind individuell sehr verschieden. Es gibt verschiedene Esstypen, etwa Menschen, die negative Gefühle mit mehr Essen kompensieren." Aufgrund dieser großen Unterschiede bräuchte man Studien mit sehr vielen Teilnehmern, um herauszufinden, was Schlafmangel wirklich bewirkt. Er vermutet, dass nicht jeder Mensch nach einer durchwachten Nacht mehr nascht.
In der Tat deuten auch Tuckers Arbeiten an, dass nicht alle Menschen über einen Kamm geschoren werden dürfen. In einer ihrer Arbeiten schlüsselte sie auf, dass es vor allem Langschläfer, die gewöhnlich mehr als sieben Stunden im Bett liegen, sind, die auf eine kürzere Nacht mit mehr Süßem reagieren. Im Übrigen bewegen diese sich dann auch weniger, wie ein Schrittzähler anzeigte.
Schlechter Schlaf und Body-Mass-Index
Menschen, die ohnedies kürzer als sieben Stunden schlafen, änderten ihre Geschmacksvorlieben dagegen nicht. Und auch verschiedene Esstypen sind auf schlechten Schlaf hin unterschiedlich anfällig für Übergewicht, legte eine groß angelegte Studie spanischer Forscher aus 2021 nahe. Sie umfasste 925 junge Menschen.
Schlechter Schlaf geht demnach bei zwei Esstypen mit einem höheren Body-Mass-Index einher. Zum einen sind es "emotionale Esser", die unter Stress schon mal mehrere Schokoriegel verdrücken, und zum anderen "zurückhaltende Esser", die sich bei Tisch ständig zügeln. Für beide Gruppen sei ausreichend Schlaf besonders wichtig.
Feste Bettgeh- und Aufstehzeiten
"Bisher wird in den Ernährungsberatungen etwa bei Diabetikern oder herzkranken Menschen nicht einmal nach dem Schlaf gefragt", sagt Tucker. "Dabei wäre es sehr wichtig, herauszufinden, was die Leute nachts machen." Sie hat nun ein Programm für einen besseren Schlaf entwickelt. Darin erklären Trainer bekannte Zusammenhänge, etwa dass sich der Schlaf verbessert, wenn man sich an feste Bettgeh- und Aufstehzeiten hält.
Für eine gute Nachtruhe kommt es auch darauf an, wann man abends isst. Was auf dem Teller liegt, ist dagegen nicht so wichtig. "Wenn überhaupt, könnte man tryptophanhaltige Lebensmittel wie Milch, Huhn oder Nüsse zum Abendessen bevorzugen", sagt der Ernährungswissenschafter Martin Schiller. Die Aminosäure Tryptophan passiert die Blut-Hirn-Schranke und wird im Gehirn in den Botenstoff Serotonin umgewandelt. Dieser wiederum ist eine Ausgangssubstanz für das Schlafhormon Melatonin.
"Das Beste ist, sich selbst aufmerksam zu beobachten", rät der deutsche Schlafforscher Ingo Fietze im Licht der Studien. Dafür empfiehlt er, ein Ernährungs- und Schlaftagebuch zu führen. "Oft nimmt man gar nicht bewusst wahr, dass man abends vor dem Fernseher kurz vor dem Zubettgehen noch eine Packung Chips verdrückt." Der salzige Snack hat viele Kalorien. Vielleicht schläft es sich ja ohne besser? Aus wissenschaftlicher Sicht wäre das jedenfalls keine Überraschung. (Susanne Donner, 27.1.2022)