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Nicht alle Arten der Schwarzen Witwen tragen ihren Namen zu Recht. Manche verzichten auch auf das Verspeisen ihrer Bettgenossen.
Foto: AP/Alex Brandon

Sie gilt als eine der bekanntesten Spinnen und hat sich mit ihrem wenig schmeichelhaften Ruf auch einen düsteren Platz in der Popkultur gesichert – dabei trifft vieles, das man über die Schwarze Witwe zu wissen glaubt, gar nicht zu. So existiert die Schwarze Witwe im wissenschaftlichen Sinn zum Beispiel gar nicht: Je nach Kontinent meint man damit eine völlig andere Art. In Nordamerika ist es meist die Südliche Schwarze Witwe (Latrodectus mactans), jene Spezies, die wegen ihrer roten Sanduhr auf der Unterseite ihres Hinterleibs am nachhaltigsten das Bild der Schwarzen Witwe prägte. Im Widerspruch zu ihrem Namen verspeist das prominente Mitglied der Echten Witwenspinnen sein (übrigens harmloses) Männchen nur selten nach der Paarung.

Selten tödlich

In Europa, und dort bisher hauptsächlich im Süden, lebt die Europäische oder Mediterrane Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus). Auch dieses Tier hat mit seinen 13 blutroten Flecken auf tiefschwarzem, glänzendem Grund hohen Wiedererkennungswert. Allen diesen Arten ist gemeinsam, dass sie giftig sind und angeblich auch dem Menschen gefährlich werden können. Todesfälle sind allerdings äußerst selten und in Wahrheit kaum belegt – auch deshalb, weil sie als äußerst beißfaul gelten. Tatsache ist jedoch auch, dass in dem Giftcocktail der Gattung Latrodectus über hundert unterschiedliche Proteine stecken, unter denen sich einige auch den Säugetierorganismus angreifende Neurotoxine befinden.

Sogenannte Latrotoxine (LaTXs) spielen dabei die Hauptrolle. Die Auswirkungen dieser Nervengifte sind zwar bereits häufig untersucht worden, wie sie genau aufgebaut sind und auf welche Weise sie im Detail ihre fatale Wirkung entfalten, war bisher jedoch weitgehend unklar. Einem Team in Deutschland ist es nun gelungen, einen Teil der Geheimnisse um diese potenten Spinnengifte zu lüften. Die Forschenden um Richard Wagner, Jacobs University Bremen, und Christos Gatsogiannis, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, haben erstmals die exakte Struktur der Latrotoxine (LaTXs) entschlüsselt, was nicht zuletzt auch Perspektiven auf neue medizinische Anwendungen eröffnet.

Oben: Die in Amerika verbreitete Südliche Schwarze Witwe (Latrodectus mactans) trägt die typische Sanduhrform am Hinterleib. Unten: Die Europäische oder Mediterrane Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus) ist dagegen rot getupft – und mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 1,5 Zentimetern ganz schön groß.
Fotos: Sphoo, Shenrich91 /CC BY-SA 3.0

Krämpfe und Schmerzen

Bekannt war bereits, dass Latrotoxine an spezifischen Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen andocken, wo sie für die Freisetzung von Neurotransmittern sorgen. Der ständige Einstrom von Calcium-Ionen in die Zelle bewirkt, dass die Botenstoffe in massiven Mengen ausgeschüttet werden. Die Folge: unwillkürliche neuromuskuläre Entladungen, die zu Krämpfen und nach einigen Stunden zu großen Muskelschmerzen führen. Bleiben diese unbehandelt, können sie tagelang anhalten.

Zu verdanken hat das Spinnenbiss-Opfer diese Marter dem einzigartigen Aufbau der Latrotoxine, den die Forscherinnen und Forscher nun mithilfe der Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) entschlüsseln konnten. Mit der dreidimensionalen Aufnahmemethode lassen sich Biomoleküle bis zur atomaren Auflösung gleichsam "fotografieren".

Eingefroren und fotografiert

Die aus der Giftmischung isolierten Proteinkomplexe werden dabei in flüssigem Ethan bei minus 196 Grad Celsius binnen Millisekunden in eine dünne Schicht von amorphem Wassereis eingefroren. Anschließend werden Hunderttausende von Bildern aufgenommen, die unterschiedliche Ansichten des Proteins zeigen – und so die Struktur des Nervengifts erkennen lassen. Weitere Analysen mit der Einzelmolekül-Elektrophysiologie (BLM-Technik) enthüllten zusätzliche Details der prinzipiellen molekularen Wirkmechanismen der Latrotoxine.

Video: Beeindruckendes Exemplar einer Westlichen Schwarzen Witwe (Latrodectus hesperus), heimisch im Westen Nordamerikas (Vorsicht, nichts für schwache Nerven!).
Thomas Shahan

Die im Fachjournal "Nature Communications" präsentierten Ergebnisse zeigen unter anderem, dass sich das Spinnengift auch spontan in die Zelloberfläche einfügt und dort sehr selektive Calcium-Release-Ionenkanäle bildet. "Die allgemeine Struktur der LaTX ist einzigartig und unterscheidet sich von allen bereits bekannten Toxinen in jeglicher Hinsicht", so Gatsogiannis.

Vom Gegengift zum Potenzmittel

Die Forschenden werten die neuen Erkenntnisse als grundlegend für das Verständnis des molekularen Wirkmechanismus der gesamten LaTX-Familie. Vor allem aber für die Entwicklung effizienter Gegengifte seien die Resultate womöglich wegweisend.

Spinnengifte leisten inzwischen aber auch in anderen Bereichen der medizinischen Forschung und Klinik wertvolle Dienste: So haben etwa chilenische Wissenschafterinnen und Wissenschafter vor Jahren schon aus dem Gift der Südlichen Schwarze Witwe (Latrodectus mactans) eine Substanz mit stark potenzfördernder Wirkung isoliert. Darüber hinaus könnten die aktuellen Forschungen auf Grundlage jener Toxine, die spezifisch bei Insekten wirken, den Boden für neue Schädlingsbekämpfungsmittel bereiten. (tberg, red, 19.1.2022)