Sie hatte eine Stimme wie keine andere. "The Voice", die Stimme, wurde sie genannt: Whitney Houston. Doch das, was viele heute von ihr in Erinnerung haben, sind nicht Lieder wie "I Wanna Dance With Somebody", "My Love is Your Love", "I'm Every Woman" oder "I Will Always Love You", sondern ihr tragischer Fall von ganz oben nach ganz unten.

Direkt nach ihrem frühen Tod im Alter von 48 Jahren – aber auch mittlerweile zehn Jahre danach – beschäftigen sich die meisten Berichte und Dokumentationen über Houstons Leben ausgiebig mit jenen Seiten, die nicht in ihr braves Image als "America's Sweetheart" passen: ihrem Drogenkonsum, einer Affäre mit ihrer Freundin Robyn Crawford oder Negativschlagzeilen ihres Ex-Ehemanns Bobby Brown.

Nicht nur Medien schlugen Profit aus ihrem Leid: Kanye West zahlte Berichten zufolge 85.000 US-Dollar für eine Paparazzi-Aufnahme von 2006, auf der Drogenutensilien in Houstons Badezimmer zu sehen waren – und verwendete sie als Cover für Pusha Ts Album "Daytona".

All diese Erzählungen bilden das Narrativ von Houston als tragisch gefallener weiblicher Ikone: Ihre Errungenschaften als weiblicher schwarzer Popstar, der ein weißes US-Massenpublikum erreicht, scheinen da weniger berichtenswert. Und ist, wenn, nur gut genug als Rampe für den tiefen Fall. Doch dazu später – hier soll die Geschichte in anderer Reihenfolge erzählt werden.

Musiker*innen-Familie

Houstons Gesangskarriere kommt nicht von ungefähr: Sie wurde 1963 in Newark, einem Vorort von New York, in eine Musiker*innen-Familie geboren. Ihre Mutter Cissy Houston war unter anderem Backgroundsängerin bei Elvis Presley, Aretha Franklin und Jimi Hendrix. Und sie sang im Gospelchor, wo ihre Tochter ihre ersten Gesangsversuche machte. Als Houston 21 war, im Februar 1985, erschien ihr erstes Album, das bis heute mit mehr als 30 Millionen verkauften Exemplaren das bestverkaufte Debüt einer Künstlerin weltweit ist.

Bild nicht mehr verfügbar.

Whitney Houston bei einem Konzert 2009 in Beverly Hills.
Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

Mit 22 war sie Millionärin, erzählte sie in einem Interview: "Ich hatte keine Zeit aufzuwachsen, keine Zeit zu feiern oder auf Dates zu gehen." In der Doku "Whitney – Die wahre Geschichte einer Legende" wird erzählt, dass sie geradezu gedrillt wurde. Dafür ging ihre Karriere steil bergauf: Als sie 25 war, haben sich ihre beiden Alben millionenfach verkauft – und damit auch eine massentaugliche neue Form eines von Frauen geprägten Pop.

Lange galt im Musikbusiness das Genre R&B als schwarz und Pop als weiß. Whitney Houston, die auch immer wieder als Queen of Pop bezeichnet wird, wurde von ihrem Producer Clive Davis, aber auch ihrer Mutter zu einer Crossover-Figur der beiden Genres gemacht. Dafür sollten ihre schwarzen Wurzeln langsam abgeschrubbt werden, sie sollte ihre Sprache und Kleidung anpassen, um für ein weißes Mainstreampublikum zugänglich zu sein – und letztlich auch möglichst viel Geld zu verdienen. In der schwarzen Bevölkerung kam das nicht immer gut an: Manche BIPOC-Radiostationen spielten ihre Songs nicht. Bei den Soul Train Awards 1989 wurde die Sängerin ausgebuht und als "Whitey" beschimpft.

Schwarze Identität

Sie sei ein Opfer rassistischer Erwartungen, legt die Dokumentation "Can I Be Me" nahe: Sie musste das beste aus beiden Welten sein, konnte sich aber nur oberflächlich mit ihrer Identität auseinandersetzen. Ganz anders als ihre Konkurrent*innen Janet und Michael Jackson, die den Spagat schafften und auch klar schwarze Themen in ihrer Kunst ansprachen. Auch wenn sie es mit dem Album "I'm Your Baby Tonight" und Kollaborationen mit Stevie Wonder versuchte, gelang es Houston nur selten, ihre Erfahrungen als schwarze Frau in ihre Musik einzubauen. Das lag vor allem an ihrem – von Männern – entworfenen Bild einer perfekten, resilienten Frau. Das sie selbst aber auch mittrug. Eine Gemengelage, die wohl eine Identitätskrise bei der Sängerin auslöste.

Bodyguard und dessen Soundtrack mit dem Dolly-Parton-Cover "I Will Always Love You" katapultierte Houston an die Weltspitze.
whitneyhoustonVEVO

Nicht nur in der Musik wurde ihre Identität von der schwarzen Community hinterfragt. Auch als sie 1992 in ihrem Schauspieldebüt "Bodyguard" mit Kevin Costner einen weißen Schauspielerpartner hatte, gab es Kritik. Sie sah allerdings, was es bedeutete, so eine Rolle zu spielen. In einem Interview auf dem roten Teppich sagte sie auf die Frage, was ihr am Filmen besonders Spaß gemacht habe: "Dass ich als Frau und als Schwarze eine so starke Rolle hatte – das ist aufregend genug."

Toxische Ehe

"Bodyguard" und dessen Soundtrack mit dem Dolly-Parton-Cover "I Will Always Love You" katapultierte Houston an die Weltspitze. Einer, dem das nicht so zu gefallen schien, ist Bobby Brown. Mit dem Sänger, der das Bild des ungehobelten schwarzen Jungen aus dem Ghetto, vor dem Houston immer ferngehalten wurde, verkörperte, war sie 14 Jahre lang verheiratet. Er sei eifersüchtig auf ihren Erfolg und ihre Bekanntheit gewesen, erzählte Houston in einem Interview mit US-Moderatorin Oprah Winfrey: "Wenn er darauf angesprochen wurde, wurde er richtig wütend. Aber es ist nicht abnormal für einen Mann, sich deshalb so zu fühlen. Oder das Gefühl zu haben, nicht zu genügen."

Bild nicht mehr verfügbar.

Whitney Houston im Jahr 1998 mit Ehemann Bobby Brown (links) und Producer Clive Davis (rechts).
Foto: AP Photo/Stuart Ramson

Brown buhlte um Aufmerksamkeit. Er ging fremd, war mehrmals im Gefängnis wegen Trunkenheit am Steuer. Die Boulevardblätter spekulierten über ihre Ehe, wie sie sich gegenseitig zum Drogenkonsum verleiteten. Als Anfang der 2000er bekannt wurde, dass er Whitney geschlagen hat, hielt sie weiter zu ihm. Sie wollte ihre toxische Ehe retten, den Spekulationen in den Medien nicht recht geben, ihr Bild aufrechterhalten. Sie hat nicht nur wegen ihm bei der Realityshow "Being Bobby Brown" mitgemacht. Sondern gar ihre Produktionsfirma, die ursprünglich Houston House heißen sollte, in Brown House umbenannt und ihn zum Manager gemacht. Es sollte ihm das Gefühl geben, er sei wichtig, erzählt ihre Ex-Schwägerin Donna Houston. 2007 ließ sich Whitney scheiden.

Verheimlichte Bisexualität

Weitere Aspekte, die ebenfalls nicht in ihr makelloses öffentliches Bild passten, sie aber sehr wohl innerlich beschäftigten, waren zum einen, dass sie als Kind laut eigenen Angaben und Aussagen ihres Bruders von ihrer Tante sexuell missbraucht worden ist. Und zum anderen ihre Beziehung zu ihrer Kindheitsfreundin und späteren Assistentin Robyn Crawford. Crawford war offen lesbisch, und den beiden wird eine Affäre nachgesagt. In einem Fernsehinterview darauf angesprochen, verneinte Houston allerdings nur, dass sie lesbisch sei. Die Sängerin verheimlichte ihre Bisexualität aus Angst, dass die Fans ihre Sexualität gegen sie verwendeten – ein nachvollziehbarer Grund in den Achtzigerjahren. Ihre Familie hieß die Beziehung jedenfalls nicht gut.

Auch Whitneys Ehemann Bobby Brown hatte ein Problem mit Crawford. Er dürfte von der innigen Beziehung verunsichert gewesen sein, legen Berichte nahe. Sie fand, dass er ein schlechter Einfluss für ihre Freundin war. Also stellte Crawford Houston ein Ultimatum: entweder er oder ich. Die Sängerin entschied sich für ihren Mann. Als Crawford nicht mehr für Houston arbeitete, übernahm ihr Vater die Geschäfte. Das dürfte auch mitverantwortlich für den Anfang von ihrem Ende gewesen sein. Denn Houston wurde zur familiären Geldmaschine. Zwar war sie das schon vorher – viele ihrer Verwandten, allen voran ihre Brüder, arbeiteten für sie. Doch dieses Abhängigkeitsverhältnis führte letztlich auch dazu, dass viele von ihrer Drogensucht wussten, aber wegschauten, weil sie finanziell profitierten, erzählt ihr Bodyguard in "Whitney".

Drogensucht

Ihr Vater sei überzeugt gewesen, sie brauche keinen Entzug; ihre Mutter versuchte vergeblich, ihre Tochter von den Drogen wegzubekommen. Die Plattenfirma duldete, dass die Sängerin sich in Hotelzimmern verkroch und Aufnahmetermine absagte. Über fünf Millionen Dollar soll das Arista Records gekostet haben, erzählt ein Mitarbeiter, der damals mit Houston arbeitete. Schlussendlich machte Houston in den Nullerjahren einige Entzüge. Jahrelang wurde ihr Drogenkonsum öffentlich abgestritten. Doch bei einem Konzert im Jahr 2001 konnte sie es nicht mehr verheimlichen – man sah es ihr zu sehr an. Die Plattenfirma verlangte, dass sie in einem Fernsehinterview darüber spricht. Fortan munkelten auch die Klatschblätter über ihre Sucht, Entzüge und mögliche Rückfälle sowie über ihre Fähigkeiten als Mutter für Tochter Bobbi Kristina.

Die Sängerin mit ihrer Tochter Bobbi Kristina. Sie nahm sie mit auf Tour – und auf die Bühne.
Foto: Crime + Investigation / A+E Networks

Doch nicht nur das: Whitneys Vater dürfte ihr Geld gestohlen haben. 2002 verklagte er seine Tochter, weil er eine Provision für den 100-Millionen-US-Dollar-Plattenvertrag wollte. Der Fall wurde eingestellt. Dennoch dürfte sie mit Geldproblemen zu kämpfen gehabt haben. Offenbar musste sie sogar einen Drogenentzug abbrechen, weil sie kein Geld mehr hatte. Das sei auch der Grund dafür gewesen, wieso sie 2010 nochmals auf Tour ging. Doch diese kam bei den Fans nicht gut an: Aufgrund der Drogen hatte sich Houstons Stimme verändert, sie hatte Schwierigkeiten, in hohen Lagen zu singen – die Töne traf sie trotzdem. Die Fans verließen aus Protest ihre Konzerte, nannten sie "eine Horrorshow", die Klatschpresse widmete ganze Artikel ihrer veränderten Stimme.

Wegbereiterin für Popsängerinnen

Ihre Musikkarriere war quasi vorbei. Die Bewunderung für ihre außergewöhnliche Stimme wich der Enttäuschung, dass sie mit Mitte 40 nicht mehr gleich klang wie mit 20. Ob ein männlicher Popstar genauso kritisiert würde, ist fraglich. Es ist jedenfalls auch Resultat eines Narratives, das den Niedergang berühmter, erfolgreicher Frauen fetischisiert und den Trugschluss vermittelt, dass man als Frau eben nicht alles haben kann.

Dabei wäre es vermessen, Whitney Houston nur als Opfer ihres Schicksals zu sehen – auch wenn sie ein tragisches Ende genommen hat: Am 11. Februar, einen Tag vor der Verleihung der Grammy Awards, ertrank Houston in der Badewanne, der chronische Drogenmissbrauch und eine Herzkrankheit hatten dazu beigetragen. Als einer der erfolgreichsten und am meisten ausgezeichneten Popstars – unter anderem acht Grammys, zwei Emmys, 14 World Music Awards und 27 Guinness-Weltrekorde – ist sie vor allem eines: Wegbereiterin. Ohne Houston hätten sich Popstars wie Mariah Carey oder Britney Spears nicht so emanzipieren können, ihre privaten Kämpfe nicht in ihre Kunst und öffentliche Rolle integrieren können. (Selina Thaler, 21.1.2022)