Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak kritisiert in ihrem Gastkommentar das Impfpflichtgesetz. Ein breiter, zivilgesellschaftlicher Diskurs wäre notwendig gewesen. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Katharina Gangl, Florian Spitzer, Thomas Czypionka vom IHS: Impfmuffel mit Prämien ködern.

Der Beschluss der Corona-Impfpflicht im Nationalrat steht an: Kanzler Karl Nehammer kann mit einer breiten Mehrheit rechnen. Nur die FPÖ ist geschlossen dagegen.
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Heute, Donnerstag, wird im Nationalrat über das "Bundesgesetz über die Impfpflicht gegen Covid-19" abgestimmt. Die parlamentarische Mehrheit steht aufgrund parteiübergreifender Abstimmungen und breiter Zustimmung in den Regierungsparteien bereits fest.

Nach Abschluss eines Begutachtungsverfahrens mit über 100.000 Stellungnahmen geht nun der überarbeitete Letztentwurf in die Abstimmung. Neu sind darin zum Beispiel die Erhöhung der Altersgrenze von 14 auf 18 und die Einschränkung der Befugnis für die medizinischen Ausnahmebestätigungen auf "Amts- und Epidemieärzte", eine wichtige Forderung der Ärztekammer. Andere Änderungen, wie insbesondere die Erhöhung der Strafe bei Einleitung des ordentlichen Verfahrens, kommen direkt vom Gesetzgeber und werden von Verwaltungsrechtlern derzeit als verfassungswidrig beurteilt.

Überhaupt: die Strafen. Der Gesetzgeber legt sich auf Verwaltungsstrafen als Sanktion fest, aber ohne die sonst vorgesehenen Ersatzfreiheitsstrafen bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe. Das basiert wohl auf der Überlegung, keine "Märtyrerbilder" von inhaftierten Impfgegnerinnen und -gegnern zu kreieren, steht aber in einem seltsamen Spannungsverhältnis zur großen gesellschaftspolitischen Bedeutung der Impfpflicht.

Mangelnde Vorbereitung

Man kann Ersatzfreiheitsstrafen generell kritisch sehen. Die gesellschaftliche Bedeutung der Impfpflicht ist aber wohl deutlich höher als etwa die der Einbringlichkeit von Parkgebühren oder Hundstrümmerlstrafen, sodass der Unterschied in den Sanktionen explizit und sachlich vom Gesetzgeber zu begründen gewesen wäre. In den Gesetzesmaterialien zum Letztentwurf findet sich dazu allerdings nichts.

Dazu passt, dass die Regierung trotz mangelnder Vorbereitung (Stichwort Elga) die Impfpflicht und den Zeitplan durchpeitscht, Bundeskanzler Karl Nehammer aber gleichzeitig betont, "über niemanden drüberfahren" zu wollen. Die sehr lauten Impfkritikerinnen und -kritiker sind zwar gerechnet auf die Bevölkerungszahl eine Minderheit. Dennoch hat der Staat offenbar Angst, sich unbeliebt zu machen, was sich auch auf die Exekutivorgane überträgt: So meldeten sich Vertreter der Polizeigewerkschaft zu Wort, die befürchten, dass sich das "gute Verhältnis" der Polizei zur Bevölkerung durch die Kontrollen der Impfpflicht verschlechtern könnte – ein bemerkenswertes Selbstverständnis der Exekutive.

"Welche Impfquote strebt der Gesetzgeber an? Und wie will er damit umgehen, wenn trotz Impfpflicht die Quote nicht auf weit über 90 Prozent steigt? Was tun mit Impfverweigerern, die die Geldstrafen einfach in Kauf nehmen?"

In den Materialien zum Letztentwurf steht auch, dass die Impfpflicht Teil eines "Maßnahmenbündels" sein sollte, gemeinsam zum Beispiel mit Impfkampagnen. Dies scheint dem Reich der Fantasie entsprungen, zumal solche Kampagnen seit letztem Sommer schmerzlich fehlen. Richtig ist doch vielmehr, dass die Impfpflicht Ergebnis der fehlenden Kampagnen zur Aufklärung über und Werbung für die Impfung ist.

Die Regierung hat sich der Angst vor dem politischen Gegner FPÖ beziehungsweise MFG ergeben und damit ihre Verantwortung, sich zum Wohl der Bevölkerung aktiv hinter die Impfung zu stellen, aufzuklären und zu überzeugen schlicht nicht wahrgenommen. Das macht die Impfpflicht jetzt nicht falsch und auch nicht verfassungswidrig, aber sie wäre wohl vermeidbar gewesen.

Dass die Regierenden auch nach der Kursänderung von Sebastian Kurz zu Nehammer und hin zur Impfpflicht nicht mit offenem Visier vorgehen, ist bedauernswert. Das Redebedürfnis in der Zivilgesellschaft ist an der Rekordzahl von über 100.000 Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren leicht abzulesen.

Fehlender Dialog

Dass daran kein offener, zugänglicher und breiter Dialog anknüpfte, ist das nächste Versäumnis der Regierung. Ein kurzes Hearing im Parlament mit von den Parteien nominierten Expertinnen und Experten ersetzte eine öffentliche inhaltliche Auswertung der Stellungnahmen. Dabei hätte schon während des Begutachtungsverfahrens ein breiter zivilgesellschaftlicher Diskurs stattfinden müssen. Dazu wäre insbesondere eine klare politische Zielsetzung notwendig gewesen: Welche Impfquote strebt der Gesetzgeber an? Und wie will er damit umgehen, wenn trotz Impfpflicht die Quote nicht auf weit über 90 Prozent steigt? Was tun mit Impfverweigerern, die die Geldstrafen einfach in Kauf nehmen?

Die gesetzlich verordnete Impfpflicht ist die "Ultima Ratio" des Staates in einer Pandemie. Der Gesetzgeber hat sich jetzt dafür entschieden, diese letzte Karte zu ziehen und damit eigene Versäumnisse in der Immunisierungsstrategie aufzuholen. Der Staat sollte sich dann aber auch vollends hinter seine eigene Entscheidung stellen, die Sanktionen entsprechend scharf ziehen, die Ressourcen für die Verwaltungsstrafverfahren bereitstellen und konsequente Regelungen für alle Bereiche des öffentlichen Lebens schaffen. Verheerend wirkt sich da zum Beispiel die – auf Sozialpartnerdrängen gründende – Beibehaltung der 3G-Regel am Arbeitsplatz aus, weil sie verwirrend ist und signalisiert, dass Gesetzesbruch vorausschauend in Kauf genommen wird – und zwar ausgerechnet dort, wo viele Menschen zusammenkommen müssen.

Zwar kann man die Bedenken zum potenziellen Arbeitsplatzverlust für Ungeimpfte durchaus teilen, weil sie gravierender sind als die reinen Geldstrafen. Der Arbeitsplatzverlust droht aber ohnehin, weil Arbeitgeber auch nach geltendem Recht nicht gezwungen werden können, mit Ungeimpften zusammenzuarbeiten. Vorausschauende Regelungen, wie ein Entfall der Entgeltfortzahlung für Ungeimpfte, wären hier zu bevorzugen und würden die Effektivität der Impfpflicht wahrscheinlich deutlich erhöhen.

Fazit: Die letzte Waffe Impfpflicht wurde nicht zu früh gezückt, sondern eventuell sogar zu spät. Jetzt sollte sie aber zu unser aller Wohl keine Ladehemmungen mehr haben. (Katharina Körber-Risak, 20.1.2022)