Die Zahntätowierung "Goat" steht für "Greatest of all time". Das muss man aber wissen.

Foto: Young

Ein wenig geschludert wurde hier zwar. Immerhin feiert man den internationalen Tag der Blockflöte schon am 10. Jänner und nicht jetzt. Mit einem von diversen Musikschulvorführungen vertrauten Sample im Song Ride the Dragon gelingt es FKA Twigs allerdings jetzt auf ihrem Album Caprisongs, ein starkes Zeichen in Sachen "Ausloten von Belastbarkeitsgrenzen in der zeitgenössischen Popmusik abseits von Autotune und Schreddersounds" zu setzen.

Flöten machen wach, und man fühlt sich sofort alert. Man wird bald total verrückt werden, die Hände in die Luft werfen, als ob man sich um nichts scheren würde – und dann reitet man mit Uber und dem beigepackten Boyfriend in der Limo rüber in den heißesten neuen Nightclub der Stadt.

FKA twigs

FKA Twigs verkündet auf Instagram, dass das neue Album dazu gedacht sei, es zu hören, wenn man sich daheim noch ein wenig Bronzer auf die Haut gibt und damit das Waschbecken versaut. Das ist aber nicht so schlimm. Der Alkopop zum Vorglühen macht gelassen – und ein guter Geist wacht darüber, dass am nächsten Tag alles wieder sauber ist. Gelassenheit ist eine gute Stimmung. Das von FKA Twigs "Bestie" genannte Love-Interest kommt nämlich immer zu spät. Jetzt noch ein wenig Glitzerschmuck angelegt, dann kann es losgehen.

Nachdem FKA Twigs auf dem Albumvorgänger Magdalene die schmerzensreiche Trennung von Schauspieler Robert Pattison verarbeitet und zuletzt dessen Nachfolger Shia LaBeouf wegen körperlichen und emotionalen Missbrauchs verklagt hat, versucht sie es nun wieder mit Musik statt Yellow Press. Und vor allem mit jener milden Form von guter Laune, die sich anschließend auf der Tanzfläche zur Euphorie steigern lässt.

Schön und schrecklich

Sie hat sich dazu zahlreiche Duettpartner eingeladen, allen voran R-’n’-B-Superstar The Weeknd. Der steuert sein bewährtes Gesäusel im genretypischen Lied Tears in the Club bei. Er fährt auf seinem neuen Album DawnFM auch ähnliche Sounds zwischen superglatter Oberfläche und ein wenig dreckigeren Klängen zwecks Paukenschlageffekts auf, die noch vor wenigen Jahren bei Toningenieuren für blankes Entsetzen gesorgt hätten. Das Publikum soll beim Schwofen ja nicht einschlafen. Mittlerweile ist der Regelbruch allgegenwärtig die Norm. Immerhin aber bereichert The Weeknd das Genre gerade mit einem Zitat aus Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien: "Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen."

FKA twigs

Diesen poetischen Gedanken kann man auf jeden Fall mit der Musik von FKA Twigs konfrontieren. Allerdings besinnt sie sich auf Tracks wie Honda gemeinsam mit Rapper Pa Salieu oder in Darjeeling mit Jorja Smith und Unknown T auf ihre Wurzeln im Hip-Hop. Sie geht schließlich mit Shygirl auch noch in die jamaikanische Dancehall. An anderer Stelle hört man Rhythmen aus uralten Zeiten: Möglicherweise steht ein Comeback von Drum ’n’ Bass bevor. Irgendwann werden ja hoffentlich die Sitzdiscos gegenüber den Duracellhasen-Raves wieder das Nachsehen haben.

Ob man Caprisongs als Soundtrack zum Vorglühen wirklich braucht, bleibt dahingestellt. Um in Stimmung zu kommen, findet man aufgrund der fragmentarischen Melodieeinfälle leider nur wenig Zwingendes. Neben Hauptproduzent El Quincho waren an diesem Album unter anderem Arca sowie Nick-Cave-Mitstreiter Warren Ellis beteiligt. (Christian Schachinger, 21.1.2022)