Von hier und heute geht eine neue Epoche der österreichischen Geschichte aus, und wir können sagen, wir werden dabei sein, wie wir schon bisher dabei gewesen sind: Das Chaos geht weiter. Von wundertätigen Wirkungen eines Nationalratsbeschlusses ward, bei allem Respekt vor der Institution, noch nie etwas vernommen. Wie also sollte der gestrige das bisherige Durcheinander der Entscheidungen im Kampf gegen die Pandemie wenigstens in das nationale Wohlgefühl einer Zeit überführen, als die Unversehrtheit staatsbürgerlicher Körper noch nicht von Impfung gefährdet war. Ob eine Regierung mutig handelt oder mit dem Mut der Verzweiflung, ist nicht dasselbe, weshalb die allgemeinen Ungewissheiten, die man so gern loswürde, zunächst einmal wachsen werden. Von Anfang an mutig zu handeln hat die Vorgängerregierung der jetzigen leider versäumt, sie hatte andere Interessen.

Ungewiss zunächst, wie weit das Impfpflichtgesetz vor dem Verfassungsgerichtshof hält, und dessen Anrufung wenigstens ist gewiss. Ungewiss, ob sie bei denen, auf die es zielt, das gewünschte Ergebnis erreicht oder nicht sogar das Gegenteil, aus dem Gefühl heraus, sich gegen ein Diktat wehren zu müssen und sich in seinem Sendungsbewusstsein nicht von der kleinen Chance auf einen Gutschein bestechen zu lassen. Ungewiss, wie weit die Einhaltung der Impfpflicht kontrolliert werden kann, wenn mögliche Kontrolleure einander schon jetzt die Verantwortung dafür zuschieben. Ungewiss, wie ernst die Gegner ihr Recht auf individuelle Unversehrtheit künftig auch nehmen, wenn sie für ihren Mangel an gesellschaftlicher Solidarität finanzielle Opfer bringen sollen.

Das Chaos mit der Impfpflicht geht weiter.
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Durchsetzungsproblem

Eigentlich sollten Gesetze Gewissheiten schaffen. Zum bisherigen Überzeugungsproblem kommt nun ein Durchsetzungsproblem. Der Gesetzesbeschluss war, wie zu erwarten, von Gegendemonstrationen begleitet. Es wird nicht die letzte gewesen sein, und so weit es sich bei den Demonstranten um Menschen mit esoterischen Bedürfnissen und Erhabenheit über Wissenschaft handelt, wäre es auch kein Problem, das über eine vorübergehende Belästigung von Passanten und teure Polizeieinsätze hinausgeht. Nach eigener Bekundung ahnungslos und ohne politische Absicht stellen sie sich in wöchentlicher Hingabe einer Partei als Staffage zur Verfügung, deren Obmann sich zum Ziel gesetzt hat, seinen verlorenen Ministerposten und mehr auf der Straße zurückzuerobern.

Dieses Konzept ist aus unseligen Zeiten bekannt, und die zunehmende Radikalisierung der Proteste bis zu Angriffen auf Spitalspersonal sollte jenen zu denken geben, die wirklich nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben wollen. Wie weit ihre verfassungsmäßige Freiheit bedroht ist, könnten sie – als Demokraten – zur Beurteilung dem Verfassungsgerichtshof überlassen und nicht einem Hetzer, der wie zuletzt in Innsbruck behauptet, "gegen ein korruptes System aus Machterhalt zu kämpfen". Ausgerechnet ein Obmann der FPÖ? Und: "Bevor wir uns gegen unseren Willen impfen lassen, sorgt die Bevölkerung für Neuwahlen."

Das Copyright für Slogans wie "Volk, steh auf, und Sturm, brich los" hat ein anderer, aber wie man sieht, gehen Kickls rhetorische Übungen in ähnliche Richtung. Einer Regierung, die die Impfpflicht wagt, fällt vielleicht einmal auch dazu etwas ein. (Günter Traxler, 20.1.2022)