Immerhin hat sich der Zeigerstand nicht verschlechtert. Das zweite Jahr in Folge steht die Weltuntergangsuhr bei 100 Sekunden vor Mitternacht. Im Bild: Suzet McKinney und Daniel Holz vom "Bulletin of the Atomic Scientists".
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2019 rückten wir näher an die Apokalypse heran als je zuvor – zumindest wenn man auf das Ziffernblatt der Weltuntergangsuhr blickte. Die Verwalter des symbolischen Risikogradmessers für eine globale Katastrophe haben ihre Zeiger Anfang 2020 auf 100 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt – auf einen Wert also, den die Welt in der zu dem Zeitpunkt 73-jährigen Geschichte der Doomsday Clock noch nie gesehen hat. Und dabei bleibt es vorerst auch, wie die Hüter der Uhr am Donnerstag verkündet haben.

Vor zwei Jahren balancierten die beiden Atommächte Indien und Pakistan am Abgrund eines bewaffneten Konflikts, und Indien verstieg sich sogar zu indirekten Drohungen mit einem nuklearen Erstschlag: Verteidigungsminister Rajnath Singh hatte angedeutet, dass sein Land in Zukunft seine Verpflichtung zu "No First Use", also das Bekenntnis dazu, Atomwaffen nur zu Verteidigungszwecken zu verwenden, überdenken werde. Dass wichtige Verträge zur Rüstungskontrolle von Atomwaffen beendet oder untergraben wurden, tat das Übrige, um nicht nur unter Experten Ängste vor einem neuen nuklearen Wettrüsten und schrumpfenden Eintrittsschwellen für einen "lokalen" Atomkrieg zu schüren.

Truppenaufmarsch, Diktatoren und Pandemie

Doch nun liegen zwei Pandemiejahre hinter uns, Wladimir Putin lässt seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren, und der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un feuert eine Rakete nach der anderen ab. Kein Wunder also, dass der Aufsichtsrat des "Bulletin of the Atomic Scientists", darunter elf Nobelpreisträger, keinen Grund sieht, uns bei der 75. Bekanntgabe der aktuellen Weltuntergangsuhrzeit mit guten Nachtrichten gegenüberzutreten: Die Uhrzeiger bewegen sich das zweite Jahr in Folge nicht vom Fleck.

In ihrer Erklärung heißt es, es habe im letzten Jahr zwar Hoffnungsschimmer gegeben, dass die Menschheit in ihrem Marsch in Richtung einer globalen Katastrophe innehalten könnte, aber letztlich hätten die anhaltenden Bedrohungen durch Atomwaffen, Klimawandel und Covid-19 nicht dazu geführt, dass sich die Lage verbessert hätte. Im Gegenteil: Eine "korrumpierte Informationsökosphäre, die die rationale Entscheidungsfindung untergräbt", verschärfe die internationale Sicherheitssituation.

Sharon Squassoni, Ko-Vorsitzende des Science and Security Board (SASB) und Professorin am Institute for International Science and Technology Policy der George Washington University, ergänzte: "Hundert Sekunden vor Mitternacht spiegelt die Einschätzung des Boards, dass wir in einem gefährlichen Moment feststecken. Positive Entwicklungen im Jahr 2021 konnten den negativen langfristigen Trends leider nicht entgegenwirken."

Im Kalten Krieg war es sicherer

Die "Uhr des Jüngsten Gerichts" spielt mit dem Ausdruck "fünf Minuten vor zwölf" und wurde zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Experten des "Bulletin of the Atomic Scientists" (BAS) ins Leben gerufen. Ihre Begründer waren Physiker, die während des Krieges an der Entwicklung und am Bau der ersten Atombombe beteiligt waren, darunter auch Albert Einstein. 1947 standen einander am Ausgangspunkt des Kalten Krieges die Supermächte USA und Sowjetunion gegenüber und drohten mit ihren Nuklearwaffen. Mit der Doomsday Clock wollten die Wissenschafter veranschaulichen, in welcher Gefahr die Menschheit mit solchen Waffen schwebt. Gestartet ist die Uhr bei sieben Minuten vor zwölf, danach wurde sie jedes Jahr im Jänner je nach aktueller Gefahrenlage neu justiert.

Dieser Jahrestakt ist auch der Grund dafür, warum die Kubakrise von 1962 an der Weltuntergangsuhr nicht abzulesen war: Als ihr Zeigerstand im Jänner 1963 aktualisiert wurde, war jener Moment, da die Welt bisher wahrscheinlich am dichtesten vor einem Atomkrieg stand, längst vorüber gewesen und die Wogen hatten sich wieder einigermaßen geglättet.

Das Auf und Ab der Doomsday Clock in den vergangenen 75 Jahren. Aktuell stehen wir näher am Abgrund als jemals zuvor.

Grafik: Fastfission

Abwärtstrend der letzten Jahrzehnte

Bis zum Ende der 1980er-Jahre pendelte die Anzeige der Doomsday Clock zwischen zwei Minuten (Wasserstoffbombentests der beiden Großmächte) und zwölf Minuten vor Glockenschlag (Unterzeichnung der SALT-I- und -II-Abrüstungsverträge). 1991 wurden die START-Verträge zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bzw. Russland unterschreiben. Die vereinbarte Reduzierung strategischer Trägersysteme für Nuklearwaffen sorgte dafür, dass die Weltuntergangsuhr auf 17 Minuten vor zwölf zurücksprang und sich damit erstmals außerhalb des Alarmbereichs von einer Viertelstunde befand.

Seither jedoch rücken die Zeiger wieder unaufhaltsam auf Mitternacht zu. Bis 2018 war die Frist bis zum Untergang auf zwei Minuten zusammengeschmolzen, so knapp war es zuletzt während des Höhepunktes des Kalten Krieges 1953 gewesen – nicht zuletzt auch deshalb, weil mittlerweile der Bedrohung durch den Klimawandel beim Verstellen der Zeiger ein größeres Gewicht zugebilligt wird. (Thomas Bergmayr, 20.1.2022)