Der Geologe Thomas Hofmann blickt in seinem Gastblog auf die Geschichte einer Wissenschafterfamilie zurück.

Der Stammvater Joseph Ritter von Hauer (1778–1863) hatte Jus studierte und war laut Grabinschrift "k. k. w. geheimer Rath". Das Jahr 1809, als die Napoleonische Armee zum zweiten Mal Wien heimsuchte, sollte prägend werden. Hauer bekam den Auftrag zusammen mit Karl von Schreibers, dem Leiter des k. k. Hof-Naturalien-Cabinets (heute: Naturhistorisches Museum, NHM), dessen Sammlungen zum Schutz vor den napoleonischen Truppen im "südöstlichen Ungarn in Sicherheit zu bringen."

Nachdem im Jänner 1810 alles wieder heil in Wien zurück war, hatte Hauer, wohl inspiriert durch Schreibers, seine Liebe zur Paläontologie entdeckt. Dafür opferte der Vater von acht Kindern seine karge Freizeit, er wurde zum passionierten Sammler. Seine Vorliebe galt mikroskopisch kleinen Schalenresten fossiler Einzeller im Wiener Raum. In Frankreich befasste sich damals Alcide d'Orbigny (1802–1857) mit der Fossilgruppe der Foraminiferen, das sind einzellige Organismen. Also kontaktierte Hauer d'Orbigny und schickte ihm ab 1838 in winzigen Glasfläschchen seine Wiener Mikrofossilien, kaum größer als Brösel und hierorts nahezu unbekannt. D'Orbigny war begeistert, hatte doch Hauer "die zahlreichste Fauna der Foraminiferen" zusammengetragen, "welche man je in irgendeinem Lande getroffen hatte". Der Franzose investierte zwei Jahre in die Bearbeitung des Wiener Materials, Kaiser Ferdinand I. gewährte Druckkostenzuschuss und erlaubte "das Werk unter hoechstdessen Auspicien zu veroeffentlichen". Zudem erwarb er 100 Exemplare der zweisprachigen Monografie, um sie dem Who's who der internationalen Scientific Community zu schenken.

Die mikropaläontologische Sammlung mit den Originalfläschchen von Joseph Ritter von Hauer.
Foto: GBA

Am 14. September 1846 präsentierte der 24-jährige Franz von Hauer in Wien das von seinem Vater initiierte Opus "Die fossilen Foraminiferen des tertiaeren Beckens von Wien, entdeckt von seiner Excellenz Ritter Joseph von Hauer und beschrieben von Alcide d’Orbigny". Diese Arbeit war bis weit in das 20. Jahrhundert ein Meilenstein bei Experten für Foraminiferen; 1985 erfolgte, basierend auf dem Originalmaterial, eine Neubearbeitung.

Carl von Hauer, preisgekrönter Chemiker der Geologen

Von den vier Söhnen Joseph Hauers wandten sich drei den Erdwissenschaften zu. Carl, der am 3. März 1819 geboren wurde und am 2. August 1880 Suizid beging, reüssierte ab 1853, nachdem er seine militärische Karriere als Hauptmann beendet hatte, als Quereinsteiger im chemischen Labor der k. k. Geologischen Reichsanstalt. Diese war von Wilhelm von Haidinger im November 1849 begründet worden. Carl als Leiter des Labors führte im Palais Rasumofsky, dem Sitz der Reichsanstalt, unzählige chemische Analysen an Gesteinen, Erzen, Kohlen und Wässern aus der ganzen Monarchie durch. Ab 1860 veröffentlichte er "Krystallogenetische Beobachtungen". Schlagzeilen machte er mit seinen Kristallzüchtungen, für die er bei der Londoner Weltausstellung 1862 mit einer Medaille geehrt wurde.

Die 1862 bei der Londoner Weltausstellung preisgekrönten Kristallzüchtungen Carl von Hauers.
Foto: GBA

Zwischen Carl und Franz herrschte brüderliche Verbundenheit. 1860, als die Geologische Reichsanstalt an die Akademie der Wissenschaften angegliedert werden sollte, schrieb Carl am 13. August an seinen jüngeren Bruder: "Liebster Franz! Es ist mir durch ein kühnes und hinterlistiges Maneuvre gelungen die beiden Aktenstücke welche unsere Organisation enthalten zu Gesichte zu bekommen, freilich nur für wenige Momente, allein sie genügten vollkommen um alles wichtige daraus zu entnehmen. Das eine ist das Resultat jener perfiden Berathungen welche das WinkelCommitée der Akademie […] die selbststaendige Stellung, die Publikationen so wie die Existenz einer Reihe zeitlich Angestellter, worunter auch meine Wenigkeit gehört, zu vernichten strebte."

Franz von Hauer: "Nestor der österreichischen Geologen"

Der 1822 geborene Franz hatte das Schottengymnasium in Wien besucht, danach an der Universität in Wien studiert, ehe er von 1839 bis 1843 an die Bergakademie in Schemnitz (heute: Baňská Štiavnica in der Slowakei) zum Montanisten ausgebildet wurde. Bereits Ende 1844 hielt er in Wien am damaligen Montanistischen Museum (Leitung: Wilhelm Haidinger) die ersten paläontologischen Vorlesungen Österreichs. In Fürst Metternich, dessen Fossilsammlungen er 1846 bearbeitete, fand er einen Mäzen, ihm zu Ehren benannte er einen Ammoniten "metternichi". Mit Haidinger war er ab 1849 Geologe der ersten Stunde an der k.k. Geologischen Reichsanstalt. Nach der Pensionierung von Direktor Haidinger wurde er ab 1866 dessen Nachfolger und zu einem der bedeutendsten Erdwissenschafter des Landes. Hauer war auch einer der Lehrer des 1831 geborenen Eduard Suess.

Rechtzeitig vor der Wiener Weltausstellung 1873 erschien sein Hauptwerk, die Geologische Karte der Monarchie in zwölf Blättern. Nach dem Tode Ferdinand von Hochstetters im Juli 1884 wurde er dessen Nachfolger und Intendant am k.k. naturhistorischen Hofmuseum (heute: NHM). Am 10. August 1889 eröffnete der Kaiser um elf Uhr das Museum. Bevor er es um halb zwei Uhr verließ, sprach er "Hofrath v. Hauer, noch mals seine Freude und Anerkennung über das Museum" aus. Hauers Museumsführer von 1889 ist – vor allem durch die umfassende Beschreibung der Architektur des Hauses – bis heute ein Standardwerk.

Franz von Hauer im Jahr 1885. Das Ölbild von Hans Canon war ein Geschenk der Mitglieder der k. k. geologischen Reichsanstalt.
Foto: GBA

Franz von Hauer, der mit 77 Jahren verstarb, war bis in die höchsten Kreise bestens vernetzt. Über seine Tagesabläufe und Interaktionen geben die von Marianne Klemun editierten Tagebücher der Jahre 1860 bis 1868 höchst persönliche Einblicke.

Franz von Hauers Liebesgeschichten und Heiratssachen

Franz von Hauer war zweimal verheiratet, Vater einer Tochter aus zweiter Ehe und mit 40 Jahren bereits zweimal verwitwet. 1866 wurde er erneut Vater eines Sohnes. Pikantes Detail: die Kindesmutter war Rosina Motesiczky, in aufrechter Ehe mit dem ungarischen Aristokraten Matthias Motesiczky de Kesseleökeö verheiratet. Edmund, so der Name des Kindes, war wiederum der Vater der Malerin Marie-Louise von Motesiczky (1906–1996), die ihrerseits ein Liebesverhältnis mit dem Literaten Elias Canetti (1905–1994) hatte. Nachzulesen in Ines Schlenkers großer Motesiczky-Monografie: "[…] he (= Edmund) was actually the result of his mother´s relationship with Franz Ritter von Hauer, a distinguished geologist […]." Mit anderen Worten: Hauer war "einer der ersten Meister geologischer Forschung in Österreich" (Grabinschrift).

Lesesaal der Geologischen Bundesanstalt mit der Geologischen Übersichts-Karte der österreichisch-ungarischen Monarchie; rechts ein Marmorrelief Hauers.
Foto: GBA

Emil Tietze und die Petraschecks

Die international angesehene Geologische Reichsanstalt war ein begehrter Ort, wo junge Geologen anfangs auch ohne Bezahlung als Volontäre arbeiteten. So auch der gebürtige Deutsche (Breslau) Emil Tietze, der 1870 nach Wien kam und hier eine Karriere bis zum Direktor der Anstalt (1902–1918) durchlief. Wann und wo er die Tochter seines Direktors, Franz von Hauer, kennengelernt hatte, ist nicht überliefert, jedenfalls heiratete er 1879 Rosa von Hauer. Aus deren Ehe stammen vier Kinder, ein Sohn und drei Töchter.

Tietze wurde 1903 zum Präsidenten des Internationalen Geologenkongresses in Wien gewählt, war sieben Jahre Präsident der k.k. Geographischen Gesellschaft und erhielt deren höchste Auszeichnung, die Franz-von-Hauer-Medaille. Geologisch stand Tietze stets im Schatten seines übermächtigen Schwiegervaters, den er in einem 148-seitigen (!) Nachruf würdigte.

Emil Tietze, Geologe, Schwiegersohn Franz von Hauers und Schwiegervater von Wilhelm Petrascheck.
Foto: GBA

Eine Tochter Tietzes, Hilde, heiratete Wilhelm Petrascheck (1876–1967), er war – wen wundert’s? – Geologe. Petrascheck lehrte und wirkte an der Montanhochschule in Leoben, wo er auch Rektor war, als international renommierter Lagerstättengeologe. Auch dessen Sohn, Walther E. Petrascheck (1906–1991), war ein namhafter Lagerstättengeologe. Er hatte "die Gabe zu klarer Analyse und zu schöpferischen Ideen" (Walter Pohl) und war als Nachfolger seines Vaters Professor wie auch Rektor in Leoben. Die von Vater und Sohn gemeinsam publizierte "Lagerstättenlehre" erlebte mehrere Auflagen und wurde zum Klassiker.

Die jüngsten Mitglieder des Hauerclans: Vater Wilhelm und Sohn Walther E. Petrascheck, beide renommierte Lagerstättengeologen.
Foto: ÖGG/GBA

Julius von Hauers Karriere in Leoben

Der jüngste der drei Hauersöhne, der 1831 geborene Julius, hatte in Leoben an der montanistischen Hochschule Karriere gemacht. 1862 wurde er hier als Dozent für Mechanik und allgemeine Maschinenkunde berufen und war von 1893 bis 1895 auch Rektor. Im Jahr 1867 erschien sein Buch über "Die Hüttenwesens-Maschinen", 1870 folgten "Die Ventilationsmaschinen der Bergwerke". Sein Schwager Emil Tietze streute ihm im Nachruf (1910) Rosen: "Der Verstorbene galt als hervorragender Fachmann auf dem Gebiet der bergbaulichen Maschinenkunde und seine darauf bezüglichen Verdienste sind auch äußerlich dadurch anerkannt worden, daß sowohl die Bergakademie in Leoben als auch die Technische Hochschule in Wien ihn unter die zurzeit noch sehr kleine Zahl ihrer Ehrendoktoren aufgenommen haben."

Eines gilt für alle: Die Hauers, Tietze und die Petraschecks hinterließen – alle auf ihre Weise – bei der steten Suche nach Neuem Forschungsergebnisse, die auch im 21. Jahrhundert ihre Gültigkeit haben. (Thomas Hofmann, 24.1.2022)