Die Führungsliteratur und die Beraterschaft sind nie verlegen, wenn es um das Ausrufen neuer Qualitäten und Fähigkeiten für Führungskräfte geht. Das liegt in der Natur ihres Geschäfts. Von A wie agil über E wie empathisch, R wie resilient über die speziellen Herausforderungen der Generationen Y bis Z bis zu V wie virtuell reicht die lange Schlagwortliste.

Nicht alles ist für alle Führungskräfte in allen Unternehmen gleich wichtig, richtig oder gar prioritär. Allerdings sind alle im Management mit einigen großen Trends konfrontiert, die je nach Organisation in unterschiedlicher Massivität aufschlagen. Im Wesentlichen geht es darum, in der sich verfestigenden Welt der Remote Work die Menschen in der Organisation zusammen und motiviert und gesund zu halten, damit die Firma möglichst unbeschadet von den massiven äußeren Einflüssen in die Zukunft gehen kann.

Zusammenhalt, mentale Gesundheit und die Sinnfrage im Job werden in diesem Jahr einige Führungskräfte beschäftigen.
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Um diese drei Bereiche geht es jetzt:

1. Hybride Belegschaft

Es ist sattsam bekannt: Die Umfragen haben sich überschlagen, in denen gut ausgebildete Junge angeben, sie möchten nur mehr einen Job mit örtlicher Flexibilität. Wer in der Stammbelegschaft in den vergangenen 20 Monaten Homeoffice-Erfahrung gemacht hat, dem gefällt die Mischung aus Zuhause und Büro überwiegend gut. "Nach Corona" wieder Köpfe zählen während der Arbeitsschicht, wird es so nicht geben.

Dazu kommt eine fortschreitende Entwicklung: mit externen Projektteams oder befristeten Mitarbeitenden zu operieren. Die Teams sind also aus unterschiedlichen Gründen verstreut. Viele unterschiedliche Teilzeitlösungen verstärken den Trend zur Heterogenität des Arbeitsorts noch einmal um die zeitliche Komponente.

Für die Führung wird es damit komplexer, die Mann- und Frauschaft in Teams zu formen. Der Agilitätsimperativ bringt außerdem dauernde Umformungen mit sich.

Kompetenzen in der Moderation virtueller Meetings, technisches und performatives Know-how sind somit zum Basic geworden. Gefragt ist ungleich mehr Einsatz von Zeit und Energie für die jeweils beteiligten Menschen. Nebenbei zu führen (wie das viele Jahre gern gemacht wurde) wird also zunehmend unmöglich. Die Rolle der Vorgesetzten wird noch einmal zentraler.

2. Corporate Wellbeing

Nach fast zwei Jahren Pandemie und den aktuellen Problemen mit dem Ausfall von immer größeren Teilen der Belegschaft ist klar: Sich um die Gesundheit – nicht nur um die Arbeitsfähigkeit – der Menschen im Unternehmen zu kümmern, gehört zu den obersten Prioritäten. Das Schlagwort dazu im Berater-Deutsch: Corporate Wellbeing.

Zusatzkurse in Yoga und Ernährung seien zwar gut, aber tatsächlich sei das Wohlbefinden tief innen ins Design der Arbeit und deren Abläufe zu integrieren, lautet der Imperativ. Es gehe um Antworten der Arbeitswelt auf das menschliche Bedürfnis nach Lebensqualität. Eine spannende und nicht ungefährliche Entwicklung, wenn Führungskräfte und damit der Arbeitgeber sich immer tiefer in Gesundheitsfragen der Mitarbeitenden einmischen.

Für Menschen mit Personalverantwortung wird jedenfalls akut, mit Verdacht auf depressive Störungen, sich anbahnenden Burnouts und verschiedensten Erschöpfungs- und Einsamkeitssymptomen umgehen zu können und Hilfe in petto zu haben.

Dazu braucht es nicht nur Schulungen im Beobachten und Ansprechen der Situation, sondern zugrunde liegend auch eine Art der Beziehung zu den Mitarbeitenden, die das überhaupt ermöglicht.

3. Das Wofür im Fokus

Alles hängt irgendwie zusammen: Hat die Firma den Ruf, miese Führungskräfte und null Wertschätzung zu haben, dann laufen die Leute (wenn sie können) davon. Inmitten wachsender Personalknappheit wird das Recruiting noch schwieriger. Die Kunden werden bald so unzufrieden wie die Mitarbeitenden intern.

Dreh- und Angelpunkt wird zunehmend – nicht nur in privilegierten Jobs – das Wofür. Wozu mache ich diese Arbeit? Was bewirkt sie? Da kommt das große Sinnthema ins Spiel. Nein, es geht nicht darum, anderen Menschen einen Sinn vorzusagen, sondern klar besprechbar zu machen, wofür das Unternehmen steht. Da liegt viel auf den Schultern der Führungskräfte, weil sie jetzt verstärkt dafür sorgen müssen, dass der "innere Deal" der Leute stimmt. In aller Diversität reicht die Palette vom Wohl des Planeten bis zu einer als fair empfundenen Entlohnung, damit die Arbeit als sinnvolle, das Leben finanzierende Grundlage gesehen werden kann.

Praktisch haben die vergangenen Monate bereits gezeigt, dass die Belegschaften selbstbewusster geworden sind, mehr fordern und mehr mitreden wollen. Umstellungen auf Viertagewochen in verschiedensten Branchen als Antwort darauf sind ebenso ein Symptom wie die lauten Rufe nach empathischen Chefs, die Hirn und Herz ansprechen. (Karin Bauer, 24.1.2022)