"Der folgende Text dürfte eigentlich gar nicht erscheinen" – so begann der Leitartikler im "Kurier" vorigen Sonntag.

Foto: Faksimile Kurier

Was man darf und was nicht, ist in Zeiten der Auseinandersetzung um die Impfpflicht von besonderem Interesse. Zur Erholung vom aktuellen Streit lenkte ein Leitartikel im "Kurier" vom Sonntag die Frage der Angemessenheit auf ein anderes Thema um, auf welches, werden Sie sofort merken.

Er hub vielversprechend an. Der folgende Text dürfte eigentlich gar nicht erscheinen. Nach dieser Warnung war man von der Begründung nicht mehr überrascht. Denn er ist von einem alten, weißen Mann verfasst. Das hätte sich der "Kurier" ersparen könne, hätte die Chefredakteurin ihres Amtes als Leitartiklerin gewaltet. Oder heißt es LeitartiklerIn? Alter, weißer Mann – das geht zu den Themen Cancel Culture, Political Correctness und gegenständlich Gendersprache gar nicht. Nur wer sich fürs Mannsein manierlich entschuldigt und *, I, Unterstrich und -innen dreifach unterstreicht, darf in moralischer Überlegenheit glänzen und wird als Meinungsträger nicht kastriert.

Der bizarrste Widerspruch überhaupt

Muss man sich Sorgen um die Kollegen im "Kurier" machen? So eine Schlamperei wie das Vergessen eines * oder I kann einem gegen Redaktionsschluss leicht unterlaufen, für manierliche Entschuldigungen ist keine Zeit, und schon wird operiert? Ein Fall für den Presserat!

Der Autor findet nämlich, dass just im Namen besagter politischer Korrektheit Rede- und Denkverbote verhängt werden, ist der bizarrste Widerspruch überhaupt. Genau genommen geht es ihm um Schreibverbote, ein * oder ein I lässt sich nur schwer denken oder reden, auch wenn man sich im ORF zungenbrecherisch darum bemüht. Es wird doch nicht auch auf dem Küniglberg Kastrationsangst herrschen!

Daher seien dennoch, meint der Autor, ein paar Gedanken zum Thema in die Waagschale geworfen – in der anderen Schale liegt ja schon: Die Benachteiligung der Frau ist auch durch die männliche Sprache zementiert; daher ist das Gendern der Sprache unabdingbar. Das ist Unfug.

So leicht lässt sich der alte, weiße Mann nicht kastrieren

So leicht lässt sich der alte, weiße Mann im "Kurier" nicht kastrieren. Zur Kastrationsabwehr holt er sich keinen Geringeren als Konrad Paul Liessmann, was darauf hindeutet, dass die Angst ums Gemächt doch groß ist. Der kluge Philosoph, übrigens ein alter, weißer Mann, erweist sich als Kenner der deutschen Grammatikund als jemand, den lebenslanges Philosophieren gegen Kastrationsängste gestählt zu haben scheint. Er tröstet den Leitartikler des "Kurier", mit dem generischen Maskulinum würden ja Menschen und Dinge völlig unabhängig vom biologischen Geschlecht oder der sexuellen Orientierung benannt.

Über das biologische Geschlecht oder die sexuelle Orientierung von Dingen wollen wir nicht weiter räsonieren, aber wo es um Menschen geht, da weiß der Leitartikler, philosophisch inspiriert, um den Familienschmuck zu kämpfen. "Die" Führungskraft ist grammatikalisch weiblich, dennoch sind mehr als drei Viertel der Führungskräfte Männer. Aber eben nicht völlig unabhängigvom biologischen Geschlecht, unddas nur deshalb, weil Grammatik üblicherweise nicht zur Unternehmenskultur gehört. "Der" Bürger meint natürlich alle Männer und Frauen, und was könnte natürlicher sein als die Grammatik, sie wächst schließlich auf den Bäumen.

Weil auch die Toten gendern, gibt es immer noch den Leichnam

Seinen stärksten Trumpf spielt der Autor zuletzt aus. "Die" Leiche ist weiblich, weil Begriffe, die auf -e enden, weiblich sind und nicht nur Frauen sterben. Zum Beispiel "der" Kollege, oder "der" Zeitgenosse, obwohl auch die dem Sterben nicht entkommen. Oder schon ausgestorben: "der" Kelte. Aber "die" Kälte, weil ja Begriffe, die auf -e enden, weiblich sind. Und weil auch die Toten gendern, gibt es immer noch den Leichnam.

Das selbstkritische Gelöbnis vom Anfang – Der folgende Text dürfte eigentlich gar nicht erscheinen –ist nicht eingelöst worden. Trotzdem konnte man viel daraus lernen, vor allem über die Ängste alter, weißer Männer. Und für dieses Bekenntnis in eigener Sache muss man dem "Kurier" dankbar sein. Was die Grammatik betrifft, ist das Blatt ganz in Ordnung. Der Titel des Leitartikels lautet übrigens: Das Argument ist sächlich. Klar, da ist ja auch kein -e am Ende.

Inseratenkastration ist reversibel

Was gab es diese Woche sonst noch? In der freiheitlichen "Zur Zeit" hat man ebenfalls Vorbehalte gegen das Gendern. Dort herrschen bekanntlich alte, weiße Männer, an denen noch alles dran ist und die das an anderen mühelos erkennen. Auch die Fellner-Sippe ist scheinbar nicht mehr auf Regierungslinie, suchen sie Gleichgesinnte. Sie vergessen nur: Inseratenkastration ist reversibel. (Günter Traxler, 22.1.2022)