32 Jahre Altersunterschied trennten Helmut Horten von Heidi Jelinek, die 1966 seine zweite Ehefrau wurde. Der Kaufhausmagnat starb 1987.

Foto: Heidi Horten Collection/Standard-Montage

Das Wort "Nazi-Makel" ist im Umfeld der Milliardärin Heidi Goëss-Horten, bei ihrem Tross an Anwälten und Beratern, längst zum Reizbegriff mutiert. Irgendwie kann man es der bald 81-jährigen Erbin des 1987 im Schweizer Tessin verstorbenen Helmut Horten nicht verdenken. Sie selbst ist Jahrgang 1941, kam am 13. Februar in Wien zur Welt. Mit dem Aufstieg ihres Mannes zum Kaufhausmagnaten während des Regimes der Nationalsozialisten hat sie nichts zu tun.

Mit dem Vermögen, das aus jenen Jahren wurzelt, allerdings schon. Es bot die Grundlage für den Start der Nachkriegskarriere des Selfmademan, der "zu jenen Unternehmerpersönlichkeiten" avancierte, "welche die Bundesrepublik Deutschland in der Nachkriegszeit zur wirtschaftlichen Blüte gebracht haben". So der Wortlaut auf der Website der Schweizer Horten-Stifung, die am 22. Oktober 2021 ihr 50-jähriges Bestandsjubiläum feierte.

Reaktion auf "Faz"-Artikel

Da lag das Gutachten, das nun über die Rolle des Stifters als mutmaßlichem Ariseur und Nazi-Profiteur befindet, entsprechend der vertraglichen Vereinbarung wohl bereits vor. Eine zeitnahe Debatte oder gar Berichterstattung darüber hätte die Feierlaune womöglich getrübt. Einerlei. Nachdem am Dienstag in der FAZ unter dem Titel "Der Kaufhaus-König im 'Dritten Reich'" ein Artikel der beiden Prüfer erschienen war, veröffentlichte man am Donnerstag auch das Gutachten "über den Vermögens- und Geschäftsaufbau" Hortens "im Kontext der 'Arisierung' in der Zeit des 'Dritten Reiches'": downloadbereit sowohl auf der Website der Stiftung als auch auf jener der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Letztere ist der Arbeitsplatz der beiden Historiker, die im November 2020 von Heidi Goëss-Horten mit dem Gutachten beauftragt wurden: Peter Hoeres, der dort den Lehrstuhl für Neueste Geschichte leitet, und sein Mitarbeiter Maximilian Kutzner. Um gleich vorweg ein Missverständnis zu vermeiden: Die Universität hatte mit dem privaten Forschungsauftrag nur so viel zu tun, als die Korrespondenz über ihren Mailaccount lief.

Wie kam der Auftrag zustande?

Wie es überhaupt zur Auftragsvergabe kam? Heidi Goëss-Horten waren Medienberichte, die sich – seit der öffentlichen Präsentation von Teilen ihrer Kunstsammlung im Leopold-Museum 2018 und dem Bekanntwerden ihres geplanten Privatmuseums – nicht nur kritisch, sondern überhaupt mit diesem Kapitel der Vergangenheit ihres einstigen Ehemannes beschäftigten, ein Dorn im Auge.

Sie selbst äußerte sich dazu nie, ihre Berater schon: Die Wortwahl "NS-Profiteur" und "Ariseur" sei unrichtig. Eine Ansicht, die man – Begriffsinterpretation hin oder her – auch irgendwann mal belegen können musste.

Das innert weniger als einem Jahr erarbeitete und nun vorliegende Forschungsergebnis umfasst mehr als 200 Seiten. Inwieweit bei diesem Privatgutachten die wissenschaftliche Unabhängigkeit gewahrt wurde, erschließt sich auf den ersten Blick nur bedingt. Diese sei eine Grundvoraussetzung für die Vertragsunterzeichnung gewesen, heißt es.

Auch dazu wurde ein Segen eingeholt. Heidi Goëss-Horten beauftragte damit Michael Wolffsohn. Der Historiker lehrte von 1981 bis zu seiner Pensionierung 2012 an der Uni der Bundeswehr München. Dort sei er längst nicht mehr tätig, wie ein Anruf an der Uni ergab. Den Briefkopf seiner ehemaligen Wirkstätte hat er trotzdem noch in Verwendung: Der Expertise zufolge bescheinigt er dem Kollegen Peter Hoeres die Vorlage eines "methodisch und inhaltlich höchst überzeugenden Gutachtens", das "auch Zweiflern" erlaube, die Schlussfolgerungen nachzuvollziehen.

Gelegenheiten genutzt

Demnach habe Horten als engagierter und "stets elegant gekleideter" Unternehmer verstanden, die Gelegenheiten für sich zu nutzen, die ihm die Umstände seit der Nazi-Machtübernahme Anfang 1933 boten, die er ja nicht selbst herbeigeführt hatte: Bei der von 1936 gezielt betriebenen "Übernahme" von Kaufhäusern aus jüdischem Vorbesitz habe er – kurz gefasst – "vergleichsweise fair" agiert. Dass die jüdischen Eigentümer unter dem zunehmenden Druck der Verfolgung bei "Arisierungen" in der denkbar ungünstigsten Verhandlungsposition standen, sei erwähnt.

So hatte sich etwa im Falle des Kaufhauses der Gebrüder Alsberg in Duisburg aufgrund der von den Nazis betriebenen Boykottmaßnahmen und Einschüchterungen potenzieller Kunden der Umsatz von 1933 bis 1936 nahezu halbiert. Im Gutachten wird mehrfach auf das "erhebliche Risiko" im Hinblick auf "große finanzielle Verbindlichkeiten" verwiesen, für die Horten bei "Misserfolg seiner Aktivitäten persönlich" gehaftet hätte.

In vielen, wenngleich nicht in allen Fällen kam Horten Wiedergutmachungsansprüchen nach, die von Vorbesitzern nach Ende des Zweiten Weltkrieges beantragt wurden. Neu ist, dass Horten auch in Rüstungsgeschäfte involviert war. Konkret beim Flugzeugwerk Johannisthal, wo Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Eine Praxis, die von Horten und einem Geschäftspartner nach ihrem Einstieg als Mitgesellschafter im Juni 1943 auch noch intensiviert wurde: Zurückzuführen sei das "auf den sich zuspitzenden Mangel an heimischen Arbeitskräften".

Rückblickend wohlwollendes Bild

Der überwiegende Teil des Gutachtens bezieht sich auf Erkenntnisse aus den Akten der Lastenausgleichsverfahren. Zeugenaussagen aus dem Entnazifizierungsverfahren, die gemeinhin mit Vorsicht zu genießen sind, zeichnen rückblickend ein wohlwollenderes Bild, als es womöglich tatsächlich angebracht wäre.

Die nach Kriegsende verfügbaren Vermögenswerte, so die Historiker, hätten sich in Grenzen gehalten. "Als Horten 1948 seinen Wiederaufstieg begann, konnte er nur auf stark reduzierte Mittel zurückgreifen." "Was nach wie vor schmerzlich fehlt", heißt es in der Zusammenfassung der Gutachter, sei "eine seriöse Biografie Helmut Hortens". Eine indirekte Bewerbung bei der Milliardärin, die Erfolg zeigte: Peter Hoeres und Maximilian Kutzner arbeiten nun an einer solchen. Ein lukrativer Folgeauftrag. Allein für das nun vorliegende Gutachten könnten 300.000 Euro oder auch mehr bezahlt worden sein.

Nun, da es vorliegt, können andere Historiker die Möglichkeit nützen, mit ihren Recherchen anzuknüpfen. Etwa im privaten Umfeld von Nachfahren all jener jüdischen Geschäftsleute, die ihre Unternehmen an Horten abtraten. Oder auch nicht, wie es dem Gutachten zufolge beim niederländischen Modekonzern "Gebrüder Gerzon" der Fall gewesen sei.

In den Verhandlungen dürfte Horten den jüdischen Eigentümern sogar einen Aufenthalt im KZ angedroht haben. Das soll aus eidesstattlichen Erklärungen hervorgehen, die sich im Nachlass des damaligen Vorstandsmitglieds Reinhold Stephan erhalten haben. Dessen Tochter war von Kutzner kontaktiert und um Einsicht in ihr Privatarchiv gebeten worden.

Dass er im Auftrag von Hortens Witwe forschte, hatte er aber nicht erwähnt. Stephans Tochter verweigerte jedenfalls. Noch heuer wird ihr Buch über den Fall und die damit befasste Nachkriegsjustiz veröffentlicht. (Olga Kronsteiner, 22.1.2022)