Der Druck der Öffentlichkeit im Jahr 2010 veranlasste letztlich Kardinal Schönborn einzuräumen, dass in der Vergangenheit die Täter oft mehr geschützt worden seien als die Opfer.

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Vor zwölf Jahren schien die österreichische Kirche noch eine Insel der Seligen zu sein. Die Affäre rund um Kardinal Groer war zwar nicht vergessen, ebenso wenig die "Bubendummheiten" im St. Pöltner Priesterseminar. Doch während damals etwa Deutschland schon im Fokus der Berichterstattung über sexuellen Missbrauch stand und die Kirche in Irland, Australien und den USA Millionenzahlungen an Opfer zugestehen musste, war die klerikale Lage in Österreich noch ruhig.

Doch es sollte die Ruhe vor dem Sturm sein. Im Februar 2010 geht das erste Opfer an die Öffentlichkeit. In der Kleinen Zeitung berichtet ein Obersteirer über schweren sexuellen Missbrauch in seiner Kindheit durch den verstorbenen Pfarrer von St. Gallen, einen Benediktinerpater.

Angesichts rasant steigender Fallzahlen berät Anfang März die Bischofskonferenz über den Umgang mit Missbrauchsfällen. Der Druck der Öffentlichkeit veranlasst letztlich Kardinal Schönborn einzuräumen, dass in der Vergangenheit die Täter oft mehr geschützt worden seien als die Opfer. Anfang April wird dann Waltraud Klasnic als unabhängige Opferbeauftragte der katholischen Kirche präsentiert.

2642 Fälle entschieden

Seit 2010 hat die Opferschutzkommission 2642 Fälle zugunsten von Betroffenen entschieden (Stand: 31. Dezember 2021). 86 Fälle sollen noch in Bearbeitung sein, in 289 Fällen wurden weder finanzielle Hilfe noch Therapie zuerkannt. Den Betroffenen wurden bisher insgesamt 33,6 Millionen Euro zuerkannt: 26,6 Millionen Euro als sogenannte Finanzhilfen, sieben Millionen Euro für Therapien.

Österreichs Kirche habe durch den Fall Groer relativ früh eine völlige Kehrtwende vollziehen müssen, sagt Pastoraltheologe Paul Zulehner. Dadurch sei man in Österreich der "weltkirchlichen Sicht weit voraus". Klar sei aber auch: "Erledigt ist so etwas natürlich nie", sagt Zulehner zum STANDARD.

Die Kirche müsse über das "überhöhte Priesterbild" ebenso nachdenken wie über strukturelle Fragen, die derartiges Verhalten ermöglichen. Zulehner: "Es geht um Generalprävention, um die Kinder zu schützen. Wichtig ist es auch, die Veränderungen in der Gesamtgesellschaft anzuerkennen. Hier muss die Kirche Kante zeigen."

Die Arbeit der Ombudsstelle funktioniere grundsätzlich gut, nur stelle sich hier immer wieder die Frage: Wird gemeldet? "Natürlich gibt es eine Dunkelziffer. Man muss die Leute viel stärker ermutigen, sich zu äußern", so der Pastoraltheologe. (Markus Rohrhofer, Peter Mayr, 22.1.2022)