Laut dem Obersten Gerichtshof haftet der Hersteller eines Tresors für dessen Diebstahl. Das Produkt war auf der Website des Unternehmens irreführend beworben worden.

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Manchmal sind es gerade die ungewöhnlichen Fälle, die zu weitreichenden Entscheidungen führen. Das dachte sich auch Rechtsanwältin Melanie Haberer, als ihr Mandanten von einer Geschichte rund um falsche Werbung, einen Tresor und verschwundene 60.000 Euro erzählten. Aus Sicht von Haberer war der Fall ideal, um zu beweisen, dass bei unlauteren Geschäftspraktiken wie irreführender Werbung auch Verbraucher Ersatz fordern können.

In einer Entscheidung, die der Oberste Gerichtshof (OGH) vergangene Woche veröffentlichte, hat das Höchstgericht Haberers Rechtsansicht nun bestätigt – und eine Frage beantwortet, die unter Juristinnen und Juristen bisher höchst umstritten war. Laut OGH-Richter dürfen bei unlauteren Geschäftspraktiken wie irreführender Werbung auch Verbraucher Schadenersatz fordern – und nicht nur die Mitbewerber (OGH 16.12.2021, 4 Ob 49/21s).

Bis zum OGH war es ein weiter Weg, die Geschichte rund um den Tresor begann bereits im Jahr 2016: Als ein Paar aus Wien, langjährige Mandanten von Haberer, eines Tages nach Hause kamen, war der Safe in ihrer Wohnung leer – und 60.000 Euro scheinbar für immer verloren.

Safe aus dem Fachhandel

Das Paar hatte den Safe im Fachhandel gekauft und sich deshalb dafür entschieden, weil er auf der Website des Herstellers mit der Sicherheitsstufe EN-1 beworben wurde – jene Sicherheitsstufe, die die Haushaltsversicherung im Versicherungsvertrag voraussetzte. Als sich die Lebensgefährten kurz nach dem Diebstahl an ebenjene Versicherung wandten, blitzten sie aber ab. Der Tresor habe die Kriterien für EN-1 nämlich gar nicht erfüllt.

Von der Versicherung war für das Paar also nichts zu holen. Auch der Verkäufer des Tresors war nicht greifbar, weil das Unternehmen nicht mehr existierte. Den Lebensgefährten drohte, auf dem Schaden sitzenzubleiben. "Eine höchst unbefriedigende Situation", sagt Rechtsanwältin Haberer. "Schließlich wurde der Tresor falsch beworben, und zwar vom Unternehmen, das ihn in den Verkehr brachte."

Ausweitung durch Gericht

Das Paar zog also wieder vor Gericht, dieses Mal aber direkt gegen den Hersteller. Das Argument: Die falschen Angaben auf der Website seien eine irreführende Geschäftspraktik und damit ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht gewesen. Die Werbung sei für den Schaden von 60.000 Euro auch verantwortlich gewesen. Denn hätte der Safe die erforderliche Sicherheitsstufe erfüllt, wäre die Haushaltsversicherung verpflichtet gewesen, die Versicherungssumme zu bezahlen.

Die Richter am Landesgericht und am Oberlandesgericht Wien ließen sich davon aber nicht überzeugen. Zwischen den Käufern und dem Hersteller gebe es keinen Vertrag. Auch ein Anspruch wegen einer irreführenden Geschäftspraktik scheide aus. Denn bei Verstößen gegen den unlauteren Wettbewerb hätten nur Mitbewerber einen Anspruch auf Schadenersatz.

Die Höchstrichter sahen das in ihrem aktuellen Beschluss nun anders: Sie haben das Urteil aufgehoben und die Sache zurück ans Landesgericht verwiesen. Warum bei einem Wettbewerbsverstoß zwar geschädigte Mitbewerber Schadenersatz fordern können, Verbraucher jedoch nicht, sei "wertungsmäßig nicht nachvollziehbar". Das Paar dürfe den Anspruch daher direkt an den Produzenten richten.

"Damit ist klargestellt, dass bei falschen Werbeangaben für Verbraucher ein direkter Anspruch gegen den Hersteller besteht", sagt Anwältin Haberer. Das sei vor allem dann von praktischer Relevanz, wenn der Händler insolvent oder sonst nicht greifbar ist. Auch das Produkthaftungsgesetz ist in derartigen Fällen nicht anwendbar. Denn das Gesetz erfasst nur Schäden, die durch das Produkt an anderen Gegenständen oder Menschen verursacht werden.

Einengung durch Gesetz

Ob es künftig öfter derartige Verfahren geben wird, ist laut Anwältin Tatjana Krutzler schwer zu beurteilen. In puncto Schadenshöhe sei der aktuelle Fall eher ein Ausreißer. "Bei den tagtäglichen Irreführungen, denen Verbraucher ausgesetzt sind, geht es meist um weit weniger Geld", sagt Krutzler. "In Zukunft können sich Kunden aber auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofs berufen."

Ähnlich sieht das Mathias Görg, Rechtsanwalt und Experte für Wettbewerbsrecht. Die Entscheidung werde durchaus Wellen schlagen, und dadurch entstehe wiederum eine "eigene Dynamik".

"Die Entscheidung ist richtig und eine wichtige Klarstellung", meint auch Friedrich Rüffler, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Wien. "Abgesehen davon kommt sie zu einem äußerst interessanten Zeitpunkt." Österreich setze derzeit eine Richtlinie um, die die Ansprüche von Verbrauchern bei Wettbewerbsverstößen explizit festschreibt. Nach dem Entwurf, der derzeit zur Begutachtung aufliegt, käme es im Vergleich zur OGH-Entscheidung aber zu einem "empfindlichen Rückschritt im Verbraucherrecht", kritisiert Rüffler.

Spielraum bei der Umsetzung

Der Gesetzesentwurf, der vom Wirtschaftsministerium ausgearbeitet wurde, sieht nämlich vor, dass nur "offensichtliche" Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht zu Schadenersatz führen sollen. Außerdem wird der Anspruch auf irreführende und aggressive Geschäftspraktiken eingeschränkt.

"Die EU-Richtlinie gibt das her, die Nationalstaaten haben bei der Umsetzung einen erheblichen Spielraum", sagt Görg. Fraglich sei aber, was mit einem "offensichtlichen Verstoß" gemeint sei. In den Erläuterungen zum Entwurf werde lapidar auf diejenigen Sachverhalte verwiesen, über die bereits "in der Judikatur" als unlautere Geschäftspraktik abgesprochen wurde.

"Wenn der Nationalrat das so beschließt, würde der Schutzstandard wieder hinter die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zurückfallen", kritisiert Rüffler. "Das wäre ein erheblicher Rückschritt." (Jakob Pflügl, 24.1.2022)