Polizeiminister Omer Bar-Lev war zum Zeitpunkt, auf den sich die Spionagevorwürfe beziehen, noch nicht im Amt. Er weist sie dennoch zurück.

Foto: Imago

Die Vorwürfe wiegen schwer: In der Ära von Israels Ex-Premier Benjamin Netanjahu, der seit Juni 2021 mit der Oppositionsbank vorliebnehmen muss, habe die Polizei Netanjahu-Gegner auf Schritt und Tritt überwacht – bis hin zu Details aus ihrem Sexleben. Das geht aus investigativen Recherchen der Plattform Calcalist hervor.

Es besteht der Verdacht, die Polizei habe ohne jede gerichtliche Kontrolle umfangreiches Datenmaterial gesammelt, um auf Indizien zu stoßen, die dabei helfen sollten, später von Untersuchungsrichtern grünes Licht für legales Schnüffeln zu erhalten. Anders gesagt: Anstatt einen konkreten Tatverdacht durch Überwachung zu erhärten, wurde pauschal überwacht – in der Hoffnung, man möge schon irgendeinen Verdachtsmoment finden. So weit der Vorwurf. Die Polizei dementiert, die Affäre wird nun untersucht.

Beschattung beim Dating

"Verkehrt mit Männern, obwohl er verheiratet ist" – diese Notiz soll die Polizei etwa über einen engagierten Anti-Netanjahu-Aktivisten angelegt haben, um sich mit dieser Information einen "Hebel in Ermittlungen" zu verschaffen. Hacker hätten mitgelesen, welche Dates sich der Aktivist auf einer Datingplattform für Schwule ausgemacht habe – um dann die lokale Polizeistation zu beauftragen, sich für den Termin des Rendezvous bereitzuhalten.

Die Affäre rückt erneut jenes israelische Unternehmen ins Licht, das im vergangenen Sommer mit einem Schlag einer breiten Öffentlichkeit weltweit bekannt wurde: die NSO Group. Im Juli 2021 deckte ein breites Recherchenetzwerk von Journalisten aus zahlreichen Ländern auf, dass die NSO-Gruppe ausgeklügelte Spionagesoftware an autoritäre Regimes verkauft hat. Die Trojanersoftware Pegasus wurde dabei auch in der EU entdeckt – zum Beispiel auf Smartphones von Kabinettsmitarbeitern des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die zum Ziel wurden.

Später wurde bekannt, dass auch Mitarbeiter von US-Botschaften von der Spionage betroffen waren. Das US-Handelsministerium setzte NSO auf die Sanktionsliste.

Einsatz ohne Tatverdacht

Die israelische Regierung unter Naftali Bennett sah sich daraufhin gezwungen, die Ausfuhrgenehmigungen für NSO-Produkte zu limitieren, nachdem Bennetts Amtsvorgänger Netanjahu dem Staatstrojaner-Entwickler jahrelang den Marktzutritt in über 100 Staaten ermöglicht hatte.

Polizeiminister Omer Bar-Lev bestreitet die Vorwürfe, dass ohne gerichtliche Kontrolle bis in intimste Details geschnüffelt wurde. Der Generalstaatsanwalt hat nun eine Untersuchung der Vorwürfe angeordnet. Indes berichtet Calcalist in einer weiteren Enthüllung, dass Pegasus auch gegen drei Bürgermeister eingesetzt wurde – angeblich ohne konkreten Tatverdacht.

Bar-Lev gab am Sonntag zu, dass die Affäre das ohnehin geschwächte Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in die Polizei belaste.

Der Sicherheitsapparat steht auch wegen jüngster Gewaltattacken im Westjordanland in der Kritik. Eine Gruppe israelischer Extremisten hat am Freitag palästinensische Olivenbauern und deren israelische Unterstützer mit Schlagstöcken und Steinen attackiert – nicht zum ersten Mal. Dennoch zog der Vorfall, den Bar-Lev einer "terroristischen Organisation" zuschreibt, bislang keine Festnahmen nach sich. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 24.1.2022)