Mehr Helm als Brille ist das Gerät von Vaqso, das die virtuelle Welt auch olfaktorisch erlebbar machen soll.

Foto: Vaqso

Geht es nach Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dann werden wir künftig im Metaverse leben. Mit einer VR-Brille klinkt man sich in das digitale Paralleluniversum ein, sitzt mit seinem Avatar an virtuellen Konferenztischen und trifft sich danach zur virtuellen After-Work-Party wie in Neal Stephensons Science-Fiction-Roman Snow Crash. Künftig soll es möglich sein, sich auch an historische Orte wie das Forum Romanum zu teleportieren und durch die Zeit zu reisen, wie in der Facebook-Präsentation zu sehen war.

Doch wer schon einmal eine Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf hatte, wird festgestellt haben, dass der virtuelle Raum recht schemenhaft ist. Die Avatare wirken hölzern und steif wie Pappkameraden, die virtuellen Objekte wie Kulissen. Zwar spürt man Vibrationen und Berührungen, die beim Kontakt mit Körpern und Gegenständen entstehen, aber keine Kälte oder Wärme. Zudem ist die virtuellen Realität geruch- und geschmacklos.

Das könnte für viele Unternehmen, denen das Metaverse als Werbeplattform angepriesen wird, zum Problem werden: Wie will man Parfum verkaufen, ohne dass man es proberiechen kann? Wer mietet eine virtuelle Strandvilla, wenn man die sanfte Meeresbrise nicht auf der Haut spürt? Worin besteht der Reiz eines virtuellen Dinners, wenn man es nicht schmecken kann?

Brillen für die Nase

Forscherinnen und Forscher tüfteln daher an Technologien, mit denen sich auch Berührungs-, Geschmacks- und Geruchssinn stimulieren lassen. So hat das japanische Start-up Vaqso vor einigen Jahren einen Duft-Dispenser entwickelt, der das VR-Erlebnis mit Gerüchen anreichert. Auf das VR-Headset wird mit einem Magnet ein Aufsatz befestigt, der mit 15 verschiedenen Kartuschen befüllt werden kann – von Ozean über Karamell bis hin zu Schießpulver. Läuft der Nutzer mit seinem Avatar durch ein virtuelles Café, verströmt der Dispenser Kaffeegeruch. Noch handelt es sich um einen Prototyp, doch das Geruchserlebnis könnte die Immersion kompletter machen.

Neurowissenschaftliche Studien belegen, dass sich wohlriechende Düfte positiv auf das Kaufverhalten auswirken. Wo es gut riecht, shoppt man gerne. Das können sich die virtuellen Ladenbesitzer zunutze machen. Ist man im Metaverse von einem Duft betört, kann man das Produkt gleich nach Hause ordern. Bedürfnisse wie Essen und Trinken lassen sich noch nicht in der virtuellen Realität befriedigen – aber auch das könnte sich ändern.

Virtueller Geschmack

So hat der japanische Forscher Hiroo Iwata von der Universität Tsukuba bereits 2003 einen "Nahrungsmittelsimulator" entwickelt, der bestimmte Geschmäcke nachahmt – von Keksen bis zu Käse. Der Nutzer führt eine Stethoskop-artige Konstruktion in den Mund ein, die mit einer winzig kleinen Tube Geschmacksrichtungen auf die Zunge spritzt: süß, sauer, bitter, salzig und umami. Während man auf einem Gummiüberzug herumkaut, tönt aus einem Lautsprecher das Geräusch des kauenden Kiefers. Der Simulator war mehr Kunstinstallation als VR-Zubehör, doch mittlerweile ist die Forschung um einiges weiter.

Der Computerwissenschafter Nimesha Ranasinghe tüftelt schon seit Jahren an Apparaturen, die durch elektrische Stimulation der Zunge Geschmacksempfindungen auslösen. Der Hintergrund: Die Zunge ist in verschiedene Geschmackszonen aufgeteilt. Dort sitzen Geschmacksknospen, die über Nervenbahnen mit dem Gehirn kommunizieren. An der Zungenspitze schmeckt man Süßes, an den Rändern Salziges, hinten Bitteres.

Ranasinghe und seinen Forschungskollegen gelang es mittels elektronischer Stäbchen nicht nur, die Intensität dieser Geschmacksrichtungen zu modulieren, sondern bei Probanden, die ungesalzene Kartoffeln aßen, auch die Illusion von Salz zu erzeugen. Mit einem Geschmacks-Synthesizer könnte man nicht nur Getränke oder Gerichte in die virtuelle Realität teleportieren und Geschmackserlebnisse teilen, sondern auch den Salzkonsum reduzieren, der in zu hoher Dosis ein Risikofaktor für Bluthochdruck ist.

Pfefferminz und Chili

Auch die taktile Wahrnehmung lässt sich in der virtuellen Realität simulieren. Forscher der Universität Chicago haben im vergangenen Jahr ein VR-Headset entwickelt, das durch das Versprühen von Chemikalien in die Nase Rezeptoren im Drillingsnerv aktiviert und damit Kälte- oder Wärmeempfindungen provoziert. Der Nerv fungiert wie eine Art Thermometer: Riecht man beispielsweise Pfefferminz, fühlt sich das kalt an, weil Menthol denselben Rezeptor wie bei der Kälteempfindung triggert.

Umgekehrt verhält es sich mit Chilischoten: Das darin enthaltene Capsaicin reizt sensorische Nerven, die sonst erst bei einer Außentemperatur von über 43 Grad Celsius aktiviert werden. Mit Botenstoffen lässt sich die Temperaturwahrnehmung wie an einem Thermostat regulieren. Allerdings geben die Forscher zu bedenken, dass die von ihrer Apparatur ausgelöste Wärme- und Kälteempfindung noch sehr auf das Gesicht begrenzt ist.

Kinokarte mit Riechflächen zum Rubbeln für John Waters’ Film "Polyester" (1981). Das Geruchskino konnte sich nicht durchsetzen.
Foto: Wikipedia/Gerd Hofmann

Hinzu kommt: Die Temperaturwahrnehmung ist zwischen Geschlechtern ganz unterschiedlich. Wo Frauen frieren, ist es für Männer gerade noch angenehm. Auch die olfaktorische Wahrnehmung ist von Mensch zu Mensch verschieden. Was für den einen gut riecht, ist für den anderen Gestank. Das Problem: Für Gerüche gibt es keine Farbtabelle. Die Herausforderung besteht also darin, Gerüche so zu synthetisieren, dass sie für die meisten Nutzer einigermaßen gleich sind.

Das Potenzial ist jedenfalls groß: Man stelle sich vor, bei einer VR-Ausstellung den Rosenduft im alten Rom riechen zu können oder in der Schlacht von Waterloo anno 1815 den Geruch von Schießpulver. Geschichte wäre ganz anders erfahrbar. Vielleicht wird es dereinst Generationen geben, die nicht mehr wissen, wie ein Buch riecht, weil man nur noch E-Books liest.

Rettung der Gerüche

Forscher der Universität London versuchen daher, mit sogenannten "smellmaps" den Geruch von bestimmten Orten, wie etwa dem Marais-Viertel in Paris, chemisch zu konservieren und vor dem Aussterben zu retten. Gerüche lösen ja auch Erinnerungen aus, die mit bestimmten Orten (etwa der Kindheit) verknüpft sind. Mit dem Medium der virtuellen Realität könnten diese Erfahrungen per Knopfdruck reaktiviert werden.

Aldous Huxley hatte in seinem dystopischen Roman Schöne neue Welt schon 1932 die Vision von einem "Super-Stereo-Ton-Farben- und Fühlfilm mit synchronisierter Duftorgel-Begleitung". 1960 startete in den USA dann das Geruchsfernsehen (Smell-O-Vision): Passend zur Filmpremiere von The Scent of Mystery wurden über die Klimaanlage des Kinosaals 30 verschiedene Düfte auf die Sitze gepumpt – darunter Wein, gebackenes Brot oder Schuhcreme. Um eine olfaktorische Reizüberflutung wie in einer Parfümerie zu vermeiden, wurde nach jeder Szene ein Neutralisierungsspray versprüht. Allein Smell-O-Vision floppte. Der Geruch verteilte sich nicht gleichmäßig, manche bekamen zu viel ab, andere zu wenig, in einigen Sitzreihen begann das große Niesen. Auch das sogenannte 5D-Kino, eine Kombination aus 3D, Wind- und Nebeleffekten, Düften sowie Rüttelsitzen, konnte sich nicht durchsetzen.

Ob man den faulen Gestank mittelalterlicher Kloaken in historischen VR-Ausstellungen oder den modrigen Geruch von Massengräbern in Computerspielen riechen will, ist eine Frage, die im Metaverse jeder für sich beantworten muss. (Adrian Lobe, 24.1.2022)