In Bosnien könnte sich der Wind drehen.

Foto: ELVIS BARUKCIC / AFP

Diese Woche beginnt eine neue Runde der Verhandlungen über die Reform des Wahlgesetzes in Bosnien-Herzegowina, die von der EU und den USA initiiert wurde. Die bisherigen Verhandlungen haben kein Ergebnis gebracht. Neben technischen Veränderungen, die Betrügereien verhindern sollen und die keiner Verfassungsänderung bedürfen, will die kroatisch-nationalistische HDZ erreichen, dass künftig nur mehr einer ihrer Vertreter als kroatisches Mitglied im Staatspräsidium sitzen kann.

Das bosniakische und das kroatische Mitglied im Staatspräsidium werden im Landesteil Föderation, das serbische Mitglied im Landesteil Republika Srpska direkt von den Bürgern gewählt. Die HDZ kritisiert, dass somit das kroatische Mitglied auch von Nichtkroaten gewählt wird. Derzeit hat das Amt der sozialdemokratisch orientierte Nichtnationalist Željko Komšić inne, der von allen möglichen Nichtnationalisten in Bosnien-Herzegowina gewählt wurde. Laut der bosnischen Verfassung ist vorgesehen, dass ein bosniakischer, ein kroatischer und ein serbischer Vertreter im Staatspräsidium sitzen.

Politisch inakzeptabel

Diese Vertreter können jedoch von allen bosnischen Bürgern gewählt werden – egal ob diese sich irgendeiner Volksgruppe zurechnen oder nicht. De facto wird zurzeit das serbische Mitglied von Serben, das bosniakische Mitglied von Bosniaken, aber das kroatische Mitglied nicht mehrheitlich von Kroaten gewählt. Das stellt zwar keine Diskriminierung dar und ist verfassungskonform, bleibt aber für viele Kroaten politisch inakzeptabel.

Die HDZ hat ihren bisherigen Vorschlag, wonach Ad-hoc-Wahlkreise gebildet werden sollen, aufgegeben. Das hätte bedeutet, dass der kroatische Vertreter vor allem von jenen gewählt werden soll, die in mehrheitlich kroatischen Gebieten leben. Die neue deutsche Bundesregierung hat – so wie die alte – klargestellt, dass eine zusätzliche ethnische Trennung angesichts der bereits vorhandenen ethnopolitischen Verfasstheit des Staates von Berlin nicht unterstützt werden würde. Die Ad-hoc-Wahlkreise würden auch gegen die Verfassung von Bosnien-Herzegowina verstoßen.

Wahl der Bürger korrigieren

Nun schlägt die HDZ vor, dass nach der Wahl der Mitglieder des Staatspräsidiums durch die Bürger diese noch im Haus der Völker "bestätigt" werden sollen. So soll das kroatische Mitglied des Präsidiums auch die Unterstützung der Mehrheit der Delegierten im Klub der Kroaten des Hauses der Völker erhalten. Nach diesem Modell könnte die Wahl der Bürger im Nachhinein "korrigiert" werden, und Komšić hätte keine Chance mehr. Die stärkste bosniakische Partei SDA hat bereits erklärt, dass dieses Modell keinesfalls den europäischen Werten entsprechen würde. Die vorherige Wahl durch die Bürger wäre dann eine Farce.

Die SDA und die HDZ könnten sich aber darauf einigen, dass die beiden Präsidiumsmitglieder (das bosniakische und das kroatische) künftig vom Parlament der Föderation gewählt werden. Doch dann müsste auch das serbische Mitglied des Präsidiums vom Parlament in der Republika Srpska gewählt werden. Diesen Vorschlag hat allerdings der Chef der größten serbisch-nationalistischen Partei SNSD, Milorad Dodik, abgelehnt. Deswegen erscheint ein Kompromiss in der gesamten Sache wenig wahrscheinlich.

SDA will Haus der Völker ändern

Die SDA verlangt zudem, dass in einer Gesamtlösung auch das Haus der Völker in der Föderation entblockiert wird. Seit Jahren verhindert die HDZ dort per Veto Gesetze und verweigert auch die Bildung einer neuen Regierung auf Föderationsebene. Die HDZ will damit erreichen, dass ihre anderen Forderungen erfüllt werden. Bisher wurde in den Verhandlungen zum Wahlgesetz erst einen Tag lang über Möglichkeiten gesprochen, das Föderationsparlament wieder funktionsfähig zu machen. Die SDA möchte, dass im Haus der Völker die Vetomöglichkeiten eingeschränkt werden, damit ein besseres Funktionieren gewährleistet wird.

Die Haltung der Verhandler aus der EU und den USA wird indes von bosnischen Bürgern, den Nichtnationalisten, als "einseitig" kritisiert. Insbesondere Angelina Eichhorst vom Europäischen Auswärtigen Amt (EAAD) erntet Kritik dafür, dass sie vor allem die Positionen der HDZ unterstützt. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass die HDZ seit Jahren über ihre Schwesterpartei in Kroatien erfolgreich versucht, Einfluss in Bosnien-Herzegowina zu nehmen. Die HDZ aus Kroatien ist Teil der mächtigen Europäischen Volkspartei (EVP) und hat durch ihre Lobbyarbeit auch andere europäische Parteien beeinflusst. Unklar ist, weshalb sich Kroatien überhaupt in die Angelegenheiten des Nachbarstaats einmischt, wobei der kroatische Premier Andrej Plenković aber viel gemäßigter und europäischer agiert als der kroatische Präsident Zoran Milanović.

Vorgehen gegen politische Unabhängigkeit

Im Allgemeinen Rahmenabkommen von Dayton – das auch von Kroatien und der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (heute Serbien) unterzeichnet wurde – wird verlangt, "dass die Vertragsparteien insbesondere uneingeschränkt die souveräne Gleichheit respektieren, Streit friedlich lösen und jegliches Vorgehen gegen die politische Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas unterlassen". Der Hinweis auf die Souveränität und politische Unabhängigkeit scheint für die aktuelle Situation relevant zu sein. Denn der Grundsatz gilt insbesondere für das Recht von Bosnien und Herzegowina, ein politisches System zu wählen, ohne dass in irgendeiner Form von einem anderen Staat eingegriffen wird. Weshalb die Einmischung von Kroatien seitens der EU zugelassen wird, ist auch deshalb unklar.

Unterstützung bekommen die Anliegen der HDZ in Bosnien-Herzegowina aber nicht nur vom Nachbarland Kroatien, sondern auch von der russischen Regierung, die auch andere Nationalisten in Südosteuropa unterstützt. Ideen zur Änderung des Wahlgesetzes und der Verfassung, die von anderen Parteien als der HDZ vorgelegt wurden, wurden jedenfalls in den Verhandlungen der EU und der USA nicht einmal besprochen. Die SDA steht jedoch unter dem Druck der US-Regierung, einem Kompromiss zuzustimmen. Sie hat andererseits bei den vergangenen Wahlen Stimmen verloren und möchte bei ihren Anhängern sicher nicht als "Verräterin" dastehen.

Keine Juden, keine Roma, keine Nichtnationalisten

Die nichtnationalistischen Parteien verlangen indes, dass vor allem die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umgesetzt werden. Denn in Bosnien-Herzegowina dürfen Juden, Roma, Angehörige anderer Minderheiten und jene Bürger, die sich keiner ethnischen Gruppe zugehörig fühlen, für bestimmte Positionen nicht einmal kandidieren. Auch einige Vertreter des EU-Parlaments fordern, dass in erster Linie diese Urteile des EGMR umgesetzt werden sollten und die EU und die USA darauf einen Fokus legen und nicht auf die Forderungen der HDZ. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 25.1.2022)