Wien – "Ein Radlweg hier vor meinem Geschäft? Dann sperr ich zu. Dann sind meine Steuern für den Hugo." Der Trafikant macht kein Hehl daraus, was er von Radfahrern in der Wiener Krottenbachstraße hält. Er brauche Parkplätze, und zwar direkt vor dem Geschäft, "denn meine Kunden fahren mit dem Auto bis vor die Tür". Keiner kreise für ein Packerl Zigaretten zweimal um den Block. "Ein Radlweg? Ich verzichte ja nicht auf ein Drittel meines Geschäfts."

Die Wiener Krottenbachstraße spaltet ein Grätzel.
Foto: Andrea Leindl

"Sollen s' doch in der nächsten Gasse fahren, da stören s' keinen", schimpft ein älterer Herr, der aus dem Fenster seines Gemeindebaus gelehnt den regen Verkehr an sich vorbei ziehen lässt. "Die Kinder können eh am Gehsteig radeln, is' ja Platz für alle da", rät ein Autofahrer und deutet auf die wenigen Fußgänger.

"Nix da. Fast niedergefahren hätten s' meinen Hund", klagt ein Anrainer in einem Café einige Schritte abseits der Straße und nippt an einem Bier. Man solle es nicht persönlich nehmen, aber er möge Radfahrer einfach nicht.

Die Zeiten, in denen der Duft der Schokoladenfabrik Bensdorp durch das Grätzel im 19. Wiener Gemeindebezirk zog, sind lange vorbei. Nun bläst der stete Wind vor allem Verkehrsabgase in die nahe Cottage.

Schönster Parkplatz Wiens

Rund 13.000 Kraftfahrzeuge strömen werktags im Schnitt durch das Krottenbachtal, das nach der Heiligenstadt am dichtesten besiedelte Viertel Döblings. Für gut 28.000 Menschen ist es die Nabelschnur ins Innere Wiens. Zwischen Gemeindebauten lässt sich ein Blick in die Weinberge erhaschen. Schlichte Einfamilienhäuser mischen sich mit mondänen Villen, um sich stadtauswärts in lockeren Kleingärtnersiedlungen zu verlieren.

Als schönsten Parkplatz Wiens bezeichnen spitze Zungen Döbling. Radfahrer sind Fremdkörper. Meist hart an der Gehsteigkante, vorbei an Schulen, Kindergärten, Supermärkten, Arztpraxen, Post und kleinen Dienstleistern, strampeln nur Mutige von der Billrothstraße bis Glanzing. Schlüsselstelle ist der Einstieg: Wer sich nicht zwischen eine Mauer und Autos quetschen will, braucht Muskelkraft. Der weniger riskante Umweg, flankiert von einem Plakat, das für freie Stellplätze wirbt, führt bergauf und mündet in einem Gehsteig.

Hupende Autos, riskante Überholmanöver

Chaos spiele es einige Häuserblocks weiter an der Bushaltestelle am Fuße des Hugo-Wolf-Parks, erzählt eine ansässige Händlerin. "Hupende Autos, gewagte Überholmanöver. Das ist kein Pflaster für Radler." Könnte ein sicherer Radweg nicht neue Kunden in ihr Geschäft bringen? Sie winkt ab: Das koste ja Parkplätze, und ohne die laufe hier gar nichts.

Seit 30 Jahren wird in dem Tal über Radinfrastruktur debattiert. Seit acht Jahren kämpft die Bürgerinitiative "Radeln in Döbling" gegen die Dominanz der Autos. 2020 gab die Stadt eine Machbarkeitsstudie für einen baulich getrennten zweispurigen Radweg in Auftrag. Im Vorjahr setzten sich 2250 Wiener in einer Petition dafür ein. Kundgebungen auf zwei Rädern reißen nicht ab. Politisch in Bewegung gesetzt wurde nichts. SPÖ, Grüne und Neos sind für den Radweg, die Brüder Daniel und Klemens Resch dagegen. Ersterer führt als Bezirksvorsteher die ÖVP an, Letzterer die FPÖ.

Bezirksvorsteher Daniel Resch (ÖVP): "Die Krottenbachstraße ist kein Ausflugsziel. Autofahrer zahlen für ihr Parkpickerl. Ich kann ihnen nicht ersatzlos die Stellplätze streichen."
Foto: Andy Urban

Mit Familie die Krottenbachstraße entlangradeln? "Niemals, viel zu gefährlich", sagt ein junger Mann knapp, während er seine Kinder auf einem Spielplatz am Ende des Tals im Auge behält. Für das alte Wiener Spiel, Radwege gegen Stellplätze, hat er nichts übrig. "Leben wir in einem Entwicklungsland? Es geht hier um keine Einflugschneise für Flugzeuge." Ein Blick in andere Städte Europas genüge, um zu sehen, dass Wien bei Radinfrastruktur weit hinterherhinke. "Wir wollen radelnd ins Grüne", meint ein Ehepaar, das an der Haltestelle auf den nächsten Bus wartet, "direkt, nicht in Schleifen über Nebenstraßen oder Hügel."

"Micky-Maus-Radwege"

1.450 Radfahrer täglich würden einen Radweg entlang der Krottenbachstraße 2025 nutzen, geht aus der Studie hervor. Verloren gingen im Gegenzug auf der bis zu 22 Meter breiten Straße 220 Parkplätze. "Wir wollen keine Verkehrsteilnehmer gegeneinander ausspielen. Aber dass hier Handlungsbedarf besteht, ist offensichtlich", sagt Peter Kühnberger, der "Radeln in Döbling" mit Mitstreitern ins Rollen brachte. Jüngst holte er dafür Verkehrsexperten und Bezirkspolitiker an einen Tisch.

Die Wahrscheinlichkeit, als Radler in Wien zu verunglücken, sei doppelt so hoch wie in anderen europäischen Metropolen, sagt Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssicherheit. Es fehle nicht an Know-how für sichere Infrastruktur, sondern an politischem Willen. "Die Micky-Maus-Radwege hierzulande sollten endlich der Vergangenheit angehören."

Wien als Nachzügler

Mit 1,85 Metern an befestigtem Radweg pro Kilometer Straße sei Wien im internationalen Vergleich Nachzügler, rechnet Astrid Gühnemann, Leiterin des Instituts für Verkehrswesen der Boku, vor. Damit mehr Menschen von Autos auf Räder umsatteln, brauche es auch in Döbling direkte durchgängige Radwege.

"Ich bin ja kein Radweghasser, muss jedoch alle Verkehrsteilnehmer unter einen Hut bringen", sagt Bezirksvorsteher Resch im Gespräch mit dem STANDARD. Die Zahl von künftig gut 1.450 täglichen Radlern im Krottenbachtal hält er für absurd, würden in Summe doch nur drei Prozent der Döblinger in die Pedale treten. Im Übrigen sei die Krottenbachstraße weder Ausflugsziel noch Einkaufsstraße. Autofahrer zahlten für ihr Parkpickerl – er könne nicht ersatzlos Stellplätze streichen.

"Wien steht nicht im Wahlkampf. Der Zeitpunkt, um Lösungen für Radwege zu finden, ist gut", betont Vizebezirksvorsteher Thomas Mader (SPÖ). Die von Resch zitierte Stellplatznot in dem Viertel erlebe er als Anrainer nicht.

Döbling als Schlusslicht

Peter Kristöfel von den Grünen erinnert daran, dass nur 37 von 100 Wienern Autos besitzen. In Döbling seien 31.000 Autos zugelassen. Der Verlust von 220 Parkplätzen wäre geradezu vernachlässigbar, wenn zugleich tausende Menschen von Radwegen profitierten.

Auch Angelika Pipal-Leixner von den Neos pocht auf eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums. Parkende Autos heizten die Stadt auf. Früher oder später werde man Stellplätze ohnehin aufreißen müssen.

1.450 Döblinger würden 2025 einer Studie im Auftrag der Stadt Wien zufolge täglich auf einem Radweg durchs Krottenbachtal radeln.
Foto: Andrea Leindl

2020 wurden an automatischen Zählstellen der Stadt Wien zwölf Prozent mehr Radfahrer gemessen. Dem Modal Split zufolge stieg ihr Anteil unter Verkehrsteilnehmern von sieben auf neun Prozent. Döbling ist in Wien, was die Radinfrastruktur betrifft, Schlusslicht.

Kühnberger wirft dem Bezirk massive Versäumnisse vor. Sich nur auf Topografie auszureden greife zu kurz. Von alternativen Radstrecken abseits der Hauptverkehrsadern hält er wenig. Die Krottenbachstraße sei ein Nadelöhr mit wichtiger Rolle für die Nahversorgung. "Keiner fährt hier mit der Kirche ums Kreuz."

Resch stört Döblings letzter Rang nicht. "Das kann sein, macht aber nichts. Baue ich einen Radstreifen die Höhenstraße hinauf, sieht die Statistik gleich anders aus." (Verena Kainrath, 25.1.2022)