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Es gibt wieder schwere Vorwürfe gegen Ramsan Kadyrow.

Foto: Reuters / Chingis Kondarov

Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow hat einen langen Arm: Das musste Ende vergangener Woche die Familie des Ex-Richters Saidi Jangulbajew erfahren. Maskierte brachen in die Wohnung Jangulbajews in Nischni Nowgorod – 400 Kilometer östlich von Moskau und 1500 Kilometer von Grosny entfernt – ein, um seine Frau Sarema Musajewa gewaltsam abzuführen. Musajewa ist angeblich als Zeugin in einem Betrugsprozess vorgeladen.

Jangulbajew bezeichnet den Vorladungsbescheid gefälscht und wirft der örtlichen Polizei vor, die Entführung logistisch unterstützt und seine Notrufe ignoriert zu haben. Später tauchte die an Diabetes leidende Frau sichtlich angeschlagen in einem Video auf, das in einem Polizeirevier in Grosny aufgenommen wurde. Inzwischen wurde sie wegen angeblich tätlichen Angriffs auf die Beamten zu 15 Tagen Ordnungshaft verurteilt.

Der Konflikt dreht sich eigentlich um die beiden Söhne des Richters. Der jüngere, Ibrahim, hatte 2015 Kadyrows Lebensstil und die verbreitete Praxis der Entführungen kritisiert. Daraufhin wurde er monatelang im Gefängnis gefoltert und sein Vater zum Rücktritt von seinem Richterposten gezwungen.

Der ältere Sohn, Abubakar, trat 2017, nach der Ausreise der Jangulbajews aus Tschetschenien der NGO Komitee gegen Folter bei und kritisiert seither regelmäßig Menschenrechtsverstöße wie Entführung, Folter und außergerichtliche Erschießungen der tschetschenischen Sicherheitsorgane.

Kadyrow in Wut

"Wir ziehen [es] vor, [die Entführungsmeldungen] ohne offizielle Bestätigung nicht zu glauben", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow und verweigerte zunächst eine Stellungnahme zu dem Fall. Stattdessen wurde Kadyrow selbst aktiv: Die Sicherheitsorgane hätten alles richtig gemacht, der mediale Wirbel "selbsternannter Menschenrechtler" diene nur der Ablenkung. "Auf die Familie wartet ein Platz im Gefängnis oder unter der Erde", donnerte der Tschetschenenführer.

Den als Vorwand für die Überführung genutzten Betrugsprozess erwähnte er nicht, stattdessen warf er den Jangulbajews Diffamierung der Ordnungskräfte in sozialen Netzwerken, nationale Hetze und sogar die Beteiligung an einem Überfall auf einen seiner Leibgardisten vor. Einmal in Rage, erweiterte er am Montag seine Anwürfe auf den Leiter der NGO Komitee gegen Folter, Igor Kaljapin, und die Korrespondentin der Nowaja Gaseta, Jelena Milaschina, die er beide als "Terroristen oder Terrorhelfer" bezeichnete. Kaljapin sitzt dabei im Menschenrechtsbeirat des russischen Präsidenten.

"Persönliche leidvolle Erfahrung"

Einen Rüffel aus dem Kreml gab es für Kadyrow trotzdem nicht. Peskow begründete die "scharfen Äußerungen" Kadyrows mit dessen "persönlicher leidvoller Erfahrung" im Antiterrorkampf. Es handle sich um eine persönliche Meinungsäußerung und nicht um die offizielle Position Moskaus, sagte er lediglich.

Saidi Jangulbajew ist mit seiner Tochter inzwischen aus Russland ausgereist. Laut seinem ebenfalls geflohenen Sohn Abubakar sind allerdings mehr als ein Dutzend Verwandte in Tschetschenien in den letzten Tagen verschwunden.

In der Vergangenheit sind zahlreiche Kritiker Kadyrows getötet worden. Prominente Opfer sind Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa und Boris Nemzow. (André Ballin aus Moskau, 24.1.2022)