Umweltbewegte des Koala-Kollektivs demonstrierten vor der Euro-Skulptur in Frankfurt gegen das geplante "Greenwashing" von Gas- und Nuklearenergie.

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Trotz Widerstands von Deutschland, Luxemburg und Österreich könnte die EU-Kommission bereits am Mittwoch entscheiden, ob Gas und Atomkraft in den Katalog für klimafreundliche Investitionen aufgenommen werden. Dieses "Greenwashing" im Wege der sogenannten Taxonomie ist für beiderlei Investitionen an Auflagen gebunden, die Energie- und Finanzexperten als kaum erfüllbar sehen.

STANDARD: Die EU-Kommission verteidigt ihre Taxonomie. Wo Bienen draufsteht, sollen Bienen drin sein, und deshalb ist CO2-freie Atomkraft künftig grün. Verstehen Sie die Aufregung?

Wambach: Ich verstehe, dass manche sich darüber aufregen. Die deutsche Aufregung scheint mir vor allem innenpolitisch bedingt. Mit Atomkraft kommt die EU einigen Ländern entgegen, mit Gas vor allem Deutschland, das neue Gaskraftwerke zur Versorgungssicherheit als Ersatz für Kohle braucht.

Die Aufregung über die Taxonomie gehe am wichtigsten Thema vorbei, sagt ZEW-Chef Achim Wambach.
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STANDARD: Gas ist ja auch "sauberer" als Kohle, oder?

Wambach: Zweifellos. Das große Problem mit der Taxonomie ist – das ist aber leider nicht die Debatte, die aktuell geführt wird –, dass diese einen Konstruktionsfehler hat. Ein Beispiel: Wenn BASF eine Investition tätigt, die Produktion umstellt und den CO2-Ausstoß halbiert, dann ist das eine tolle Sache. Aber nach der Taxonomie wäre das keine grüne Investition, denn BASF ist ein Unternehmen, das mit fossilen Grundstoffen arbeitet – auch, wenn der CO2-Ausstoß durch die nun getätigten Investitionen sinkt.

STANDARD: Das könnte also kontraproduktiv wirken?

Wambach: Das ist das grundsätzliche Problem der Taxonomie, dass man eigentlich Investitionen anregen und bezahlen will, aber die Taxonomie will Unternehmen greifen. BASF ist danach ein "schmutziges" Unternehmen, das aber grüne Investitionen anstößt. Deshalb hat die Taxonomie ein Strukturproblem in der Konstruktion. Ja, sie soll Anlageentscheidungen erleichtern, beim Reporting helfen, das Grundproblem in der Konstruktion bleibt.

Wichtige und notwendige Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie blieben in der Taxonomie unberücksichtigt, kritisiert ZEW-Präsident Achim Wambach.
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STANDARD: Wozu braucht man die Taxonomie überhaupt? Jedes Label, jede Anlageempfehlung fördert in gewisser Weise die Blasenbildung auf den Finanzmärkten ...

Wambach: Der Wissenschaftsbeirat beim deutschen Bundesfinanzministerium beispielsweise sagt, es wäre wesentlich sinnvoller, über die Stimmrechte bei Unternehmen mitzugestalten. Eine reine Taxonomie wirkt erst dann, wenn der Finanzmarkt zu einem großen Teil dieser Taxonomie folgt. Aber grundsätzlich: Die Taxonomie sollte keinesfalls eine Ablenkung sein ...

STANDARD: Ablenkung wovon?

Wambach: Von den wichtigen Themen, die anstehen. Die EU hat einen zweiten Emissionszertifikatehandel in Ausarbeitung, der enorm wichtig wäre. Der wird, zumindest in Deutschland, viel zu wenig beachtet und diskutiert, obwohl der viel, viel größere Auswirkungen haben wird als die Taxonomie beziehungsweise die Feinheiten der Taxonomie – wenn er denn kommt. Wenn wir am Ende die Taxonomie haben, aber nicht diesen zweiten Zertifikatehandel für Verkehr und Wärme, dann hätten wir meines Erachtens die falschen Instrumente.

Viel wichtiger als die umstrittene Taxonomie sei der Emissionshandel für Verkehr und Hausbrand, sagt Achim Wambach vom ZEW in Mannheim.
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STANDARD: Inwiefern die falschen Instrumente? Kann man Verkehr und Hausbrand überhaupt über einen Zertifikatehandel transformieren? Das sind doch wahnsinnig sensible Bereiche, jeder Preissprung bei Emissionszertifikaten trifft die Haushalte sofort ins Mark. Bis 2026 ist mit den stufenweise steigenden Fixpreisen von 30Euro bis 55 Euro noch der Deckel drauf, aber die Zertifikate von Energiewirtschaft und Industrie stehen derzeit bei 90 Euro.

Wambach: Der Emissionszertifikatehandel, den wir im Energiebereich haben, der wirkt. Das haben wir in Großbritannien gesehen, das die Preise schon vorher hochgesetzt hat. Und ein Zertifikatehandel ist effizient, er führt zu Emissionsreduktionen dort, wo es am günstigsten ist. Die Alternativen sind alle teurer. Dieses Instrument funktioniert. Das gilt auch für die Sektoren, die noch nicht im Emissionshandel sind. Was kostet es, wenn wir unsere europäischen Ziele bei der CO2-Reduktion in Verkehr, Wärme, also Benzin, Diesel, Heizöl etc., erreichen wollen? Die Simulationen laufen zwischen 150 bis 300 Euro an Kosten pro Tonne CO2. Die Grenzkosten der Vermeidung, die da berechnet werden, haben diese Höhe. Der Zertifikatehandel würde das transparent machen und dafür sorgen, dass gerade da die Kosten anfallen, die es gerade noch hinbekommen, also für die es sich lohnt. Die, die nur zu höheren Kosten vermeiden können, werden dann die Zertifikate kaufen. Alle anderen Regeln können es nur teurer machen. Ein Verbot von Verbrennermotoren beispielsweise würde de facto einen sehr hohen CO2-Preis bedeuten, quasi von unendlich, weil ich dann Benzin oder Diesel gar nicht mehr tanken kann. Verbote sind eigentlich sehr hohe Preise, dadurch würde die Dekarbonisierung nicht billiger.

STANDARD: Im Lichte der Inflationsentwicklung klingt das sehr gefährlich. Wie sollen die privaten Haushalte diese Belastungen stemmen?

Wambach: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie da ansprechen. Die Haushalte müssen mitkommen können. Da gibt es noch einiges zu tun. Die EU-Kommission wird dafür einen Fonds auflegen, in Deutschland soll die Umlage für die Erneuerbaren-Energien abgeschafft werden ...

STANDARD: In Österreich ist es ähnlich, es kommt auch der sogenannte Klimabonus, ein Zuschuss, der die Teuerung abfedern soll ...

Wambach: Der Emissionszertifikatehandel kann auch dabei helfen, da dadurch Einnahmen generiert werden, die dann etwa für einen Klimabonus zur Verfügung stehen.

Ohne CO2-Bepreisung der fossilen Brennstoffe für Verkehr und Wärmeerzeugung sei die Energiewende nicht zu schaffen, sagt der Physiker und Ökonom Achim Wambach vom ZEW.
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STANDARD: Wenn wir den Preis für den Zertifikatehandel im Griff behalten wollen, müssten wir ihn deckeln. Oder kann der Markt das regeln?

Wambach: Wir haben ja noch ein bisschen Spielraum bei der Gestaltung der beiden Zertifikatehandelssysteme. Die Frage ist, wie groß sind die Reduktionsziele in den beiden Systemen. Derzeit führen die Ziele in den beiden Systemen zu einer ungleichen Verteilung, das zeigen unsere Simulationen. Beim ETS-System für Strom und Energie liegen wir bei rund hundert Euro, mit gewissen Schwankungen. Bei den anderen, Non-ETS-Bereichen, also Verkehr, Wärme etc., liegen wir bei eher 200 bis 300 Euro. Deshalb wäre es schon sinnvoll, die Ziele im Energiebereich etwas ambitionierter zu machen und im Verkehr, Wärmebereich etwas weniger ambitioniert, damit sich da die Preise anpassen.

STANDARD: Und dann sind die Preise bis in alle Ewigkeit hoch?

Wambach: Ich gehe nicht davon aus, dass diese zeitnah sinken werden. Die Simulationen zeigen, dass mit diesen Preisen die Energiewende zu schaffen ist, aber da sind viele Unsicherheiten dabei.

STANDARD: Welche wären das?

Wambach: In Deutschland etwa sind die langsamen Genehmigungsverfahren eine richtige Bremse, die die Energiewende teurer machen.

STANDARD: Im Boot mit der Energie ist auch die grundstofflastige Industrie. Steigen deren Zertifikatepreise, wird das Ganze zu einem Industrievertreibungsprogramm aus Europa, oder wie darf man sich das vorstellen? Die Industrie ist mobil, die wandert ab!

Wambach: Die Koalition in Berlin hat sich vorgenommen, wettbewerbsfähige Strompreise zu schaffen. Und das ist auch wichtig, denn die Industrie muss ja nicht in Europa produzieren, die ist mobil. Die EU-Kommission will deshalb einen Grenzausgleich schaffen, also eine Ausgleichssteuer für Stahl, Zement und andere Bereiche. Ich bin da skeptisch, denn damit machen wir uns zur Festung Europa. Hier müssen wir weiter denken. Sinnvoll wäre ein Klimaklub gemeinsam mit anderen Ländern und Regionen, insbesondere den USA.

STANDARD: Was wäre in einem Klimaklub besser?

Wambach: Die Länder im Klimaklub würden sich denselben Regeln unterwerfen, hätten insbesondere einen ähnlichen CO2-Preis und damit die gleichen Marktbedingungen. Dann hätten unsere Industrie und die EU keinen Nachteil. Dieser Klimaklub könnte sich dann nach außen Grenzausgleichssteuern geben. Die EU allein ist dafür zu klein.

STANDARD: Und der chinesische Drache wäre dann draußen außer Konkurrenz – und Indien und Südamerika?

Wambach: Es wäre natürlich toll, wenn China im Klimaklub dabei wäre. Die USA und Europa haben aber auch schon eine relevante Größe. Und diese Märkte sind für die Chinesen extrem wichtig. Am Ende wird es nur gemeinsam gelingen, den Klimawandel zu bekämpfen. (Luise Ungerboeck, 25.1.2022)