Die Indologin Nina Mirnig berichtet in ihrem Gastblog über einen wichtigen Ausgrabungsfund in Nepal.

Ende Dezember sorgte der Fund einer Sanskrit-Inschrift am Durbar Square von Patan im Kathmandutal für viel Aufsehen in Nepal. Bei Grabungen für Reparaturarbeiten stieß man auf eine Steleninschrift aus dem 7. Jahrhundert. Ersten Auswertungen vor Ort zufolge wurde sie vom legendären König Aṃśuvarman (circa 605-621 n.Chr.) beauftragt und bezieht sich auf ein frühes buddhistisches Kloster und ein Kultobjekt (Caitya), das schon um 400 n. Chr. von König Vṛṣadeva errichtet worden sein soll. Der Fund ist somit ein weiteres wichtiges Puzzlestück für die Rekonstruktion des frühen Buddhismus in der Region.

Die neu entdeckte Inschrift von König Aṃśuvarman aus dem 7. Jahrhundert, mit dem buddhistischen Symbol des Dharmacakra, flankiert von Rehen.
Foto: National Archives Kathmandu

2.000 Jahre buddhistische Geschichte

Die bislang bekannten frühesten schriftlichen Zeugnisse von buddhistischen Institutionen im Kathmandutal reichen bis ins 5. Jahrhundert zurück. Ein König namens Mānadeva ließ damals beim berühmten Svayambhunath-Stupa, der auf einem Hügel im Westen von Kathmandu über der Stadt aufragt, eine Säuleninschrift errichten, in der er eine Landschenkung an ein buddhistisches Kloster festhielt.

Auch im Osten der Stadt finden sich Hinweise auf einen frühen buddhistischen Orden: So bittet etwa eine gläubige Spenderin in einer Stiftungsinschrift darum, als Mann wiedergeboren zu werden, um so im nächsten Leben Erlösung erlangen zu können, denn für Frauen war laut dieser Lehre der direkte Weg ins Nirwana nicht möglich. Archäologische Funde von Statuen im Stil der Kushanas, die den Buddhismus stark propagierten und deren Imperium zwischen circa 100 bis 250 n. Chr. Teile Nordindiens und Zentralasiens umfasste, deuten allerdings darauf hin, dass der Buddhismus wahrscheinlich schon spätestens am Anfang des ersten Millenniums Eingang ins Kathmandutal fand.

Der buddhistische Svayambhu-Stupa im Westen Kathmandus.
Foto: AFP/PRAKASH MATHEMA

Am Rande des nordindischen Kulturraums situiert, hat das Kathmandutal für die Entwicklung des Buddhismus aus mehreren Gründen einen besonderen Stellenwert: Bei der Übertragung des indischen Buddhismus nach Zentral- und Ostasien nahm das Gebiet eine wichtige Rolle als Kontaktzone ein, in der Gelehrte aus dem indischen Subkontinent und den tibetischen und chinesischen Großreichen in nepalesischen Klöstern Gelegenheit zum Austausch fanden.

Das Kathmandutal wurde aber auch zu einem der Zufluchtsorte, als buddhistische Klöster im Norden Indiens muslimischen Eroberern im 12. bis 13. Jahrhundert zum Opfer fielen und der Buddhismus in Indien zurückgedrängt wurde. Weitgehend unangetastet von solchen Entwicklungen blieben im Kathmandutal neben alten Heiligtümern und Ritualpraktiken auch frühe Überlieferungen von buddhistischen Werken in Sanskrit auf Palmblattmanuskripten erhalten, und buddhistische Traditionen sind bis heute Teil der religiösen Landschaft.

Ein Hindu-König als Förderer des Buddhismus

Auffallend in der Religionsgeschichte des Kathmandutals ist das enge Zusammenspiel buddhistischer Traditionen mit hinduistischen Strömungen, die sich der Verehrung des Hindu-Gottes Shiva widmen. Derzeitige Forschungen und Dokumentationsarbeiten an den frühesten nepalesischen Steininschriften widmen sich unter anderem der Frage, wann und auf welche Weise diese Verflechtungen ihren Ursprung fanden.

Die Herrschaft des Königs Aṃśuvarman, der die neu entdeckte Inschrift in Patan in Auftrag gab, erweist sich hier als Wendepunkt. Er stieg vom royalen Berater und Administrator zum Herrscher auf und deklarierte sich als erster König in all seinen Inschriften als Anhänger des Hindu-Gottes Shiva Pashupati. Damit begründete er eine Tradition, die von allen weiteren Königen bis zum Ende der Monarchie 2008 fortgeführt wurde. Bis heute gilt Pashupati als zentrale Schutzgottheit Nepals.

Der hinduistische Pashupatinath-Tempel in Kathmandu, Sitz der Schutzgottheit Nepals.
Foto: Nina Mirnig

Gleichzeitig war es aber auch Aṃśuvarman, der während seiner Regentschaft buddhistische Klöster im großen Stil förderte. In einer Inschrift aus dem Jahr 607 erfahren wir, dass weitaus mehr buddhistische Klöster als hinduistische Tempelanlagen finanzielle Zuwendungen erhielten. Ein Vergleich der visuellen Arrangements der Inschriften zeigt außerdem, dass Aṃśuvarman erstmals auch buddhistische Symbole verwendete, wie sie beispielsweise auf der neu entdeckten Inschrift zu sehen sind. Seine Rolle als Förderer des Buddhismus spiegelt sich vielleicht auch in einer Legende wider, nach der Aṃśuvarmans Tochter mit dem tibetischen König Songtsen Gampo verheiratet wurde und so die buddhistische Lehre nach Tibet gebracht haben soll.

Religiöse Verflechtungen

Aṃśuvarman verlieh somit sowohl shivaitischen wie buddhistischen Gruppen politischen Einfluss. Durch ihre Koexistenz und Konkurrenz entstand eine einzigartige religiöse Verflechtung, die durch gegenseitige Einflüsse geprägt ist. Ähnlichkeiten in den Verehrungspraktiken sind schon früh erkennbar: So ist die Funktion und Verehrungsform der für das Kathmandutal charakteristischen buddhistischen Kultobjekte namens Caitya jener der shivaitischen Liṅga-Schreine ähnlich.

In Inschriftentexten wiederum finden wir in shivaitischen Würdigungen Anlehnungen an buddhistische Gebetsformen. Rezente Analysen der königlichen Edikte zeigen zudem, dass buddhistische und shivaitische Institutionen auch praktisch miteinander verwoben waren. So beschreibt beispielsweise eine Inschrift aus dem Jahr 679, dass Bewohner der Ländereien von buddhistischen Klöstern mit der Aufrechterhaltung der Wasseranlagen im Gebiet des zentralen hinduistischen Pashupatinath-Tempels beauftragt waren. Auch der Tantrismus, dessen Anfänge genau in diese Zeit datieren, hat beide Traditionen verbunden und bis heute stark geprägt.

Links: Eine buddhistische Caitya aus der Licchavi-Periode (ca. 4.–8. Jahrhundert) beim Chabahil-Stupa, Kathmandu. Rechts: ein hinduistisches Śivaliṅga aus dem 5. Jahrhundert beim Pashupatinath-Tempel, Kathmandu.
Foto: Nina Mirnig

Ein göttliches Verwandlungsspiel

Alte Sanskrit-Texte zeigen, dass auch die Mythen der Götter und Heiligen beider Traditionen schon lange eng miteinander verwoben sind und oft davon handeln, dass ein Gott der Gegentradition in Wirklichkeit ein Anhänger oder gar Gott der eigenen Tradition ist. So wird beispielsweise der im Kathmandutal populäre Matsyendranath als Hindu-Gott und auch als buddhistischer Boddhisattva (ein zukünftiger Buddha, der den Menschen den Weg zur Erlösung weist) verehrt. Und auch Pashupati, der hinduistischen Schutzgottheit Nepals, wird die Verehrung buddhistischer Priester zuteil, die ihm einmal im Jahr die Krone des Boddhisattvas Avalokiteshvara aufsetzen. (Nina Mirnig, 26.1.2022)