Die Festnahme eines Zusehers bei einer Kundgebung gegen den Klimawandel im Mai 2019 war rechtswidrig – ein Polizist sitzt deshalb vor dem Strafgericht.

Foto: Lukas David Beck

Wien – Staatsanwältin Carina Steindl ist in ihrem Eröffnungsplädoyer erstaunlich direkt: Es gehe um "Polizeigewalt", "Willkür gegen einen friedlichen Aktivisten" und um "Lüge", erklärt sie dem Schöffensenat unter Vorsitz von Julia Matiasch ihre Vorwürfe gegen Herrn U., einen 36-jährigen Inspektor der Wiener Polizei. Angeklagt ist der Beamte wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beweisaussage: Er soll am Rande einer Sitzblockade von Klimaaktivisten am 31. Mai 2019 einen Zuseher widerrechtlich festgenommen und danach in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bezüglich der Amtshandlung gelogen haben.

Das Opfer war Anselm Schindler, ein freier Journalist, der kurz danach von zwei anderen Sicherheitsorganen mit dem Kopf unter einem Polizeibus fixiert wurde, der anfuhr. Von einem dieser beiden Polizisten, der bei seinem Prozess die Vorwürfe leugnete und trotz gegenteiliger Videoaufnahmen Schindler beschuldigte, sich aggressiv verhalten zu haben, war auch die ursprüngliche Festnahme Schindlers ausgegangen, an der sich der nun angeklagte U. beteiligte.

Falsches Vertrauen in Diensthöheren

Im Gegensatz zu seinem Kollegen bekennt U. sich schuldig. "So naiv und dumm, wie ich war, habe ich den Kollegen unterstützt. Ich dachte, der Charge, der Diensthöhere, wird schon wissen, was er macht", erklärt der Unbescholtene. Er sei an dem Tag ab sieben Uhr Früh im Dienst gewesen, habe zunächst die offizielle Fridays-for-Future-Demonstration am Ring begleitet. Nach deren Ende sei die Meldung gekommen, dass andere Aktivisten bei einer nicht angezeigten Kundgebung den Franz-Josefs-Kai bei der Urania blockieren würden.

"Dort waren auch viele Schaulustige. Wir haben den Auftrag bekommen, eine Sperrkette zu bilden und die Zuschauer zurückzudrängen, um den Aktionsraum zu vergrößern." Es sei laut gewesen, er habe an "Reizüberflutung" gelitten, da es sein erster Einsatz bei einer Demonstration war. Er habe gesehen, wie sein Kollege mit Schindler diskutierte, dann habe der andere Polizist Schindler an den Armen gepackt. Daraufhin habe er Schindler von hinten in den Schwitzkasten genommen, sagt der Angeklagte.

Mit der Anzeige des Kollegen gegen Schindler nach dem Paragraf 82 des Sicherheitspolizeigesetzes – "Aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht" – habe er dann nichts mehr zu tun gehabt. Ins Spiel kam U. erst wieder, als Schindler gegen die über ihn verhängte Geldstrafe Einspruch erhob. Vor dem Verwaltungsgericht blieben U. und sein Kollege dabei: Schindler sei "aggressiv" und laut gewesen und habe mit den "Händen gefuchtelt". Aussagen, die Schindlers Rechtsbeistand Clemens Lahner anhand zahlreicher Handyvideos widerlegen konnte – zu sehen ist unter anderem, dass Schindler beide Hände in den Hosentaschen hatte, als er festgenommen wurde.

"Es war blöd"

Auch zu diesem Anklagepunkt, der falschen Beweisaussage, bekennt U. sich schuldig. "Ich wollte die Amtshandlung rechtfertigen. Und mich und meinen Kollegen schützen", gibt er zu. "Es war blöd." Die 500 Euro Schadenersatz, die Privatbeteiligtenvertreter Lahner für seinen Mandanten will, verspricht der Angeklagte zu zahlen. Die Finanzprokuratur hat Schindler bisher erst rund die Hälfte seines Aufwands ersetzt.

Verteidiger Thomas Herzka geht in seinen Schlussworten dann mit der Polizeiführung hart ins Gericht. "Die gesamte Exekutive war damals etwas überfordert", konstatiert er. Es sei ein "chaotischer Einsatz" gewesen, die Beamten vor Ort alleine gelassen worden. "Auf den Videos sieht man im Hintergrund auch Führungskräfte, einen Oberstleutnant und einen Major, glaube ich, die offenbar nur ihre Rangabzeichen spazieren führten."

U. nutzt die Gelegenheit des letzten Wortes, um zu versichern, dass er definitiv aus dem Vorfall gelernt habe. "Was? Wie würden Sie heute in so einer Situation umgehen?", fragt ein Schöffe. "Ich würde vor der Unterstützung eines Kollegen hinterfragen, ob eine Festnahme überhaupt rechtens ist. Kein blindes Vertrauen mehr", antwortet der Angeklagte.

Geständnis ohne großen Einfluss

Der dann trotz seines Geständnisses rechtskräftig zehn Monate bedingt ausfasst. Eigentlich hätte der Senat zwölf Monate verhängt, wegen der überlangen Verfahrensdauer seien aber zwei Monate abgezogen worden, begründet Vorsitzende Matiasch. Damit bleibt U. ein automatischer Amtsverlust, der bei Strafen über einem Jahr eintritt, erspart. Aber zum Vergleich: Der zweite Polizist, der die grundlose Festnahme initiierte und in das lebensgefährliche Manöver mit dem Polizeibus involviert war, bekannte sich nicht schuldig – und erhielt zwölf Monate bedingt. (Michael Möseneder, 25.1.2022)