Lacht den Verhältnissen ins Gesicht: die große Erni Mangold.

Foto: Heribert Corn

Als Zirkusprinzessin Magda Holzer kommt sie – in der gleichnamigen Tatort-Folge (2013) – buchstäblich "Aus der Tiefe der Zeit" geritten. Noch immer trägt Erni Mangold, die Winchester griffbereit, ein Lächeln der Genugtuung auf ihren Lippen; der Cowboyhut steht ihr gut. Die Rolle, die sie in dieser komplett überkandidelten Episode des Sonntagabendkrimis spielt, lebt von der glaubwürdigen Übereinstimmung mit ihrer Darstellerin. Als Kunstreiterin soll sie im Zirkus Krone Nachkriegskavalieren die Wohlstandszigarre vor dem Mund weggeschossen haben. Auch so kann man, ohne jede Großspurigkeit, Machos auf das ihnen zustehende Maß zurechtstutzen.

Die Mangold feiert Mittwoch unglaublicherweise ihren 95. Geburtstag, noch bis 2. Februar läuft ihr zu Ehren eine wunderbare Retrospektive im Österreichischen Filmarchiv, die nicht weniger als 14 Titel versammelt. In Dominik Grafs Tatort mimt sie eine Kunstreiterin in Ruhe. Doch Mangold-Figuren kennen von Berufs wegen nur den Unruhestand. Man sieht sie also geschmeidig, mit entsicherter Waffe, durch den Park einer viel zu großen Villa in München schleichen. Sie bildet den natürlichen Schrecken aller Gipsfiguren, denen es ob der Nervosität ihres Zeigefingers an die vorspringenden Nasen geht.

Und so, in einem merkwürdigen "Alterswerk", das von Wohnungsspekulationen handelt, vom Masochismus der oberen zehntausend, vom Faschismus einst und jetzt, verkörpert Erni Mangold, so wie eigentlich immer, das Prinzip der schöpferischen Anarchie. Wer oder was ihr nicht zu Gesicht steht? Muss dran glauben. Dabei kann es sich – wie in diesem Tatort – auch um begriffsstutzige Münchner Ermittler handeln. Für solche Knallchargen, die für die angemaßte Autorität jeder Obrigkeit einstehen, haben Mangold-Figuren bloß Verachtung übrig. "Depp", tönt es dann aus ihrem Mund. Will ein Kommissar aus Gründen der Beweissicherung irgendwo hochklettern, sagt die Mangold, mehr höhnisch als hilfsbereit: "Wir haben auch eine Leiter im Haushalt!"

Die Zähigkeit, mit der diese bis ins hohe Alter bezaubernd anmutige Frau sich gegen den Popanz der Macht zur Wehr setzt, zeichnete sie von Anfang an aus. Während andere Heroinen der Nachkriegszeit an ihrer grundsätzlichen Willfährigkeit keinen Zweifel ließen, verteidigte diese Künstlerin ihre Autonomie, konsequent, bis aufs Blut. Noch als Alzheimerpatientin – wie in Houchang Allahyaris Der letzte Tanz (2014) – düpiert sie die Vertreter der Repression, die ihre grundsätzliche Gewaltbereitschaft mit Vernunftappellen eher unzulänglich tarnt.

Ohne Ornamentkitsch

Nur jene Freiheit, die man sich erkämpft, besitzt hinlänglichen Wert. Und so kann man auch in aus der Zeit gefallenen Werken wie dem Schwarz-Weiß-Bilderbogen Der letzte Werkelmann (Jörg A. Eggers, 1972) Erni Mangold beim Trotzen zusehen: in einem vulgären 1900er-Wien ohne ornamentierendes Klimt-Gold, dafür voller Patriarchen und Hurentreiber, die die Frauen zu Objekten degradieren, indem sie sie biologisch ausbeuten. Es stimmt, nebenbei gesprochen, den Betrachter melancholisch, die aufbegehrende Mangold an der Seite von ihr ebenbürtigen Schauspielern wie dem unvergessenen Kurt Sowinetz zu sehen, von Brigitte Swoboda, Heinz Petters und Hugo Gottschlich.

Die äußerst subversive Kottan ermittelt-Folge Der Geburtstag (Peter Patzak, 1977) zeigt eine Proserpina der Stadtrand-Gasthöfe bei der Arbeit. Unter der Einwirkung ihrer strahlenden Zuversicht schrumpfen stolze Männer zu Popanzen, die die ihnen erwiesenen Freundlichkeiten wie mildtätige Gaben empfangen. In der von Geisterhauch bewegten Familienaufstellung von La Pasada – Die Überfahrt (Anna Maria Krassnigg, 2017) scheint die Schauspielerin noch den Fluss der Zeit ganz nach ihrem eigenen Gutdünken umleiten zu können.

Die Mangold ist, ihr selbst unbewusst und dennoch vollkommen sicher, eine nahe Verwandte der zähen, sturen Bertolt-Brecht-Frauen: der Pelagea Wlassowa, der Courage, der Frau Carrar. Noch in ihren schwerwiegenden Irrtümern haben diese Titaninnen aus dem Volk das Gesetz der Notwendigkeit auf ihrer Seite, das ewige gültige Widerstandsrecht. Jeder Schuss ein Treffer! Denn, wie nicht nur die Zirkusreiterin weiß: Es trifft unter Garantie keine(n) Falschen. (Ronald Pohl, 26.1.2022)