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Der britische Premier Boris Johnson wird die Schatten der Party-Affären derzeit nicht los.

Foto: AP / Alastair Grant

Boris Johnson mit Geburtstagstorte, 19. Juni 2020.

Dramatische Wende in der Affäre um Lockdown-Partys in der Londoner Downing Street: Nach wochenlanger Weigerung hat nun die Kriminalpolizei Ermittlungen aufgenommen. Dies bestätigte Polizeipräsidentin Cressida Dick am Dienstag. Zwar würden minderschwere Gesetzesverstöße normalerweise nicht rückwirkend untersucht –hier aber bestehe die Gefahr, dass "die Legitimität des Rechtsstaates unterminiert" worden sei. Premier Boris Johnson begrüßte die Ermittlungen und beteuerte erneut: "Ich habe gegen keinerlei Gesetze verstoßen."

Ob dem wirklich so ist, prüft nicht nur die Polizei, sondern auch bisher schon eine Untersuchungskommission unter der Staatssekretärin Sue Gray. Deren_Bericht werde für Johnson nicht sehr erfreulich ausfallen, hieß es Dienstagabend in britischen Medien. Laut Sky News soll Gray unter anderem Fotos erhalten haben, die Johnson während des Lockdowns mit fehlendem Abstand zu anderen und mit Weinflaschen zeigen –was auf eine illegale Lockdown-Party hinweisen würde, wie sie dem_Premier seit Wochen vorgehalten wird. Wann der Bericht übergeben werde, war noch offen. Mögliche Konflikte mit der polizeilichen Untersuchung wurden geprüft.

Die Polizeibehörden Großbritanniens genießen operationelle Unabhängigkeit von der jeweils zuständigen Regierung. In Scotland Yards Fall ist zudem die Aufsicht zwischen der konservativen Innenministerin Priti Patel und Labour-Bürgermeister Sadiq Khan aufgeteilt, sodass parteipolitische Einflussnahme schwierig wird. Während Patel am Dienstag schwieg, äußerte Khan seine Befriedigung über die Untersuchung: "Niemand steht über dem Gesetz. Es kann nicht unterschiedliche Regeln für die Regierung einerseits und für alle anderen andererseits geben."

Fatales "Happy Birthday"

Polizeichefin Dick verwies auf die enge Zusammenarbeit mit dem Kabinettsbüro in der Downing Street, wo Gray schon seit Wochen den Verstößen gegen Corona-Regeln nachgeht, die täglich die Schlagzeilen bestimmen. Die Kripo richte ihre Aufmerksamkeit nur auf einen Teil der insgesamt 15 Lockdown-Partys, erläuterte Dick. Dabei ließ sie offen, ob dazu auch jene gehören, an denen zweifelsfrei der Premierminister selbst teilgenommen hatte.

Zu diesen gehört naturgemäß ein Event, über das am Montagabend der TV-Sender ITV berichtete: An Johnsons 56. Geburtstag im Juni 2020 versammelten sich bis zu zwei Dutzend Mitarbeiter sowie seine spätere Frau Carrie Symonds und deren -Innendesignerin im großen Kabinettssaal. Nach dem obligatorischen "Happy Birthday" und der Übergabe einer Torte sei man nach zehn Minuten auseinandergegangen, so ein Premiers-Sprecher.

Das mag epidemiologisch gerade noch vertretbar gewesen sein, verstieß aber gegen geltende Regeln. Peinlicherweise hatte Johnson selbst in dieser Zeit Schulkinder für die Absage von deren Geburtstagspartys gelobt.

Beinahe genervt forderte Labour-Oppositionschef Keir Starmer erneut Johnsons Rücktritt. Der Labour-Ministerpräsident von Wales, Mark Drakeford, sprach dem Konservativen die moralische Autorität zur Führung des Landes ab. Innerhalb der Tory-Partei ging die Diskussion darüber weiter, ob man den triumphalen Sieger der Unterhauswahl vor gut zwei Jahren im Amt halten oder durch ein frisches Gesicht ersetzen solle. Hinterbänkler wie Andrew Bridgen teilten erneut mit, der Premier könne "nicht so funktionieren, wie es nötig ist". Johnson-Loyalisten forderten hingegen dazu auf, sich wieder wichtigeren Themen –Ukraine, Energiepreise – zuzuwenden.

Noch keine Entscheidung

Hingegen halten viele Tories ihr Pulver trocken. Dazu zählen Johnsons Kabinettsrivalen ebenso wie altgediente Veteranen parlamentarischer Schlachten und 2019 frisch ins Unterhaus gelangte Abgeordnete. Sie wollten sich gegen Ende der Woche äußern.

In den vergangenen Jahrzehnten waren Beamte von Scotland Yard bereits zweimal mit Ermittlungen im Herzen der Regierung befasst. Labour-Premier Tony Blair musste sich 2006 sogar einer offiziellen Zeugenbefragung stellen; damals ging es um angeblich illegale Großspenden – das Verfahren wurde eingestellt. Das konservative Kabinettsmitglied Andrew Mitchell kostete 2012 ein Streit mit Beamten am Zugang zur Downing Street das Amt, obwohl es auch hier keine strafrechtlichen Sanktionen gab. Im jüngsten Fall drohen den Betroffenen Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten sowie Strafen von bis zu 100 Pfund (120 Euro). (Sebastian Borger aus London, 25.1.2022)