Im Vergleich zu Wildtieren ist das Gehirn der Hauskatze (Felis catus) kleiner. Das heißt nicht, dass wir sie weniger lieb haben.
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Zynische Leserinnen und Leser des "Kleinen Prinzen" von Antoine de Saint-Exupéry mögen sich fragen, warum sich der Fuchs vom Hauptcharakter zähmen lassen möchte. Denn die gegenseitige Annäherung und die Freundschaft werden für beide in absehbarer Zeit Leid bedeuten, wenn der Prinz seine Heimreise antritt und den Fuchs hinter sich lässt. Für manche vielleicht eine dumme Entscheidung, die Sache mit dem Zähmen. Und interessanterweise hat eine Studie nun erneut nachgewiesen, dass zumindest bei Katzen die gezähmte – also domestizierte – Art ein kleineres Gehirnvolumen hat.

Heißt das, Hauskatzen sind dümmer als ihre fellnasige Verwandtschaft? Ganz so einfach ist es nicht – und dahingehend wäre auch das sogenannte Domestikationssyndrom falsch verstanden. Es besagt unter anderem, dass gezähmte Tiere zur Ausprägung bestimmter Merkmale tendieren. Dazu gehören bei einigen Haustieren etwa Schlappohren, bestimmte Fellfärbungen, kleinere Zähne, kürzere Schnauzen und eben auch ein kleineres Gehirn.

Trend zu kleinen Köpfchen

Verhaltensweisen werden ebenfalls dazugezählt. Und dass sich zutrauliche, wenig aggressive Tiere besser zähmen lassen, liegt auf der Hand. Gewisse Veranlagungen dafür können teilweise an Folgegenerationen weitergegeben werden. Die Entwicklung gewisser Merkmale bei der Zähmung – die mitunter unbeabsichtigt als Nebeneffekt auftraten – zeigte ein russisches Experiment an Füchsen auf, bei dem die domestizierten Tiere ebenfalls zu kleineren Köpfchen tendierten. Wie übrigens auch Hunde im Vergleich zu Wölfen sowie Hausmeerschweinchen, Hasen und Hühnern im Vergleich zu ihren wilden Verwandten.

Europäische Wildkatzen (Felis silvestris, hier als Jungtiere) sind nur entfernt mit der Hauskatze verwandt. In freier Wildbahn nur schwierig unterscheidbar, zählen sie vergleichsweise eher zu den Dickschädeln (zumindest, was das Hirnvolumen angeht).
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Der Trend wurde bereits von Charles Darwin thematisiert, und später gab es genauere Analysen zu verschiedenen Katzenarten: Hauskatzen wurden etwa mit der Europäischen Wildkatze verglichen und haben offenbar ein um etwa 25 Prozent kleineres Gehirn.

Jedoch ist die Europäische Wildkatze gar nicht der Ursprung der Hauskatze, wie erst in den vergangenen Jahren durch Genomanalysen festgestellt wurde, und die Studien sind einige Jahrzehnte alt. Ein Grund für das Forschungsteam um Zoologin Raffaela Lesch von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Verhaltensforscher Kurt Kotrschal und Kognitionsbiologe Tecumseh Fitch von der Hauptuniversität Wien, das Thema neu aufzurollen.

Schädel und Schnauzen

Dafür wurden mehr als einhundert Katzenschädel vermessen, die aus der Sammlung der schottischen Nationalmuseen stammen. Auch die Schädel von Nordafrikanischen Falbkatzen waren dabei, die mittlerweile als Vorfahren der Hauskatzen gelten, sowie Kreuzungen zwischen Wild- und Hauskatzen.

Hauskatzen haben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus gemeinsamen Vorfahren mit der Afrikanischen Falbkatze (Felis lybica) entwickelt.
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Tatsächlich hatten die zahmen Katzen das kleinste Schädel- und Hirnvolumen, gefolgt von Afrikanischen Falbkatzen. Auf der anderen Seite der Skala standen die Europäischen Wildkatzen, Mischlinge zwischen ihnen und den Hauskatzen lagen zwischen den elterlichen Hirngrößen. Eine weitere Hypothese, nämlich dass die Schnauzenlänge ebenfalls mit dem Zahmheitsgrad zusammenhängt, konnten die gesammelten Daten nicht bestätigen, schreibt das Team in der Fachzeitschrift "Royal Society Open Science": Diese scheint hauptsächlich von der individuellen Körpergröße abhängig zu sein.

Die Kurzzusammenfassung der Studie im Gif-Format.

Das ist für die Forschung rund um das Domestikationssyndrom spannend. Manche Fachleute, darunter der betreuende Autor Tecumseh Fitch, vermuten: An der Wurzel dieser Entwicklung, die den Selektionsdruck auf zahme Tiere mit Eigenschaften wie Zutraulichkeit, Hirnvolumen und Fellmuster verbindet, stehen bestimmte Stammzellen. Sie gehören zur sogenannten Neuralleiste. Bei der Entwicklung eines Embryos formt sie im Laufe der Zeit spezialisierte Zellen, die beispielsweise für Fellpigmentierung, das Regulieren des Stresshaushalts und das Ausbilden von Schädel und Kiefer zuständig sind.

Verschiedene Theorien

Haben diese Zellen ein leichtes "Defizit", so die Theorie, dann sind sie einerseits zahmer und weniger aggressiv. Andererseits können damit andere Merkmale einhergehen, die auf den Neuralleistenzellen basieren – wie geschecktes Fell und ein kleineres Gehirn. Für Katzen konnte die Forschungsgruppe einen möglichen Zusammenhang mit dem Hirnvolumen bestätigen, die Analyse der Schnauzenlänge passt aber nicht so gut ins Bild.

Es sind aber auch andere, bisher unentdeckte Faktoren möglich, die mehrere Merkmale beeinflussen. Und es gibt weitere evolutionäre Theorien, die besser passen könnten oder hineinspielen. Schilddrüsenhormone etwa könnten durch die Domestizierung in verändertem Ausmaß ausgeschüttet werden. Auch sie beeinflussen die Entwicklung von Schädelstrukturen.

Keine halbe Sache

In Sachen Energiehaushalt wäre es auch nicht ganz abwegig, dass gezähmte Katzen mit der Zeit den Fokus auf andere Organe gesetzt haben – zulasten des Gehirns. Das mag intuitiv bei besonders verfressenen Hauskatzen logisch erscheinen. "Als die Katzen ihre Verdauung an ein Leben mit den Menschen und deren Nahrung anpassen mussten, könnte es zu einer Reduktion des Gehirnvolumens gekommen sein, weil mehr Energie in den Darm investiert werden musste", sagt Raffaela Lesch. Vielleicht wurde auch die Fortpflanzung wichtiger – und die Energie wurde verstärkt für die Geschlechtsorgane bereitgestellt.

Der Unterschied in der Gehirngröße wurde mit dieser Stichprobe immerhin bestätigt – und das, obwohl viele Menschen der Ansicht sind, Katzen seien nur "halb gezähmt" und aufgrund ihres oft distanzierten, unabhängigen Wesens noch "halb wild". "Wir denken nicht, dass diese Aussage zutrifft", schreibt die Forschungsgruppe. "Katzen mögen für die Menschen vielleicht nicht so 'nützlich' gewesen sein wie Hunde und Pferde, doch ihr Nutzen, die Getreideernte vor Nagetieren zu schützen, gilt als wichtigste Motivation, sie zu Haustieren zu machen."

Unterschiedlicher Selektionsdruck

Im Gegensatz zu anderen Haus- und Nutztieren könne bei Katzen zwar durchaus von einem Selektionsdruck in Richtung Sanftmütigkeit ausgegangen werden. Für Kooperation seien sie – anders als Hunde – aber nicht gezüchtet worden (wie auch nicht zur Milch- oder Fleischproduktion, was bei Kühen und Hühnern der Fall war).

Entsprechend ist die Kooperationsbereitschaft der unterschiedlichen Arten auch kaum zu vergleichen. Abgesehen vielleicht von besonders zutraulichen Hauskatzen, die offenbar auch ohne Appetit ihre Bezugspersonen auf Schritt und Tritt begleiten wollen. Vielleicht hätten sie sich – wie der Fuchs aus der Erzählung – auch gerne zähmen lassen. Was den potenziellen Zusammenhang mit der Intelligenz angeht, so müsste wohl ein Katzen-IQ-Test entwickelt werden. (Julia Sica, 26.1.2022)