Die vierte Impfung wird vorerst nur für Menschen mit supprimiertem Immunsystem und besonders vulnerable Gruppen angedacht.

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In Israel ist es jetzt also so weit, ein Expertenrat hat am Dienstag eine vierte Impfung gegen Covid für über 18-Jährige empfohlen. Die Empfehlung gelte für Erwachsene, die vor mehr als fünf Monaten die Booster-Impfung erhalten haben oder die vor diesem Zeitraum genesen seien, teilte das Gesundheitsministerium mit.

Nach der vierten Impfung habe man einen drei- bis fünfmal höheren Schutz gegen schwere Erkrankung, der Schutz vor einer Infektion sei zweimal höher als bei dreifach Geimpften. Mehr als 600.000 Menschen haben den vierten Stich auch schon erhalten, vor allem Ältere, Immungeschwächte und medizinisches Personal.

Dabei sind sich Expertinnen und Experten alles andere als einig, was eine vierte Impfung betrifft. Auch die Israelin Gili Regev, Professorin am Schiba-Krankenhaus bei Tel Aviv und Leiterin einer Studie zur Wirksamkeit der vierten Dosis, hat sich eher skeptisch geäußert. Sie führe zwar zu einem "schönen Anstieg" der Antikörper, schütze aber nicht ausreichend gegen die Omikron-Variante.

Forschende nicht überzeugt

Die israelische Reaktion dürfte auch ein gewisses Maß an Panik beinhalten. Seit Anfang Jänner sind die täglichen Neuinfektionen massiv hinaufgeschnellt, von gut 7.000 auf mittlerweile deutlich über 100.000 – und das nun schon mehrere Tage in Folge. Da Israel als erstes Land weltweit im August 2021 mit den Booster-Shots begonnen hat, liegt der dritte Stich bei vielen nun schon bald sechs Monate zurück.

Dabei ist es fraglich, ob eine vierte Impfung den gewünschten Effekt bringen kann. Nicht nur Expertin Regev zieht den vorgezogenen vierten Stich in Zweifel. Denn das Immunsystem brauche ausreichend Zeit, um einen guten und vor allem langfristigen Schutz vor dem Virus aufzubauen, wie Infektiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG) Herwig Kollaritsch dem STANDARD erklärt.

Auch aus epidemiologischer Sicht würde eine vierte Impfung jetzt, kurz vor dem Beginn der warmen Jahreszeit, wenig bringen, ergänzt Gerald Gartlehner, Epidemiologe von der Donau-Universität Krems: "Das wäre, wie wenn sich die Leute jetzt gegen Grippe impfen lassen, damit sie im Herbst und Winter dann geschützt sind." Das ergebe keinen Sinn.

Ulrike Protzer, Virologin an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz-Zentrum München, betont außerdem, dass man sehr individuell entscheiden müsse, wer eine vierte Impfung erhalten solle: "Wie hoch ist das Risiko für Erkrankung? Geht es um eine ältere Person, die womöglich auch noch eine Tumorbehandlung hat? Oder um junge, fitte Menschen? Es gibt definitiv Gruppen, wo ein vierter Stich sinnvoll ist, Immunsupprimierte etwa. Aber bei vielen anderen macht es mehr Sinn, erst einmal abzuwarten."

Zukünftig wohl Auffrischung nötig

Natürlich wird über Auffrischungsimpfungen diskutiert, wann und wie oft diese nötig sein werden, kann man aber nicht mit Sicherheit beantworten, weiß Leif-Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Charité Berlin: "Man hat mit drei Impfungen eine gute Grundimmunität, die Krankheitslast ist massiv reduziert, auch wenn Schleimhautschutz und Antikörper nachlassen. Der natürliche Kontakt mit dem Virus kann den Immunschutz dann immer wieder auffrischen – und da sollten wir hinkommen."

Vor allem bei vulnerablen und älteren Personen müsse man aber beobachten, ob vielleicht öfter eine Auffrischung nötig sein werde. Je nachdem, welche weiteren Varianten auftreten, könne aber auch eine allgemeine Auffrischung nötig werden, so Sander.

Auch der Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien geht davon aus, dass man ab und zu eine Auffrischung brauchen wird, wie er gegenüber dem STANDARD erklärte. Denn so wie bei allen anderen Impfungen vergesse das Immunsystem langsam, dass es schon einmal trainiert wurde gegen ein Virus. Diese Erinnerung sei aber wichtig. Er geht davon aus, dass es wahrscheinlich im Jahresabstand solcher Auffrischungsimpfungen bedürfe, dann sei man sowohl vor der nächsten Variante als auch vor der nächsten Infektion gut geschützt.

Kein "Überimpfen"

Dass zu viele Auffrischungsimpfungen kontraproduktiv seien, wie es angeblich ein Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA gesagt habe, davor müsse man sich nicht fürchten, so Sander: "Es gibt ein immunologisches Konzept, das sich
Antigenerbsünde nennt. Das besagt, dass die Immunantwort durch die Impfung nur auf das eine Spikeprotein reagiert, auf das die Impfung abgestimmt ist. Das ist aber nicht so. Wir haben gesehen, dass sich die Immunantwort deutlich verbreitert und sehr gut funktioniert."

Auffrischungsimpfungen alle drei oder vier Monate seien keine sinnvolle, nachhaltige Strategie und riefen möglicherweise auch nicht mehr die gewünschte Immunantwort hervor, sagte Marco Cavaleri, Leiter der EMA-Abteilung Biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien im Rahmen einer Online-Pressekonferenz in Amsterdam. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Bevölkerung irgendwann "ermüde", also die kontinuierlichen Auffrischungsimpfungen nicht mehr mitmachen will. Diese Aussagen bezögen sich aber vor allem darauf, dass die Produktions- und Distributionskapazitäten endlich seien, stellt Klaus Cichutek, Präsident des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts, klar.

Eine gute Nachricht hat außerdem Virologin Protzer. Sie betont, dass das Virus nur eine limitierte Kapazität habe, sich zu verändern, "weil es sich sonst nicht mehr vermehren kann. Wir sehen, dass bei den Varianten immer die gleiche Art von Mutationen auftritt, deshalb gibt es eine gute Chance, dass die Impfung auch vor weiteren Varianten schützt." Natürlich sei es möglich, dass auch eine komplett neue Variante auftrete, das könne man nicht ausschließen. "Aber die Coronaviren, die man bisher im Tierreich entdeckt hat, die kann unser Immunsystem gut abwehren, soweit man das mit Untersuchungen in Zellkulturen darstellen kann." (Pia Kruckenhauser, 26.1.2022)