Am letzten Samstag wäre Bruno Kreisky 111 Jahre alt geworden. Was war das Bestimmende an der Ära Kreisky, die zugleich die goldene Ära der Sozialdemokratie war?

Und was hatte dieser Politiker, das seine Nachfolger und Nachfolgerinnen nicht hatten und haben? Vor allem wohl seine Fähigkeit, die besten Traditionen verschiedenster Gesellschaftsschichten zu integrieren und nicht nur die eigenen Leute anzusprechen, sondern auch jene, die "ein Stück des Weges mit uns gehen wollen".

Die SPÖ ist in sich gespalten in einen Bobo- und einen Prolo-Flügel, personifiziert durch Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil.
Foto: Matthias Cremer

Das Bündnis zwischen Arbeitern und liberalen Intellektuellen war seit jeher die Voraussetzung für die Erfolge aller Linksparteien. Das Rote Wien der Zwischenkriegszeit – das Beste, was Sozialdemokraten je zustande gebracht haben – war eine Frucht dieses Bündnisses. Sozialwohnungen und Spitzenarchitektur. Volksbildung und Wissenschaft. Kreisky hat dem noch etwas hinzugefügt: die Versöhnung mit Gruppen, die vorher als natürliche Gegner gegolten haben, ohne die eigenen sozialdemokratischen Werte zu verraten. Das Gegenteil von Populismus.

Damals kursierte das Bonmot "K. u. K. u. K." – Kreisky, Kirchschläger, König. Rudolf Kirchschläger, bürgerlicher Jurist, Diplomat, kein Sozialdemokrat, war – zum Entsetzen vieler SPÖ-Funktionäre – der von Kreisky auserkorene Bundespräsidentschaftskandidat. Ein traditioneller Beamter, der nicht einer Partei dienen wollte, sondern dem Staat. Und Kardinal Franz König, vom Agnostiker Kreisky geschätzter Gesprächspartner, war Erzbischof von Wien, Vertreter jener katholischen Kirche, die lange Zeit mit gutem Grund als Feindbild der Arbeiterbewegung gegolten hatte, hatte der katholische Ständestaat doch seinerzeit einen Bürgerkrieg geführt und auf Arbeiterhäuser schießen lassen. Königs Vortrag vor dem Österreichischen Gewerkschaftsbund beendete diesen historischen Konflikt symbolisch.

Das Gleiche galt für den Händedruck Kreiskys mit Otto von Habsburg, allgemein interpretiert als Versöhnung der demokratischen österreichischen Republik mit ihrer Geschichte und mit dem Erbe der Donaumonarchie.

Kreisky diskutierte freundschaftlich und auf Augenhöhe mit den jungen Linken – seinen Gegnern –, die gegen den Vietnamkrieg, die guten Beziehungen Österreichs mit den USA und gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf demonstrierten.

Und sogar die Anführer des Rings Freiheitlicher Studenten, der Studentenorganisation der FPÖ, lud er ins Kanzleramt ein. Worüber wurde gesprochen? Über die bürgerliche Revolution von 1848, den letzten Berührungspunkt der sozialistischen mit der bürgerlich-liberalen Bewegung. Etliche der damaligen Studentenfunktionäre wechselten später zum Liberalen Forum von Heide Schmidt.

All das wäre heute schwer vorstellbar. Die SPÖ ist auch in sich gespalten in einen Bobo- und einen Prolo-Flügel, personifiziert durch Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil. Was fehlt, ist jemand, der von beiden respektiert und als deren jeweiliger legitimer Vertreter anerkannt wird.

Absolute Mehrheiten erringt man nicht, indem man Populisten nach dem Mund redet, sondern durch authentische Glaubwürdigkeit. Möglich, dass der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig eines Tages in diese Rolle hineinwachsen könnte. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 27.1.2022)