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Russische Soldaten bei Übungen in der südlichen Rostov-Region.

Foto: REUTERS/Sergey Pivovarov

Moskau/Kiew – Nach der Übermittlung von Vorschlägen der Nato-Staaten und der USA für eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau hat der russische Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag das Fehlen einer "positiven Antwort" des Westens "in der Hauptfrage" bemängelt. Es gebe zwar in dem US-Dokument Punkte, die "Hoffnung auf einen ernsthaften Dialog machen", sagte er laut der Agentur Interfax – allerdings nur "in sekundären Punkten". Wie es nun weitergehe, werde Präsident Wladimir Putin entscheiden.

Der Dialog mit den USA könne fortgesetzt werden, es sei aber klar, dass die wichtigsten Sicherheitsforderungen Russlands von den USA nicht berücksichtigt worden seien, hieß es aus Moskau. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, die derzeitigen Spannungen in Europa würden an den Kalten Krieg erinnern. Moskau werde Zeit brauchen, die Antworten der USA auf die russischen Sicherheitsforderungen zu prüfen, denn "es wäre töricht, diese bereits nächste Woche zu erwarten". Vorerst seien Arbeitsgespräche zwischen Russland und den USA geplant, bevor die Präsidenten Putin und Joe Biden bei Bedarf aufeinandertreffen.

Der Kreml sei daran interessiert, den Dialog fortzusetzen, auch wenn die Äußerungen der USA und der Nato, die Russlands Hauptforderungen als inakzeptabel beschrieben hatten, nicht viel Raum für Optimismus ließen. Zurzeit gebe es keine Einigung darüber, wann ein Treffen zwischen US-Außenminister Antony Blinken und Lawrow stattfinden werde.

Positiv gewertet wurde das Treffen von Vertretern Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs im sogenannten Normandie-Format am Mittwoch. Das Quartett hatte sich nach achtstündigen Verhandlungen in Paris darauf verständigt, das Gespräch in zwei Wochen in Berlin fortzusetzen. "Wer redet, der schießt nicht", sagte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag.

"Militärisch-technischer" Natur

Putin hatte im Fall einer "nicht ausreichenden" Antwort des Westens auf die russischen Forderungen in einer Pressekonferenz rund um Weihnachten eine "militärisch-technische" Antwort angekündigt. Allerdings ist offen, was damit gemeint ist. Im Westen wächst die Sorge, weil Russland mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine postiert hat. Laut westlichen Geheimdiensten setzte Moskau seinen Aufmarsch an der Grenze auch zuletzt noch fort.

Russland hat de facto ein Ende der Nato-Osterweiterung den Rückzug aller Nato-Truppen aus jenen Staaten gefordert, die nach 1997 beigetreten sind. Darüber zeigten weder die Nato noch die USA Verhandlungsbereitschaft. Man habe Moskau deutlich gemacht, "dass es Kernprinzipien gibt, zu deren Wahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet haben", sagte US-Außenminister Blinken. Dazu gehörten die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine sowie das Recht von Staaten, ihre eigenen Bündnisse zu wählen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters, dass sich nach den Gesprächen am Vortag in Paris nichts geändert habe. Man gehe aber davon aus, dass Russland noch etwa zwei Wochen auf dem diplomatischen Weg bleiben werde. Im Fall eines Angriffs seien die ukrainischen Streitkräfte aber bereit. Man werde Russland keine Schwäche zeigen. Der russischen Forderung, direkt mit den prorussischen Separatisten im Donbass zu verhandeln, werde die Ukraine nicht nachgeben, betonte Kuleba.

Tote in Raketenfabrik

Noch unklar sind sowohl Grund als auch Auswirkung eines anderen Ereignisses der vergangenen Nacht. Ein ukrainischer Soldat hat dabei in der südostukrainischen Großstadt Dnipro das Feuer auf Kameraden eröffnet vier Männer und eine Frau getötet, schrieb Innenminister Denys Monastyrskyj am Donnerstagvormittag auf Facebook. Fünf weitere Personen seien verletzt worden.

Warum der 20-jährige Soldat der Nationalgarde auf dem Gelände einer Maschinenbaufabrik auf Wache haltende Kameraden schoss, war zunächst unklar. Nach der Tat floh er zunächst, wurde aber einige Stunden später festgenommen.

Der Vorfall ereignete sich in der Raketenfabrik Piwdenmasch bei der Ausgabe von Waffen an das Wachpersonal, teilte die Polizei mit. Nun solle geprüft werden, ob der Soldat unter psychischem Druck stand, erklärt das Innenministerium. Obwohl die Schüsse mehr als 160 Kilometer von der Front im Osten entfernt fielen, sorgten sie für zusätzliche Nervosität in der Ukraine-Krise. Die Fabrik war laut Medienangaben streng bewacht. Früher wurden dort Interkontinentalraketen hergestellt. Erst Anfang Jänner hatten ukrainische und westliche Geheimdienste berichtet, dass Russland Geheimdienstmitarbeiter und Saboteure in die Ukraine entsandt habe, um die Infrastruktur zu destabilisieren.

Die Nato bot Russland zuvor Verhandlungen über eine Verbesserung der Beziehungen an. Konkret schlage man vor, sich in einem ersten Schritt im Nato-Russland-Rat gegenseitig über Manöver und die jeweilige Atompolitik zu unterrichten, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg Mittwochabend.

Truppenstärke weitet sich aus

Russland hatte der Nato und den USA im vergangenen Monat Entwürfe für Vereinbarungen übergeben, in denen Sicherheitsgarantien in Europa verlangt werden. Unter anderem wird darin ein Ende der Nato-Osterweiterung gefordert, durch die sich Russland bedroht sieht. Insbesondere will der Kreml eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine verhindern.

Laut westlichen Geheimdiensten setzte Russland seinen Truppenaufmarsch zuletzt in hohem Tempo fort. Es könne davon ausgegangen werden, dass mittlerweile 112.000 bis 120.000 Soldaten in dem Gebiet seien, sagte ein hochrangiger Geheimdienstvertreter der Deutschen Presse-Agentur.

Anruf aus Peking

Chinas Außenminister Wang Yi forderte in einem Telefonat mit Blinken, dass die USA die Bedenken Russlands ernst nehmen und lösen müssten. Die Sicherheit eines Landes könne nicht auf Kosten eines anderen gehen. Regionale Sicherheit könnte zudem nicht durch die Stärkung oder sogar Ausweitung militärischer Blöcke garantiert werden. Im 21. Jahrhundert sollten alle Parteien "die Mentalität des Kalten Krieges komplett aufgeben" und durch Verhandlungen eine ausgewogene und nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa formen.

Für eine Lösung des Ukraine-Problems sei es notwendig, zum Anfang des Abkommens von Minsk zurückzukehren, sagte Wang. China unterstütze alle Bemühungen in diese Richtung. Das Abkommen wurde 2014 fünf Monate nach Beginn der Kämpfe vereinbart. Es war ein erster Waffenstillstand mit einem Friedensplan, doch es hapert an der Umsetzung. (mesc, met, APA, 27.1.2022)