Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Corona-Demos vergleichen sich seit Monaten mit den Opfern des Holocaust.

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Die einen tragen Judensterne, auf denen "ungeimpft" steht. Ein anderer hält ein Schild mit der Aufschrift "Impfen macht frei" in die Höhe. Immer wieder vergleichen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den wöchentlichen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mit den Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) will nicht länger hinnehmen, dass die Demonstrantinnen und Demonstranten die Opfer der NS-Zeit derart und noch dazu straffrei verächtlich machen können, während der Hitlergruß sanktioniert wird. Sobotka schlug deshalb anlässlich des Holocaust-Gedenkens einen eigenen Straftatbestand für Antisemitismus vor.

Verbotsgesetz ausreichend

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) begrüßte das. Ihr Präsident Oskar Deutsch beobachtet eine "deutliche Zunahme von Shoah-Verharmlosungen und Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen" im Bezug auf die Pandemie. Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres haben sich auch die bei der IKG gemeldeten antisemitischen Vorfälle auf insgesamt 562 mehr als verdoppelt.

Doch braucht es überhaupt einen eigenen Antisemitismusparagrafen? Der Strafrechtsprofessor der Universität Innsbruck, Andreas Venier, sieht das Vorhaben Sobotkas sehr kritisch. Er hält das Verbotsgesetz und den Verhetzungstatbestand für ausreichend. "Damit ist alles, was nach NS-Wiederbetätigung riecht, und auch strafwürdiges antisemitisches Verhalten umfasst", sagt Venier. Abgesehen davon sei das Verbotsgesetz schon jetzt gespickt mit allgemein gehaltenen Bestimmungen, die äußerst auslegungsbedürftig seien. "Ich glaube, es ist rechtsstaatlich bedenklich und kriminalpolitisch auch nicht wünschenswert, noch einen solchen unbestimmten Paragrafen in das Gesetz zu packen", sagt Venier.

Ein kleiner Kniff

Der Experte glaubt auch nicht, dass das Strafrecht für Sobotkas Beispiele der richtige Weg ist. Natürlich sei es "zutiefst geschmacklos", wenn Personen auf den Corona-Maßnahmen-Demonstrationen mit Judensternen herumlaufen. Aber der Strafrechtler ist der Meinung, dass eine Demokratie diese Geschmacklosigkeit wohl aushalten müsse. "Das Strafrecht sollte sich darauf beschränken, sozial unerträgliches Verhalten zu bestrafen, dem mit anderen Mitteln nicht beizukommen ist. Gegen die Verharmlosung der gelben Sterne etwa braucht es eine geschichtliche Bewusstseinsbildung, die allen klarmacht, dass die gegenwärtigen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie unmöglich mit den Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen der Nazis vergleichbar sind", sagt Venier. "Aber das ist die Aufgabe der Politik, der Schulen, der Medien, der Zivilgesellschaft und aus meiner Sicht erfolgversprechender, als einige Demonstrierer mit Judensternen auf der Brust durch einen neuen Straftatbestand auch noch zu Märtyrern einer falsch verstandenen Meinungsfreiheit zu machen."

Da knüpft Alois Birklbauer an. Auch der Leiter des Strafrechtsinstituts der Johannes-Kepler-Universität Linz hält einen eigenen Tatbestand für nicht notwendig. Im Verbotsgesetz sei "einiges gegen Antisemitismus drinnen". Nicht zu unterschätzen sei auch der Verhetzungsparagraf. Dieser umfasse nicht nur Hetze gegen Religionen, sondern auch Rassismus und Sexismus. Birklbauer glaubt, dass die gelben Sterne hingegen schon mit einem kleinen Kniff strafrechtlich relevant werden könnten. Nämlich wenn nicht erst die "gröbliche" Verharmlosung des Holocaust nach Verbotsgesetz strafbar werde, sondern schon die Verharmlosung an sich. (Jan Michael Marchart, 28.1.2022)