Junge Menschen sind im EU-Parlament immer noch deutlich unterrepräsentiert – auch wenn das Durchschnittsalter der Abgeordneten bei Antritt zuletzt von 53 auf 49,5 Jahre gefallen ist. Gerade einmal 1,4 Prozent, zehn von 705 Abgeordneten, sind aktuell unter 30 Jahre alt. In der EU-Bevölkerung sind es knapp ein Drittel aller Personen. DER STANDARD hat alle angefragt und schließlich vier der U30-Abgeordneten getroffen und über ihren schwierigen Start und die drängendsten Themen der Jugend gesprochen.

Der Konservative, der Strom "europäisieren" will

Alexander Bernhuber glaubt ans klimaneutrale Europa

Als Alexander Bernhuber, Österreichs jüngster EU-Abgeordneter, vor zwei Jahren erstmals im Plenum Platz nahm, entdeckte der damals 27-Jährige neben sich ausgerechnet den ältesten Sitznachbarn: Silvio Berlusconi, 83 Jahre alt. "Natürlich ist es für junge und neue Abgeordnete am Anfang schwierig, wenn du eben noch nicht jede Telefonnummer hast" oder noch nicht einmal alle Kolleginnen aus der eigenen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), kennst, sagt der Bauernsohn, der möglichst oft zu Hause am Hof in Kilb im niederösterreichische Mostviertel auszuhelfen versucht.

Alexander Bernhuber mit dem ältesten EU-Abgeordneten: Silvio Berlusconi.
Foto: EPP Group

Nicht zu viel versprechen

Zu den Wünschen und Forderungen der Jugend warnt Bernhuber, dass diese manchmal über die Kompetenzen der EU-Institutionen hinausgehen würden. Er wolle keine zu hohen Erwartungen schüren. Denn wenn man diese nicht einhalte, seien viele erst recht wieder enttäuscht von Europa.

Um dem prinzipiellen Euroskeptizismus entgegenzuwirken, will Bernhuber vermehrt jene für Aus- und Fortbildungen im europäischen Ausland begeistern, die eben noch nicht zu den überzeugtesten Europäerinnen zählen. Jene, die "mit 15 in die Polytechnische wechseln und mit ihren ersten Gehältern die Auslandssemester von 24-Jährigen mitfinanzieren". Nur wenn sie über ihre eigenen Möglichkeiten Bescheid wissen, hätten sie für die Reiselust anderer Verständnis, glaubt er.

Bernhuber hofft, dass man eines Tages auf eine EU zurückblickt, die Anfang der 2020er tatsächlich eine Trendwende in der Klimapolitik einleiten konnte und zum Vorreiter in Technologiefragen wurde.

"Klimapolitik muss europäisch gedacht werden", lehnt er nationale Denkmuster bei der Treibhausgasreduktion ab. Fotovoltaikstrom sollte man etwa in Spanien produzieren, wo die Sonne scheint und Böden ohnehin schon steppenähnlich sind – und "nicht damit das halbe Burgenland zupflastern, wo Lebensmittel produziert werden könnten". Zu oft hapere es aber allein schon am Transport des Stroms: "Klar braucht es da Umweltverträglichkeitsprüfungen, aber irgendwann muss auch einmal eine Entscheidung fallen", so der Konservative.

Oft wird Bernhuber in der EU zu viel reguliert, er nennt etwa das neue Tattoofarben-Verbot oder Wasserkontrollen in der Landwirtschaft. Das verstünden manche Bürgermeister in den Gemeinden nicht – dort, wo noch "bodenständige Politik gemacht wird".


Die Dänin Peter-Hansen sorgt sich um die Ängste Gleichaltriger.
Foto: Europäisches Parlament

Die jüngste Abgeordnete aller Zeiten

Kira Marie Peter-Hansen übernimmt Verantwortung

Junge Menschen bräuchten mehr Hoffnung und weniger Angst in ihrem Leben, ist Kira Marie Peter-Hansen überzeugt. Die heute 23-jährige Dänin von der Sozialistischen Volkspartei wurde im Mai 2019 die jüngste EU-Abgeordnete aller Zeiten. Dass sich aufgrund des Klimawandels rund drei Fünftel ihrer Generation vor der Zukunft fürchten, treibt Peter-Hansen dazu an, für eine klimagerechtere Welt zu kämpfen.

Auch dass viele ihrer Gleichaltrigen in den vergangenen Jahren den Kampf auf die Straße getragen haben, motiviert sie. Ebenso die Tatsache, dass sich Menschen vermehrt für klimarelevante Studienfächer engagieren. Dass immer wieder von Personen die Rede ist, die ob der Klimakrise keine eigenen Kinder bekommen wollen, dürfe aber einfach nicht sein. Ein weiterer Motivationspunkt?

"Dass sich meine Generation von den älteren Generationen einfach nicht ernst genommen fühlt", sagt Peter-Hansen, die ihr Wirtschaftsstudium für die Politik unterbrach. Zwar gebe es freilich auch zahlreiche ältere Politikerinnen, die das Thema so dringlich behandeln, wie es sein sollte, aber: "Zu viele glauben, es handle sich um ein politisches Thema wie jedes andere, aber sie liegen falsch", wird die Dänin deutlich.

Neben den Folgen des Klimawandels spüre sie ebenso viel Angst und Sorge, was das Thema Jugendarbeitslosigkeit anbelangt. Viele würden sich dadurch gezwungen fühlen, unbezahlte Praktika anzunehmen. Diese wiederum führten erst wieder dazu, dass man zusätzlich schlechtbezahlte Minijobs annehme, nur um sich Leben und Studium irgendwie zu finanzieren – ein Teufelskreis, der sich oft bis Mitte 30 fortsetze.

Mehr Repräsentation

Anfangs sei es nicht leicht gewesen, ernst genommen zu werden im Parlament. Immer wieder sei ihr jugendlicher Kleidungsstil kritisiert worden oder sie dazu aufgefordert worden, lauter zu sprechen. Man habe schließlich nicht so junge Ohren wie sie.

Mittlerweile ist sie Vizepräsidentin der grünen Fraktion und eines Steuerungskomitees. Sie hat sich durch ihre Arbeit bewiesen, aber immer noch das Gefühl – anderen wie ihr gegenüber –, härter dafür arbeiten zu müssen. Warum es mehr junge Abgeordnete in den Parlamenten Europas brauche?

"Unsere Perspektiven, Hoffnungen, Wünsche und Ideen sind andere als die unserer Eltern. Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir auch die Verantwortung dafür übernehmen", sagt Peter-Hansen.


Der deutsche Grüne Niklas Nienaß will die Debatten im Parlament verbessern.
Foto: Europäisches Parlament

Der Grüne, der Jungen "einen Batzen Geld" schenken will

Niklas Nienaß findet die Plenardebatten zu langweilig

Ein paar Tausend Euro, bar auf die Hand zum 18. Geburtstag: Wer würde da schon Nein sagen? Niklas Nienaß ist begeistert von dieser Idee und glaubt an ihre Finanzierbarkeit. Der 29-jährige Abgeordnete der deutschen Grünen sieht in diesem Konzept einen Weg zu mehr Chancengerechtigkeit. Wer nach Lehre, Ausbildung oder Studium "einen Batzen Geld überwiesen bekommt", könne die erste Firma gründen, von der schon immer geträumt wurde, oder das finanzielle Risiko abfedern, doch noch spät zu studieren, oder reisen oder sparen, und dafür etwas weniger arbeiten. Zu oft scheitere die eigene Kreativität an den finanziellen Mitteln, ist Nienaß überzeugt. "Wenn du das Geld nicht hast, bringt dir die ganze Bildung oder deine geile Idee nichts."

Generell laufe beim Thema Jugendarbeitslosigkeit noch zu vieles fatal falsch. So werden in Deutschland immer noch neue Lehrlinge in der Kohlebranche angestellt – trotz absehbaren Kohleausstiegs. "Völlig absurd", sagt der Parlamentarier.

Nienaß, der in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und 2013 an die Ostsee nach Rostock gezogen ist – um den ehemaligen Osten des Landes besser zu verstehen, wie er einmal sagte –, merkt man seine Leidenschaft für parlamentarische Arbeit schnell an. Mindestens gleich leidenschaftlich ist seine Kritik "maroder und alter Strukturen" im Parlament.

"Das guckt sich doch keiner freiwillig an, so langweilig ist das teilweise", sagt der auf Europarecht spezialisierte Jurist über die Debatten im EU-Parlament. Aber auch: "Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen auch Bock haben hier zu arbeiten." Wenn das EU-Parlament die Basis für europäischen Dialog und Diskurs sein will, müssten sich zahlreiche Dinge grundlegend ändern. Mit den Young Europeans, einem parteiübergreifenden Zusammenschluss junger Abgeordneter, der inhaltliche Diskussionen bewusst außen vor lässt, will er genau das bewirken.

Er will lebendigere Diskussionen entfachen, keine Einminutenbeiträge für den eigenen Social-Media-Kanal. Bürgerinnen, Journalisten und auch die anderen Abgeordneten müssen wieder für die Diskussionen im Plenum begeistert werden. Nur dann sei auch ein echter inhaltlicher Wandel möglich.

Die neue Arbeitswelt aber käme in Straßburg und Brüssel nur sehr schleppend an. "Man will als junger Mensch hier doch gar nicht arbeiten", sagt Nienaß. Beruf und Arbeit unter einen Deckel zu bringen, sei quasi gar nicht vorhergesehen – alles auf Politrentner abgestimmt. Ausgerechnet Corona habe durch das Remote-Arbeiten aber zu einigen wenigen Besserungen geführt, von denen er hofft, dass sie erhalten blieben.

Viel Blabla, zu wenig Aktion

Das grüne Kernpolitikum, die Klimapolitik, sei ein mühsamer Kampf in Brüssel und Straßburg. Viele würden darüber reden, weil das Thema gerade "en vogue" sei, aber zu wenige würden handeln, zu wenige Gesetze würden am Ende herauskommen. "Wir müssen hier um jeden kleinen Mini-Step kämpfen." Tendenziell sähen die Jüngeren das Problem aber einfach als akuter und brisanter an. Mit den konservativen Mehrheiten im EU-Parlament sei der Fortschritt, den er und viele junge Menschen sich erwarten, aber eben nicht immer im gewünschten Ausmaß zu erreichen. Da werde schon einmal sinnvolle Klimapolitik zugunsten der eigenen Interessen im Heimatland torpediert.

Abseits davon tritt Nienaß vor allem für gleiche Bildungschancen ein, weiß aber, dass die Kompetenzen der EU dahingehend limitiert sind. Darauf aufmerksam zu machen, gilt es trotzdem. Er kämpfe jedenfalls dafür, dass wir "eines Tages eine Europäische Republik haben werden", sagt er. Und vielleicht gibt es eines Tages ja die tiefer integrierte EU, mit der auch das möglich wäre. Nienaß’ Argument für die Zukunft verbindet er auch auch mit einem pessimistischen Blick nach hinten: "In der Vergangenheit war schon auch richtig vieles scheiße!"


Die tschechische Piratin Markéta Gregorová will ein tiefer integriertes Europa.
Foto: Marketá Gregorova

Die Piratin, die nicht aufgegeben hat

Markéta Gregorová sorgt sich um Europas Demokratie

Markéta Gregorová weiß, was Scheitern bedeutet. Die 29-jährige Tschechin, die lange im E-Commerce-Bereich gejobbt hat, ist seit Jahren politisch aktiv, verpasste aber wiederholt knapp notwendige Prozenthürden bei lokalen, nationalen und europäischen Wahlen. Dass es ihr aber nicht nur um den Posten oder das Salär, sondern vor allem um die Sache geht, bewies das Mitglied der Piratenpartei, als sie die Stelle als Kulturstadträtin von Brünn ausschlug, weil sie inhaltlich nicht mit der Dreiparteienkoalition aus Konservativen, Christ- und Sozialdemokraten übereinkam. Seit 2019 ist Gregorová, die Europastudien studierte, EU-Abgeordnete und findet: "Die besten Ergebnisse erreicht man immer, wenn man möglichst viele Meinungen und Erfahrungen hört."

Eben dieses Argument der Erfahrung werde aber zu oft gegen junge Entscheidungsträgerinnen ins Spiel gebracht, dabei machen diese oftmals ganz andere Erfahrungen, die mindestens gleich wichtig sind. Und sie fügt an: Man könne zwar davon träumen, dass Politikerinnen und Politiker stets alle Generationen vertreten. Die Realität zeige aber, dass das nicht der Fall sei. Deshalb brauche es Parteien, die junge, diverse Menschen an wählbare Plätze setzen.

Demokratieproblem

Neben der Klimakrise und der europaweit grassierenden Teuerung am Wohnungsmarkt sorgt sich die Piratin vor allem um die Demokratie auf dem Kontinent. "Uns wurden fliegende Autos versprochen, und jetzt reden wir in manchen Staaten wieder darüber, ob Frauen überhaupt in die Politik sollten und ob Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit frei machen können", zeigt sie sich enttäuscht. Den Mix aus Politfrust, Pandemie und radikalen Parteien hält sie für brandgefährlich. Man müsse aufpassen, dass die Jugend nicht bald in autoritären Regimen aufwache.

Dies hängt freilich auch mit der Verbreitung von Fake News zusammen. Laut Gregorová sei die Anfälligkeit für solche Falschmeldungen aber keine Frage des Alters. Studien würden zeigen, dass es eher mit dem Bildungsgrad zusammenhängt. Vor allem aber mit einem Vertrauen in die Politik. Wer der Regierung vertraut, glaubt ihr auch, wenn sie auf transparentem Weg die Tatsachen präsentiert.

Gregorovás Vision für 2050 ist ein europäischer Föderalismus, der auch lokale Kulturen und Identitäten zulässt, weil sich um die großen Probleme die EU ohnehin schon kümmert. (Fabian Sommavilla aus Straßburg, 30.1.2022)