Bei all den Querelen der vergangenen Jahre, an einem gibt es kaum einen Zweifel: Huawei weiß, wie man gute Hardware baut. Dass die Marktanteile des Unternehmens in den vergangenen Jahren massiv eingebrochen sind, hat denn auch ganz andere Gründe: Ein US-Handelsbann hat dazu geführt, dass Google nicht mehr mit Huawei zusammenarbeiten darf. Seitdem sucht man nicht nur all die bekannten Google-Apps vergebens, es fehlen vor allem der Play Store und wichtige Infrastrukturdienste, die von vielen Apps genutzt werden, was viele Interessenten abschreckt.

Neuvorstellungen

Die Hardware kann sich hingegen noch immer sehen lassen. So bringt Huawei in Kürze zwei neue Smartphones auf den österreichischen Markt: das P50 Pro sowie das P50 Pocket – Huaweis neuestes faltbares Gerät. Auf ebendieses konnte DER STANDARD bereits einen ersten Blick werfen, woraus die folgenden Eindrücke entstanden sind. Wie immer sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das nicht mit einem echten Test verwechselt werden darf, da in so einem Rahmen wirklich nur rasche Impression gesammelt werden können. So lassen sich etwa keinerlei Aussagen zu so zentralen Punkten wie Akkulaufzeit machen, und auch im Bereich Fotografie lässt sich bestenfalls an der Oberfläche kratzen.

Das Huawei P50 Pocket folgt dem Design des Galaxy Z Flip 3. Es lässt sich in der Mitte zusammenklappen, damit es kompakt in die Tasche passt.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Kennen wir uns?

Warum Gutes neu erfinden, wenn man sich auch von anderen inspirieren lassen kann. So oder so ähnlich scheint man wohl in der Huawei-Hardwareabteilung gedacht zu haben, als das P50 Pocket ersonnen wurde. Denn um es klar zu sagen: Rein äußerlich handelt es sich dabei um einen beinahe schon unverschämten Klon von Galaxy Z Flip 3. Etwas breiter, etwas dünner, aber wenn man die Geräte nebeneinanderlegt, könnte man denken, dass dahinter der gleiche Hersteller steckt. Selbst das Scharnier, mit dessen Hilfe das Gerät wie ein altes Klapphandy platzsparend verstaut werden kann, sieht exakt gleich aus.

Allerdings auch ein Klon, bei dem Huawei einige Verbesserungen vorgenommen hat. So lässt sich das Gerät (fast) komplett zusammenklappen, einen Spalt wie bei den aktuellen Samsung-Geräten gibt es nicht. Wer sich jetzt Sorgen um den Bildschirm macht, kann beruhigt werden, es gibt ohnehin einen leicht abgehobenen Rahmen um das Display. Die Bildschirmhälften liegen also nie direkt aufeinander auf. Im ausgeklappten Zustand spürt man unter dem Display in der Mitte eine leichte Einbuchtung, ganz so, wie es von anderen faltbaren Smartphones bereits bekannt ist.

Schicker Außenbildschirm

Eine weitere Änderung zum Samsung-Design: An der Außenseite gibt es einen 1,04 Zoll großen, runden Bildschirm mit einer Auflösung von 340 x 340 Pixel. Das runde Design mag auf den ersten Blick nicht sonderlich funktional sein, es passt aber zu einem Gerät, das ohnehin sehr stark auf den Lifestyle-Faktor setzt. An dieser Stelle können jedenfalls Uhr, Timer oder Benachrichtigungen angezeigt werden, wer will, kann darüber auch die Kamera aufrufen, ohne das Gerät auffalten zu müssen. Eine nette Spielerei also.

Der Einschaltknopf ist übrigens mit einem Fingerabdrucksensor kombiniert, auch das wieder etwas, das man beim Galaxy Z Flip 3 exakt so findet – und zwar auch in der konkreten Ausformung. Generell wirkt das Gerät hervorragend verarbeitet, die große Erfahrung von Huawei in diesem Bereich zahlt sich also aus. Das Gewicht des P50 Pocket liegt übrigens bei 190 Gramm. Ausgeklappt ist es 170 x 75,5 x 7,2 Millimeter groß, zusammengeklappt kommt es auf eine Dicke von 15,2 Millimetern.

Der Bildschirm

Ebenfalls sehr positiv fällt die Darstellungsqualität des Bildschirms auf. Dass die Auflösung bei einer Größe von 6,9 Zoll "nur" 2.790 x 1.188 Pixel beträgt, fiel ebenfalls nicht negativ auf. Das stark längliche 21:9-Format garantiert übrigens, dass das Gerät trotz der großen Bildschirmdiagonale noch immer halbwegs handlich bleibt. Also zumindest solange man nichts oben am Bildschirm erreichen muss.

Ausgeklappt sieht es aus wie ein ganz normales Smartphone.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Vor allem aber handelt es sich dabei um ein 120-Hz-Display, Animationen sind hier also butterweich. Positiv auf die Nutzerinteraktion wirkt sich zudem aus, dass Touch-Erkennung gar mit 300 Hz läuft, wodurch die Eingabeverzögerung sehr kurz ist.

Ein sehr spezieller Chip

Generell gibt es auf den ersten Blick an der Performance des Geräts nichts auszusetzen. Damit wären wir an der perfekten Stelle angekommen, um ein paar Worte über den Prozessor – oder eigentlich richtiger: den System on Chip (SoC) – zu verlieren, handelt es sich dabei doch um einen Snapdragon 888, also Qualcomms Topchip des Vorjahres.

Das mag jetzt manche verblüffen, sollte doch eigentlich der Handelsbann auch Huaweis Zugriff auf Qualcomm-Chips unterbinden. Ein Rätsel, für das es aber eine einfach Lösung gibt. Huawei hat Ende 2021 eine Ausnahmegenehmigung für den Kauf dieses besagten Chips bekommen. Das allerdings mit einer entscheidenden Auflage, die die Interessenten am P50 Pocket wenig freuen dürfte: Der 5G-Support musste gestrichen werden. Es handelt sich also um eine Spezialversion des besagten Chips, Snapdragon 888 4G genannt.

Für Huawei war das ein bisschen die Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Durch eine Verschärfung des Handelsbanns hatte man nämlich auch TSMC als Partner verloren, wodurch man keine neuen High-End-Chips der eigenen Kirin-Serie mehr herstellen konnte. Da blieb die Nutzung eines etwas veralteten Qualcomm-SoCs mit spezifischen Beschränkungen offenbar die bessere Wahl. Trotzdem mutet es etwas seltsam an, wenn ein neues High-End-Gerät ohne eine Technologie auf den Markt kommt, die die Mobilfunker seit Jahren als die wichtigste Neuerung seit Menschengedenken verkaufen.

Kamera

Zur Kamera lässt sich in diesem Setting, wie gesagt, wenig sagen, es gibt jedenfalls eine 40-Megapixel-Hauptkamera sowie eine 13-Megapixel-Ultraweit-Kamera. Dazu kommt noch eine 32-Megapixel-Ultra-Spectrum-Kamera, die zur Verbesserung der Aufnahmen da ist. Das klingt alles angemessen für solch ein Gerät. Wer die besten Fotofähigkeiten haben will, wird aber ohnehin zum P50 Pro greifen, das stärkere Sensoren und auch noch eine Telekamera zusätzlich hat. Ach ja, eine Selfie-Kamera mit 10,7 Megapixeln gibt es ebenfalls.

Auf der Außenseite gibt es einen kleinen und vor allem runden Bildschirm. Im zweiten Kreis sind die Kameras untergebracht.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Vermischtes

Ein paar weitere Eckdaten noch: Das RAM liegt bei 8 GB, der lokale Speicherplatz ist mit 256 GByte angegeben. Die "Premium Edition" mit 12/512 GB soll in Österreich nicht auf den Markt kommen. Der Akku ist mit 4.000 mAh angegeben und soll sich mit maximal 40 Watt laden lassen. Es gibt WiFi 6 und Bluetooth 5.2. Zur Verbindung nach außen dient ein USB-C-Anschluss, der allerdings nur USB 2.0 und damit eine relativ langsame Datenübertragung unterstützt. Dafür hat er auch Support für Displayport 1.2, das Geschehen am Bildschirm kann also extern ausgegeben werden. NFC-Unterstützung und GPS werden natürlich ebenfalls geboten.

KEIN Harmony OS

Kommen wir zum zweiten großen Problemkind, der Software. Konkret läuft auf den europäischen Versionen des P50 Pocket das Android-11-basierte EMUI 12. Warum man hier noch nicht auf das in China forcierte Harmony OS gewechselt ist, bleibt ein Rätsel. Gleichzeitig ist aber ohnehin nicht ganz klar, was jetzt dann die konkreten Unterschiede zwischen Harmony OS und dem bisherigen EMUI sind, handelt es sich doch bei beiden um Android-Abspaltungen. Aber vielleicht klärt sich das ja alles noch in naher Zukunft.

Bemüht

Das wahre Killerargument gegen das P50 Pocket bleibt aber weiter das Fehlen der Google-Dienste. Zwar bemüht sich Huawei redlich, diese mit eigenen Services und Apps zu ersetzen, die Lücke bleibt aber unübersehbar. Zwar gibt es viele Google-App-Nachbauten wie Petal Maps oder Petal Search, wer das Original gewohnt ist, wird damit aber nicht so recht glücklich werden.

Größer ist aber noch die Hürde bei der Softwareauswahl. Während man gerade viel österreichische App-Hersteller für die Unterstützung der App Gallery gewinnen konnte, sieht es bei US-Apps eher düster aus. Diese findet man zwar oft trotzdem in der Softwareauswahl, die Installation erfolgt dann aber über den Umweg von irgendwelchen Seiten, die die entsprechenden Pakete mehr oder weniger direkt aus dem Play Store kopieren. Von der zweifelhaften Legalität dieses Tuns mal ganz abgesehen, wirft dies auch allerlei Sicherheits- und Wartungsfragen auf. Huawei verspricht zwar, die Apps vor der Installation noch mal extra zu überprüfen, trotzdem ist das bestenfalls ein Notbehelf, zu dem man nicht wirklich raten kann.

Schnittmengen

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Es mag natürlich Menschen geben, die das Fehlen von Google-Diensten sogar als Vorteil sehen und die auch mit den sich dadurch ergebenden Problemen gut leben können. Es darf aber daran gezweifelt werden, dass die Schnittmenge zwischen jenen, die aus Privatsphärengründen Google meiden, aber keine Probleme mit aus China stammenden Alternativen haben, sonderlich groß ist.

Von der Seite betrachtet sieht man die Biegestelle gut.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Kurz Luft holen für den Preis

Wirklich verblüffend wird es dann bei der Preisgestaltung: 1.299 Euro will Huawei nämlich für das P50 Pocket haben. Das ist – freundlich gesagt – gewagt. Immerhin liegt das stolze 250 Euro über dem Listenpreis des günstigsten Galaxy Z Flip 3, das nicht nur eine ähnliche Hardware, sondern auch noch Google-Dienste und 5G-Support hat. Über die österreichischen Mobilfunker soll das neue Smartphone ebenfalls nicht verkauft werden, Huawei beschränkt sich vorerst auf den Direktverkauf.

Ist das noch ein echtes Produkt?

Angesichts all dessen drängt sich schnell der Verdacht auf, dass es Huawei mit dem Marktstart nicht ganz so ernst meint. Das P50 Pocket wirkt mehr wie eine Hardwareübung, bei der man Know-how für kommende Jahre sammelt, die eigene Entwicklungsabteilung auf Trab hält und sich in der Öffentlichkeit in Erinnerung ruft. Aber auch eine, bei der über den Preis sichergestellt wird, dass die Verkaufszahlen auf einen gewissen Rahmen beschränkt bleiben.

In Summe ist das P50 Pocket ein extrem interessantes Gerät – aber vor allem für jene, die gerne "Was wäre wenn"-Gedankenspiele anstellen. Nämlich: Was wäre, wenn das gleiche Gerät ohne durch den US-Handelsbann auferlegt Soft- und Hardwarebeschränkungen auf den Markt gekommen wäre – und dann auch noch zu einem realistischeren Preis. Dann hätte Samsung wohl endlich einen wirklich formidablen Konkurrenten für seine faltbaren Smartphones. So bleibt das aber eben nur ein Gedankenspiel. (Andreas Proschofsky, 28.1.2022)