Korbsessel, Bambustisch und Gin: Mark Dion inszeniert mit "The Ethnographer at Home" eine künstlerische Tätigkeit als Reproduktion kolonialer Verhältnisse.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

In dem von Matthias Michalka kuratierten Bereich "Die Grenzen unserer Welt" werden neue Perspektiven eingenommen. Foto-, Installations- und Videokunst wirft kritische Blicke auf künstlerische, museale und mediale Darstellungsstrategien – und in die Welt hinaus.

STANDARD: In dem von Ihnen kuratierten Bereich trifft Fareed Armalys Installation "The (re)Orient" mit Fotografien von Lisl Ponger sowie Mark Dions Installation "The Ethnographer at Home" zusammen. So unterschiedlich die Herangehensweisen sind, hinterfragen sie alle das westliche Bild vom "Rest der Welt". Welche Zugänge werden hier gewählt?

Michalka: Wenn Museen und Medien Bilder des Fremden oder Geschichten kultureller Differenz vermitteln, wird allzu oft ausgeblendet, aus welcher Perspektive bzw. von welchem Standpunkt aus dies geschieht. Der eigene Blickwinkel wird zur kulturellen Norm erhoben, die eigene Sicht naturalisiert. Im Eingangsbereich zu Die Grenzen unserer Welt versuchen wir mit Arbeiten, die einen kritischen Blick auf künstlerische, museale und mediale Darstellungsstrategien werfen, diese blinden Flecken gezielt zum Thema zu machen.

STANDARD: Der US-amerikanische Künstler Fareed Armaly, dessen Familie aus Palästina und dem Libanon stammt, hat dafür ein "Museum im Museum" gestaltet. Was findet man darin vor?

Michalka: Einen mit Stellwänden, Vitrinen und Monitoren gestalteten Parcours, der Fundobjekte, Filmfragmente und eigens hergestellte Artefakte beinhaltet. Den Weg durch The (re)Orient weist ein von Armaly verfasster Ausstellungsfolder, der zusammen mit der Installation eine Auseinandersetzung mit Orientalismus und der abendländischen Darstellung des Nahen Ostens ermöglicht. Wie durch den Sucher einer Kamera blicken die Besucher:innen zunächst durch eine kleine Öffnung in einer Galeriefassade. Auf einem kleinen Monitor im Inneren sehen sie von einem bestimmten Standpunkt aus eine Szene aus Jean-Luc Godards Film Bande à part: zwei Männer und eine Frau, die durch den Louvre rennen ...

"Gespenstisch aktuell": Yto Barrada setzt sich mit Themen wie Migration und Flucht auseinander. In ihrer Fotoserie "A Life Full of Holes: the Strait Project" hat sie 1999 die Situation in Ceuta, einer spanischen Enklave in Marokko, fest-gehalten.
Foto: Yto Barrada

STANDARD: Eigentlich betreibt er damit eine selbstkritische Sicht auf die Präsentation beispielsweise kolonialer Objekte innerhalb musealer Strukturen. Welchen Fragen müssen sich Museen (moderner Kunst) aktuell stellen?

Michalka: Mit The (re)Orient hält Fareed Armaly dem Museum und den Besucher:innen den Spiegel vor. Wo stehen wir, wie blicken wir auf die Dinge und die uns fremden Kulturen, welche Wahrnehmungen erlauben museale und mediale Repräsentation, und wie steht es um die Geschichte unserer kulturellen Aneignung?

STANDARD: In "Die Grenzen unserer Welt" liegt ein Schwerpunkt auf filmischen und fotografischen Werken. Dominieren diese Techniken in der gegenwärtigen künstlerischen Auseinandersetzung mit politischen, ökonomischen und kulturellen Grenzen tatsächlich? Und wenn ja, wieso?

Michalka: Diese Medien bestimmen heute unseren Alltag und unsere Wahrnehmung. Dass sie daher von Künstler:innen, die sich mit Repräsentationsfragen und gesellschaftlichen Phänomen auseinandersetzen, genutzt und hinterfragt werden, ist klar. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass momentan weniger malerische oder skulpturale Werke zu derartigen Themen entstehen. Die Konzentration auf neuere Medien in dem von mir gestalteten Ausstellungsbereich hat weniger mit dem Bemühen zu tun, einen medial repräsentativen Überblick zu bieten, als vielmehr mit dem Ziel, enge formale und inhaltliche Verbindungen zwischen den ausgewählten Werken für eine vertiefende Auseinandersetzung zu nutzen.

Checkliste ein- mal anders: Die österreichische Künstlerin Lisl Ponger stellt in ihrer Fotografie "Wild Places" die Frage nach den historischen Etappen der Aneignung fremder Kulturen. Auf dem Arm der Frau werden verschiedene Rollen dieses Eroberungsprozesses aufgelistet.
Foto: Bildrecht Wien, 2021

STANDARD: Nach welchen Kriterien haben Sie Werke für den von Ihnen kuratierten Teil der Ausstellung ausgewählt?

Michalka: Wir haben in unserer Sammlung zahlreiche Arbeiten, die auf Grenzen und Trennlinien zwischen dem Eigenen und dem Fremden Bezug nehmen. Vor die Aufgabe gestellt, unsere Bestände im Bereich der Gegenwartskunst zu präsentieren, waren für mich diese künstlerischen Auseinandersetzungen mit Abgrenzungen, mit unserem ambivalenten Verhältnis zum anderen, zu anderen Räumen, anderen Kulturen und anderen Ökonomien besonders interessant. Auch im Hinblick auf die zentrale Bedeutung medialer Bilder in diesem Zusammenhang.

STANDARD: Künstlerinnen wie Dorit Margreiter oder Yto Barrada beschäftigen sich in ihren Arbeiten aus den Jahren 1999 und 2000 mit Migration und Flucht. Wie hat sich die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema in den letzten Jahren gewandelt?

Michalka: Für mich sind die Arbeiten dieser Künstlerinnen geradezu gespenstisch aktuell. Wenn etwa Barrada Grenzüberschreitungen und Migration in Ceuta thematisiert, einer spanischen Enklave in Marokko, die 2021 im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung stand, so würde kaum jemand vermuten, dass ihre einfühlsamen und eindrücklichen Fotografien bereits 1999 entstanden sind. (Katharina Rustler, 28.1.2022)