Es ist kurz vor zwölf. In wenigen Minuten startet das Konzert mit Werken von Franz Liszt, Béla Bartók und Zoltán Kodály. Es ist, als würde man mitten im Városliget, im Budapester Stadtpark, sitzen. Linker Hand und hinter der Bühne scheinen die alten Silberpappeln regelrecht in den Saal hineinzuwachsen, einzig getrennt durch riesige, bis zu zwölf Meter hohe Glasscheiben, die zu den größten jemals produzierten Gläsern zählen. "Ich denke", sagt András Batta, ein stolzes Lächeln im Gesicht, "dass dieser Blick für sich spricht. Das ist genau das, was wir wollten – ein Haus der Musik mitten im Wald."

Ein Instrument der Musik oder doch der Politik? Das Haus der Musik, entworfen vom japanischen Architekten Sou Fujimoto, ist von atemberaubender Eleganz – mit einem Wermutstropfen.
Foto: Városliget / Liget Budapest

Letzten Sonntag, am ungarischen Tag der Kultur, wurde das Budapester Prestigeprojekt nach drei Jahren Bauzeit eröffnet. Batta – zuvor zehn Jahre lang Direktor der Franz-Liszt-Akademie, nun Intendant des sogenannten Magyar Zene Háza, so der Originalname der eigens gegründeten Institution – war in die Konzeption und Planung des Kulturprojekts von Anfang an involviert. Seine Vision war ein ganzheitliches Haus der ungarischen und europäischen Musik mit Konzertsälen, Dauerausstellung, Musikbibliothek, Unterrichtszentrum und eigener Forschungsabteilung.

"Ich bin ausgebildeter Musikwissenschafter, und ich habe einen holistischen Anspruch an die Musik", so Batta. "Bei uns sollen die Besucher nicht nur ein Konzert konsumieren, sondern auch die Möglichkeit haben, sich zu Hintergründen der Musikgeschichte und zeitgenössischen Musikkultur zu informieren. Wir wollen Genuss und Unterhaltung mit einem gewissen kulturellen Bildungsauftrag kombinieren." Im letzten Stock gibt es anmietbare Ton- und Videoschnitträume.

Die Verpackung für dieses ambitionierte Programm lieferte der japanische Architekt Sou Fujimoto. Es ist nicht nur das erste Mal seit geraumer Zeit, dass ein ausländischer Architekt im nationalistisch geprägten Ungarn zum Zug kommt, sondern auch der erste offene, international ausgeschriebene Architekturwettbewerb in mehr als hundert Jahren. In der Jury saßen internationale Granden wie etwa Wim Pijbes (Rijksmuseum Amsterdam), Paula Cadima (AA London School of Architecture) und die Pritzker-Preis-Direktorin Martha Thorne.

Foto: Városliget / Liget Budapest

Mit seinem Konzept eines verglasten Hauses mit "Käsedach", "Pancake" oder durchlöchertem "Schwammerl" mit seinen 80 Meter Durchmesser obendrauf – Vulgonamen gibt es für die eigenwillige Form schon viele – konnte sich Fujimoto gegen knapp 170 Mitbewerber aus aller Welt durchsetzen. "Wir sind hier von einem wunderschönen Wald umgeben, und ich wollte für die besondere Bauaufgabe eine Lösung finden, die es schafft, Architektur und Natur miteinander zu verbinden", sagt er in einem Youtube-Interview, das den Journalisten zur Verfügung gestellt wurde. "Man geht unter den Bäumen spazieren, und plötzlich mutiert der natürliche Wald zu einem künstlichen, architektonischen, und man steht unter einem großen, goldenen Blätterrauschen."

Genau dieser Farb- und Materialmix ist es, der überrascht. Zwar hat er in einigen seiner Projekte immer wieder auf naturbelassenes Holz zurückgegriffen, doch in der Regel steht Fujimoto für eine minimalistische, strahlend weiße, sich fast schon dematerialisierende Architektur. Hochglanzmetalle, grau melierte Stahlsäulen und Keramikfliesen, die so tun, als wären sie altes, patiniertes Eisen, waren bislang nicht in seinem Repertoire. "Ja, dieses Projekt ist etwas ganz Neues für mich. Solche Formen und Materialien habe ich in der Tat noch nie zuvor verwendet."

"Etwas ungarischer"

An der Unterseite des Hauses glänzen und glitzern 30.000 dreieckige stilisierte Blätter in drei unterschiedlichen Goldtönen. Sie sind ein Zitat der goldenen Jugendstil-Blätterornamente im Großen Saal der Franz-Liszt-Akademie. Eine atemberaubende Eleganz. Der Wermutstropfen ist die Tatsache, dass Fujimoto selbst das gar nicht so geplant hatte. Nach Würdigung seines siegreichen Entwurfs wurde er von den Auslobern darum gebeten, das Haus "ein bisschen weniger japanisch" und dafür "etwas ungarischer" zu gestalten.

Die Anekdote ist symptomatisch dafür, wie sehr dem Projekt der Nimbus des Instrumentalisierenden anhaftet. Auf der einen Seite die beiden Konzertsäle mit 300 und 100 Sitzplätzen und ihrem erstaunlich warmen Klang, der der Planung von Nagata Acoustics (Elbphilharmonie Hamburg) und den elastisch aufgehängten Glasschindeln zu verdanken ist, die Musikausstellung mit ihrer zwar naiven Ausstellungsarchitektur, aber zugleich sehr lustvollen, interaktiven, didaktisch klugen Hologramm-Szenografie und überhaupt die luftig leichte Raumkomposition mit ihrer so bestechenden Logik, dass es nicht einmal eines Orientierungssystems bedurft hätte – eine gute Mischung, die dem Besucher mit Respekt, Fröhlichkeit und modernem Glamour begegnet.

Foto: Városliget / Liget Budapest

Auf der anderen Seite jedoch der Beigeschmack, in einem baulich manifest gewordenen Werkzeug eines rechten Regimes zu stehen, das mit diesem international vielbeachteten Gebäude sein vorvorgestriges Image aufpolieren will. Jeder Raum ist immer auch ein politischer. "Budapest blickt auf eine unglaublich reiche Musikkultur zurück, aber bislang gab es keine Möglichkeit, dieses Erbe in einer gegenwärtigen Form greifbar zu machen", sagt Lász ló Baán, Ministerialkommissär, Projektinitiator und zugleich Mitglied der Jury. "Nun gibt es diesen Raum. Ich würde sagen, es ist ein kultureller und gesellschaftlicher – und kein politischer."

Das Haus der Musik (Baukosten 70 Millionen Euro) ist nur ein Steinchen von vielen. In wenigen Wochen wird das Ethnografische Museum von Napur Architects eröffnet, und schon bald startet der Bau eines weiteren japanischen Projekts, der neuen Nationalgalerie von Sanaa. Auf der Immobilienmesse Mipim 2017 in Cannes war die Kulturbaustelle im Városliget sogar für den "Best Futura Mega Project Award" nominiert gewesen. Ob dieses Megaprojekt ein ernsthafter Versuch ist, Ungarn wieder auf die internationale Landkarte zu bringen, oder doch nur ein Instrument, um Orbáns Macht mit goldenem Blätterwerk aufzupolieren, wird sich erst weisen. (Wojciech Czaja, 30.01.2022)