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Das Smart Home besteht nicht aus Amazon und Google alleine, aber beide Hersteller übernehmen eine zentrale Rolle. Insofern ist ihr Support für Matter äußerst relevant.

Foto: Mark Lennihan / AP

In der Theorie klingt es so schön: Vom Licht über die Heizung bis zum Staubsauger, all das soll sich dank "Smart Home" bequem vom Smartphone aus steuern lassen, so versprechen es die Hersteller. Und wenn man die Perspektive weit genug anlegt, dann stimmt das auch tatsächlich. Was dabei aber gerne verschwiegen wird, ist, wie mühsam der Weg dorthin oftmals ist.

Stückwerk

Die Realität ist: Das "Smart Home" ist derzeit eine Art technologischer Fleckerlteppich mit für die Nutzer äußerst unerfreulichen Konsequenzen. Da jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kocht, müssen am Thema Interessierte schon beim Kauf darauf achten, ob das von ihnen auserkorene Gerät überhaupt in das jeweilige Netzwerk passt. Denn nur weil ein Gerät mit Apples Homekit zusammenarbeitet, heißt das noch lange nicht, dass es sich auch in eine von Amazons Alexa oder dem Google Assistant gesteuerte Welt integrieren lässt.

Dazu kommt der App-Wildwuchs, der bei "Smart Home"-Nutzern schnell entsteht. Selbst zum Einrichten so simpler Dinge wie einer Lampe braucht es meist eigene Apps des jeweiligen Herstellers, die dann wieder mit den jeweiligen Lösungen von Apple, Google und Co verbunden werden müssen – sofern das eben geht.

Dazu kommt, dass viele dieser Systeme nur mithilfe des Internets funktionieren, also gar nichts geht, wenn das Netz mal ausfällt. Und dann werden natürlich oft noch eigene "Hubs" benötigt, die das Signal zur Steuerung dieser Geräte in der Wohnung verteilen. Über die Sicherheit eines solchen Flickwerks wollen wir lieber mal gar nicht reden.

Kollektiver Anfall von Vernunft

In dieser Situation dürfte irgendwann einmal auch den großen Anbietern klar geworden sein: So kann es nicht weitergehen. Und so haben sich Amazon, Google, Apple und Samsung gemeinsam mit dutzenden anderen Firmen zusammengesetzt, um nach einer Lösung zu suchen. Herausgekommen ist dabei ein neuer Standard. Nun kann man das durchaus zynisch kommentieren, immerhin ist ein neuer Standard zunächst einmal nur eines: ein Standard mehr. In diesem Fall hat dieser aber dank einer breiten Unterstützung quer durch die gesamte Branche wirklich das Potenzial, die Smart-Home-Welt zu revolutionieren.

Matter ist (bald) da

Mit "Matter" soll eine gemeinsame Grundlage für das "Smart Home" geschaffen werden. Und zwar nicht irgendwann, sondern schon ziemlich bald: Ursprünglich für 2021 anvisiert, mussten die Pläne durch die Covid-19-Pandemie verschoben werden, 2022 wird es nun aber ernst: Nicht nur dass der Standard in den kommenden Monat finalisiert werden soll – vor Ende des Jahres sollen auch bereits die ersten neuen Geräte mit Matter auf den Markt kommen, und manch bestehende soll mittels Software-Update damit kompatibel gemacht werden.

Schon bald wird auf vielen Smart-Home-Geräten das Matter-Logo prangen.
Foto: CSA

Als Trägerorganisation für den einst unter dem Namen Project Connected Home over IP (Project CHIP) entwickelten Standard fungiert die Connectivity Standards Alliance, die in der Sparte ebenfalls keine Unbekannte ist. Handelt es sich dabei doch um eine Weiterführung jener Zigbee Alliance, die schon früher versucht hat, die technischen Grundlagen für das "Smart Home zu etablieren – mit eher begrenztem Erfolg. Das Matter-Protokoll ist zwar Open Source, allerdings wird es einen Zertifizierungsprozess geben, den alle Geräte durchlaufen müssen, die mit dem zugehörigen Logo werben wollen.

Die Bestandteile von Matter

Doch wie sieht es nun mit dem technischen Aufbau von Matter auf? Eine der zentralen Entscheidungen in der Entwicklung war, bewährte Internettechnologien als Grundlage zu verwenden. Konkret bedeutet dies, dass jedes Gerät eine eindeutige IPv6-Adresse hat, über die es direkt zu erreichen ist. Der Vorteil dabei: Es braucht keine Hubs, Bridges oder ähnliche Behelfe mehr, jede Lampe, jedes Schloss kann ohne Umwege angesprochen werden.

Zur eigentlichen Kommunikation verwenden Matter-Geräte einen Mix unterschiedlicher Technologien. Das kann etwa WLAN oder auch eine kabelgebundene Internetverbindung sein, zum Einrichten kommt auch Bluetooth zum Einsatz. Die zentrale Rolle spielt aber eine Technologie namens Thread. Diese ist ebenfalls nicht ganz neu – sie wurde 2014 von Google / Nest standardisiert, hat hier nun aber ihren großen Auftritt.

Alles dreht sich um Thread

Thread ist ein sogenanntes Mesh-Netzwerk-Protokoll. Den Begriff "Mesh" werden viele bereits von aktuellen WLAN-Routern kennen, das Prinzip ist dasselbe: Thread spannt aus allen damit verbundenen Geräten ein maschenartiges Netz. Das soll nicht nur optimale Abdeckung sichern, sondern auch automatisch Abdeckungslücken auffüllen, wenn mal ein einzelnes Gerät ausfällt.

Grafik: CSA

Stellt sich natürlich die Frage: warum überhaupt etwas Neues, anstatt einfach WLAN zu nehmen? Das liegt vor allem am hohen Stromverbrauch, der mit der WLAN-Nutzung einhergeht. Thread hingegen lässt sich auch mit akkugetriebenen Devices verwenden. Bluetooth würde wiederum nicht die notwendige Reichweite bieten. Technisch wurde übrigens auch für Thread nicht das Rad neu erfunden, es basiert auf 802.15.4, landläufig als Zigbee bekannt – nur eben mit anderer Software.

Keine unnötigen Umwege mehr

Ein weiterer Vorteil dieses Aufbaus: Die Kommunikation mit den Geräten im eigenen Smart Home kann komplett lokal erfolgen – also ohne Umweg über das Internet. Das garantiert nicht nur erheblich schnellere Reaktionszeiten, es funktioniert auch, wenn es gerade einen Netzausfall gibt. Das heißt nicht, dass solche Systeme komplett unabhängig vom Internet sind – das sind sie natürlich nicht. So müssen ja die laufenden Software-Updates irgendwoher herkommen, und wer Heizung und Licht von außen steuern will, der muss diese natürlich irgendwie aus dem Internet erreichen können. Aber die Basisfunktionen gehen eben komplett lokal.

Apropos Verbindung ins Internet: Die muss natürlich auch irgendwie hergestellt werden. Diese Aufgabe übernehmen im Matter-Modell sogenannte "Border-Router". Das sind aber keine eigenen Geräte, sondern einfach einzelne Devices des Smart-Home-Verbunds, die fix am Strom hängen. Also etwa ein smartes Display oder auch ein WLAN-Router – doch selbst smartes Licht oder Steckdosen können solche Aufgaben übernehmen. Üblicherweise wird es in jedem Haushalt also mehrere Border-Router geben, was wiederum hilft, die Ausfallsicherheit zu stärken.

Sicherheit

Wenn jetzt aber alle Daten über so einen Border-Router ins Internet transportiert werden, heißt das dann, dass diese theoretisch alles mitlesen können? Gut mitgedacht, aber: nein. Bei Matter werden sämtliche Daten verschlüsselt übertragen, überhaupt war Sicherheit ein zentraler Gedanke bei der Entwicklung des Standards. So sind in dem System etwa automatische Updates fix vorgesehen.

Hohe Sicherheit ist aber natürlich auch essenziell, wenn – wie erwähnt – jedes Gerät eine eigene IPv6-Adresse hat, also prinzipiell global erreichbar ist. Solch ein "Zero-Trust" genannter Ansatz hat generell in den vergangenen Jahren immer mehr Anhänger gefunden, da sich das lange dominierende Konzept, das lokale Netzwerk als sicher zu betrachten, als generell problematisch herausgestellt hat.

Einrichtung einfach gemacht

Das Set-up von Geräten soll mit Matter ebenfalls vereinheitlicht werden. Die gewählte Lösung ist dabei eng an Amazons "Frustration Free Set-up" angelehnt, und soll vor allem eines sein: so einfach wie möglich. Wie das aussehen wird, hat etwa Google für Android bereits vorgezeigt.

Alexa Developers

Wird ein neues Gerät in Betrieb genommen, wird auf Smartphones in der Umgebung automatisch ein Pop-up angezeigt – ähnlich wie es bei Bluetooth-Kopfhörern mit Fast Pair schon jetzt der Fall ist. In diesem wird dann aufgefordert, einen QR-Code am neuen Device einzuscannen, und das war es dann auch schon. Wer will, kann natürlich das Gerät noch umbenennen oder zu einzelnen Räumen hinzufügen, das eigentliche Set-up erfolgt aber vollständig automatisch.

All das bedeutet auch: Herstellerspezifische Apps sind überhaupt nur mehr für Funktionen notwendig, die über die Basisfunktionalität hinausgehen. Für viele Devices wird man sie hingegen gar nicht mehr brauchen. Hier zeigt sich einer der entscheidenden Vorteile, wenn alle Geräte die gleiche "Sprache" sprechen.

Eine Grundlage keine Lösung für alles

Eine perfekte Überleitung zu den aktuellen Begrenzungen von Matter, denn natürlich kann so ein Standard nicht jeden denkbaren Aufgabenbereich abdecken – schon gar nicht in seiner ersten Version. Aktuell ist es etwa so, dass die Automatisierung von Aufgaben kein Teil der Spezifikationen ist, all das bleibt also weiter Teil der Angebote von Apple, Amazon und Co – und ist somit auch nicht einfach austauschbar.

Auch die Fernsteuerung von Geräten – also der Zugriff von außen – ist derzeit kein Bestandteil des Matter-Standards. Auch dafür wird es also – zumindest vorerst – bei jedem großen Hersteller eigene Implementationen geben. Vereinfacht gesagt: Wer zu Hause ein ganz rund um Apple und Homekit aufgebautes Smart Home hat, der wird auch weiter nicht um die passenden Apps herumkommen, um dessen vollen Leistungsumfang nutzen zu können.

Wie lange, bis das was bringt?

Jetzt ist das Festschreiben eines neuen Standards das eine, die reale Umsetzung aber noch einmal etwas ganz anderes. So kann es etwa bei WLAN-Standards oft Jahre brauchen, bis eine neue Version relevante Verbreitung gefunden hat. Die gute Nachricht: Bei Matter könnte dies aus mehreren Gründen deutlich flotter gehen.

Das liegt zunächst daran, dass viele bereits im Handel befindliche Geräte bereits auf Matter vorbereitet sind und im Lauf des Jahres via Update offiziellen Support für den neuen Standard erhalten sollen. Dazu zählen etwa aktuelle Router von Google (Nest) und Amazon (Eero) ebenso wie der Homepod Mini und das aktuelle Apple TV 4K. Zudem besitzen auch schon viele aktuelle Echo-Geräte und Nest-Hubs die notwendige Hardware, um Matter vollständig zu unterstützen.

Viele aktuelle Geräte von Firmen wie Amazon, Apple und Google sollen via Update nachträglich mit Matter kompatibel gemacht werden – darunter auch der Nest-Hub.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Bei Endgeräten wie Lampen ist das derzeit zwar noch die Ausnahme, aber auch hier gibt es etwa mit den Firmen Nanoleaf und Eve Ausnahmen. Deren aktuellste Produkte sind bereits für Matter vorbereitet.

Übergangslösungen

Für alle anderen Devices gibt es dann wieder die Möglichkeit, einen Matter-fähigen Hub als Übergangslösung zu verwenden. Das mag zwar zunächst etwas paradox wirken, ist doch der Abschied von solchen Hubs eines der zentralen Versprechen des neuen Standards, aber es verhindert, dass man sich jetzt dann wieder alles neu kaufen muss, um die Matter-Möglichkeiten voll nutzen zu können.

Wer hingegen in näherer Zukunft Neuanschaffungen in diesem Bereich plant, sollte sich besser jetzt schon mal umhören, ob die betreffenden Geräte für Matter vorbereitet sind und welche Pläne der jeweilige Hersteller in dieser Hinsicht hegt. Allerdings sieht es ohnehin so aus, als würde sich die Branche relativ geschlossen hinter den neuen Standard stellen.

In den Startlöchern

Im Rahmen der Anfang Jänner abgehaltenen Elektronikmesse CES haben etwa bereits zahlreiche Hersteller Matter-kompatible Geräte vorgezeigt. Die Palette reicht von Licht über smarte Steckdosen bis zu Schlössern und einem eigenen "Home Hub" von Samsung, der als Zentrale für das smarte Zuhause fungieren soll. Und es ist davon auszugehen, dass bis Ende des Jahres viele andere Firmen folgen werden.

Ausblick

Eine Grundlage scheint also geschaffen, die Frage ist bei solchen Dingen aber natürlich immer, wie es weitergeht. So gibt es jetzt schon einige – durchaus interessante – Teilspezifikationen, bei denen nicht ganz klar ist, ob und in welchem Umfang die Hersteller diese schlussendlich umsetzen werden, da sie optional sind. Paradebeispiel dafür ist eine Casting-Spezifikationen, die ein direkter Ersatz für Chromecast, Air Play und Co wäre. Für die Nutzer wäre eine solche Vereinheitlichung natürlich äußerst vorteilhaft; ob die Hersteller das auch so sehen, ist aber angesichts der jahrelangen Parallelentwicklungen eher zweifelhaft. Eventuell könnte dieser Teil von Matter also nur für spezifische Aufgaben zum Einsatz kommen, etwa um Benachrichtigungen und Inhalte innerhalb eines lokalen Netzwerks von Gerät zu Gerät schicken.

Grafik: CSA

Dann gibt es aber noch die Dinge, die wohl alle für sinnvoll halten, aber derzeit einfach noch nicht Teil des Standards sind. So sollen in weiteren Versionen von Matter vor allem noch mehr Gerätetypen abgedeckt werden – allen voran Staubsaugerroboter oder auch Kameras.

Fazit

Bei aller gebotenen Vorsicht in Hinblick auf neue Standards: Matter hat tatsächlich das Zeug, dem Thema "Smart Home" einen dringend notwendigen Schub zu verpassen. Die gemeinsame Basis sorgt dafür, dass der Entwicklungsaufwand für die Hersteller deutlich geringer wird. Gleichzeitig versucht man nicht jeden denkbaren Einsatz abzudecken, womit auch noch genügend Raum für weitere Innovationen bleiben. Die Nutzer profitieren wiederum vor allem von einer größeren Auswahl an Geräten und einem reduzierten Wirrwarr an Apps und gegenseitigen Integrationen. All das ist schon aus ganz prinzipiellen Gründen zu begrüßen. Über die Detailprobleme bei der Implementation, die sicherlich folgen werden, können wir uns ja dann später noch aufregen. (Andreas Proschofsky, 1.2.2022)