Aung Myo Min trägt den "Drei-Finger-Gruß" als Brosche. Es ist das Zeichen des Protests gegen die Militärregierung in Myanmar.

Foto: Robert Newald

In den frühen Morgenstunden des 1. Februar 2021 nahm die zehnjährige Demokratisierungsphase in Myanmar ein jähes Ende. Das Militär übernahm wieder die volle Macht. De-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi, viele Kollegen ihrer NLD-Partei und Aktivistinnen wurden festgesetzt. Auch an die Tür von Aung Myo Min hat das Militär geklopft, der Menschenrechts- und LGBT-Aktivist war aus medizinischen Gründen aber in Neu-Delhi.

Heute arbeitet er als Menschenrechtsminister einer Schattenregierung aus dem europäischen Exil – gemeinsam mit jenen Abgeordneten und Aktivisten, die in den Untergrund oder ins Exil entkommen konnten. Mit der NUG, dem National Unity Government, haben sie eine Parallelregierung aus Abgeordneten geschaffen, die bei den Wahlen 2020 eigentlich gewählt wurden. Sie will im Land, aber auch in der internationalen Diplomatie eine Alternative zur Junta darstellen.

STANDARD: Wie überraschend kam der Putsch für Sie?

Min: Sehr. Das Militär hatte ja bereits die Oberhand, weil es 25 Prozent der Sitze im Parlament für sich reserviert hatte. Sie konnten alles haben, was sie wollten. Aber das Problem war Min Aung Hlaing, der militärische Oberbefehlshaber. Er wollte wohl so etwas wie ein Präsident sein. Das Militär hat den Putsch aber nicht gut geplant. Sie haben sich in der Reaktion der Bevölkerung verkalkuliert. Ein Militärputsch bedeutet nie Gutes. Das Militär glaubt, es kann machen, was es will – schon seit Generationen. Sie haben die Macht der Waffen, aber nicht die der Unterstützung der Menschen.

STANDARD: Die NUG arbeitet aus dem Exil und aus dem Untergrund. Wie funktioniert das?

Min: Wie Sie sich vorstellen können, ist die Arbeit eine Herausforderung. Wir sind an unterschiedlichen Orten, es gibt Kommunikationsschwierigkeiten. Aber solange wir Wifi haben, können wir uns regelmäßig treffen. Die meisten halten sich auf burmesischem Territorium auf, allerdings in Gebieten, die nicht vom Militär kontrolliert sind, sondern von ethnischen Gruppen. Dazu zählen der Präsident und der Premierminister.

Die NUG ist sehr außergewöhnlich. Die NUG wurde so gestaltet, dass nicht nur die Abgeordneten der gewählten Partien teilhaben, sondern auch Vertreter ethnischen Gruppen und andere Menschen – wie ich. Ich war nie Teil einer politischen Partei. Ich hätte nie gedacht, dass ich Teil einer Regierung würde!

STANDARD: Wie läuft es in Sachen internationaler Anerkennung der NUG?

Min: Wir sind zwar noch nicht als legitime Regierung von Myanmar anerkannt, aber wir werden oft so behandelt. Man trifft sich mit unseren Vertretern, bei Veranstaltungen und in speziellen Treffen. Das ist eine gute Perspektive für die legale Anerkennung. Solange man sich mit uns beschäftigt, unsere Führung respektiert und eine Form der Kooperation findet – etwa bei humanitärer Hilfe, Bildung, Schutz von Medien –, ist das für uns okay.

STANDARD: Wie sind die Beziehungen mit Österreich?

Min: Ich habe den Außenminister noch nicht getroffen. Es gab wohl einen Antrag im österreichischen Parlament, der mehr politische Unterstützung fordert. Wir haben bisher aber keinen bedeutenden Schritt von der Regierung gesehen. Bei der letzten Uno-Generalversammlung gab es eine Kontroverse, wer nun Myanmar repräsentieren dürfe: die NUG oder das Militär. Die Österreicher haben den Militärvertreter nie unterstützt. Für uns ist das aber nicht genug. Die EU hat Sanktionen verhängt und humanitäre Hilfe geschickt, das heißt Österreich und alle anderen EU-Mitglieder hätten stärkere Aktionen setzen können, anstatt einfach zu schweigen.

STANDARD: Das NUG ruft zu einem "Volksverteidigungskrieg" auf. Wie geht das mit den Menschenrechten zusammen?

Min: Wir haben die Menschen nie dazu aufgerufen, andere Menschen zu töten. Aber nach dem Putsch wendet das Militär unfassbare Gewalt an, darunter auch Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und in manchen Fällen vielleicht sogar Genozid. Aus einer Menschenrechtsperspektive hat man das Recht, sich zu verteidigen. Kurz nach dem Putsch waren Menschen auf den Straßen mit Schildern: "Wo ist die UN? Verantwortung zu schützen, bitte". Aber niemand ist gekommen. Man hat eben das Recht, sich zu verteidigen. Gleichzeitig hat man auch die Verantwortung, keine Menschenrechte zu verletzen, wie es das Militär tut. Es ist nun meine Aufgabe, sicherzustellen, dass das niemand von unserer Seite tut.

STANDARD: Warum hat die internationale Community versagt zu helfen?

Min: Sie hat nicht ganz versagt, aber sie ist sehr langsam. Meine Freunde machen den Witz: "UN" steht für "United Nothing". Das ist das Gefühl, das die Leute haben. Wir haben so hohe Erwartungen an die Uno. Aber ihre Schwäche sind ihre Mechanismen. Und die Veto-Mächte China und Russland blockieren im Sicherheitsrat immer.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das Engagement von Asean?

Min: Asean ist schwach, aber zumindest ist es eine Spielstätte. Asean hat die Initiative ergriffen, in Myanmar zu intervenieren, durch einen Sondergesandten und den Fünf-Punkte-Konsens. Es hat sich auch dazu entschlossen, die Militärvertreter nicht zu ihrem Gipfel einzuladen, zum ersten Mal! Das ist ein Schlag ins Gesicht. Es ist schwierig zu verstehen, was das Prinzip von Asean ist und was das der Mitglieder. Indonesien ist zum Beispiel sehr wohlwollend, genauso wie Singapur, Malaysia und die Philippinen. Wir müssen diese Vorkämpfer innerhalb Asean pushen, damit auch die anderen Mitglieder folgen.

STANDARD: Westliche Firmen wir die französische Ölfirma Total ziehen sich nun aus Myanmar zurück. Ist es gut für die Burmesen, wenn die Felder jenen Firmen überlassen werden, die sich nicht um Menschenrechte kümmern?

Min: Das ist immer die große Debatte. Wir forderten internationale Sanktionen. Unser erstes Ziel für diese Unternehmen ist, dass sie weitermachen mit einem menschenrechtsbasiertem Ansatz. Aber alles Geld, das eigentlich an die Regierung gehen würde, sollte zurückgehalten werden. Wenn das Land wieder am Weg der Demokratie ist, dann sollte das Geld an die rechtmäßige Regierung gehen.

STANDARD: Aung San Suu Kyi hat im Westen viel Kritik wegen ihrer Rohingya-Politik geerntet. Hat sie Fehler gemacht?

Min: Aung San Suu Kyi konnte per Verfassung nicht das machen, was sie wollte. Der Befehl der Rohingya-Operation kam nicht von ihr, sondern vom Militärführer. Sie hätte aber zumindest mehr Engagement für die Menschenrechte zeigen sollen. Wir haben daraus gelernt. Ich bin nun in der NUG für Menschenrechte verantwortlich und habe in Abstimmung mit Rohingya-Vertretern eine Richtlinie in der NUG entwickelt. Wir haben alle Gräueltaten des Militärs, vor allem von 2016 und 2017, anerkannt und nicht wie zuvor geleugnet. Wir haben uns außerdem dazu bekannt, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. In der aktuellen Situation können wir das alles aber nicht umsetzen.

STANDARD: Es scheint in Myanmar extrem schwierig zu sein, die Realitäten einer jahrzehntelangen Militärdiktatur mit den Bedürfnissen nach demokratischen Freiheiten zu konsolidieren.

Min: Die Revolution nach dem Putsch hat den Menschen gezeigt, was in Myanmar wirklich vorgeht, und daher Solidarität unter den verschiedenen Gruppen erzeugt. Es gab so viel Propaganda und Falschinformationen. Früher haben sogar viele Demokratie-Aktivisten nicht geglaubt, was den Rohingya passiert ist. Aber die Menschen, die jetzt an den Demos teilgenommen haben, verstehen nun, wie brutal das Militär ist. Manche entschuldigen sich jetzt öffentlich.

STANDARD: Was wird am 1. Februar in Myanmar passieren?

Min: Viele haben zu stillen Streiks aufgerufen. Das Militär weiß nicht, wie es damit umgehen soll. Sie haben eine Waffe, aber niemanden, auf den sie schießen können. Dieses Mal will das Militär diese Idee zerstören, indem sie angekündigt haben: Wenn irgendjemand sein Geschäft schließt, dann kann er verurteilt werden, und zwar bis zu lebenslänglich. Sie verwenden Antiterrorgesetze gegen das Zuhausebleiben. Es ist krank! Doch die Burmesen sind sehr innovativ. Sie reagieren, indem sie den Laden öffnen, aber nichts verkaufen werden. Menschen, die schon so lange in Unterdrückung leben, sind so klug. (Anna Sawerthal, 28.1.2022)