Die Leica M11 ist in schwarz und silber verfügbar.

Foto: STANDARD / Manakas

Die Leica M. Für viele Fotografinnen und Fotografen gilt das Messsuchersystem noch immer als heiliger Gral unter den Kameras – und ist wegen astronomischer Preise meist genauso unerreichbar wie der sagenumwobene Kelch. Nach einem holprigen Start in die digitale Welt bietet das deutsche Traditionsunternehmen inzwischen jedoch technisch solide Geräte an. Auch wenn man gegenüber der Konkurrenz weiterhin Abstriche machen muss.

Mit dem jüngsten Familienzuwachs, der Leica M11, will Leica nun erneut begeistern. Genauer gesagt sollen ein hochauflösender Sensor, neue Modi zur Belichtungsmessung und ein aktualisiertes Design das System ins Jahr 2022 holen. Aber wie schlägt sich die M-Serie in der Praxis? DER STANDARD hat die neue Kamera getestet, um genau das herauszufinden.

Eine wichtige Information vorab: Wer die Beispielfotos (JPEG und Raw) im Detail betrachten will, sei auf den zugehörigen Google-Drive-Ordner verwiesen, wo zusätzliche Aufnahmen zu finden sind.

Außer Frage steht, dass Leica mit der M11 seiner Designsprache treu bleibt, die die Messucherkameras seit bald 70 Jahren prägt. Ein kompaktes Design mit klaren Kanten und einer hochwertigen Verarbeitung machen die M-Reihe dadurch unverwechselbar. Hat man schon ein Vorgängermodell genutzt, wird man sich schnell zu Hause fühlen, nach kurzer Umgewöhnung vermutlich sogar beim Wechsel von analog zu digital.

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Überzeugende Verarbeitung und Handhabe

Die Kamera liegt solide in der Hand und fühlt sich in jederlei Hinsicht hochwertig an. Einstellungen werden über dedizierte Kontrollräder für Belichtungszeit, Blende und ISO-Wert vorgenommen. Einen Ausflug in das Menüsystem ist nach der ersten Einrichtung des Geräts nur noch selten notwendig. Einerseits liegt das natürlich an der simplen Gestaltung der Bedienelemente, andererseits am eingeschränkten Funktionsumfang. Aber dazu später mehr. Die schwarze Ausführung des Geräts besteht aus Aluminium, was sie im Vergleich zum Vorgänger um 20 Prozent leichter macht. Für die silberne Version nutzt Leica hingegen weiterhin Messing. Einen preislichen Unterschied zwischen den Ausführungen gibt es nicht.

Zumindest bei digitalen Geräten hat sich der Hersteller nun auch von der abnehmbaren Bodenplatte verabschiedet. Bei analogen Ms dient diese dem Wechsel des eingelegten Films. Ein Designelement, das vermutlich aus Nostalgiegründen bis zur M10 beibehalten wurde und den Akkutausch relativ umständlich machte.

Ähnlich zur Leica Q und SL kann der 1.800-mAh-Akku nun aber direkt entnommen werden. Den SD-Kartenslot erreicht man hingegen weiterhin über Umwege, nämlich durch Entnahme der Batterie. Apropos: User müssen sich mit nur einem UHS-II-kompatiblen SD-Kartenslot begnügen. Zusätzlich bietet Leica 64 Gigabyte internen Speicherplatz, der entweder zur Spiegelung von Dateien, für JPEGs oder als Ergänzung genutzt werden kann. Die Speicherkarte zu vergessen wird dadurch erstmals verzeihbar.

Herzstück der M11 sind allerdings der neue, rückseitig belichtete Vollformatsensor und Maestro-III-Bildprozessor. Ersterer löst mit 60 Megapixeln auf und soll einen Dynamikumfang von 14 Blendenstufen bieten. Die native Lichtempfindlichkeit reicht von ISO 64 bis 50.000. Wer Speicherplatz sparen will oder keine allzu hochauflösenden Dateien benötigt, kann auswählen, ob die Raw-Aufnahmen 60, 36 oder 18 Megapixel haben sollen. Möglich macht das Pixel-Binning, bekannt aus der Smartphone-Fotografie. Dabei werden mehrere Pixel für eine bessere Low-Light-Leistung zu einem größeren Bildpunkt zusammengefasst.

Bildqualität – und mögliche Fokusprobleme

Was auf dem Papier durchaus schmackhaft klingt, kann auch in der Praxis überzeugen – allerdings mit Einschränkungen. Fotografiert man bei guten Lichtverhältnissen und mit ausreichend Zeit, sind die Fotos stets scharf, und die Aufnahmen haben eine natürliche Farbdarstellung. Leider steht aber eines der interessantesten Upgrades – nämlich der hochauflösende Sensor – teilweise dem Spaß im Weg.

Foto: STANDARD / Manakas

Eine Leica M wird manuell fokussiert, anders als bei herkömmlichen Digitalkameras muss man sich also voll und ganz auf das eigene Auge verlassen – außer man setzt auf Fokus-Peaking bei Nutzung des rückseitigen Displays. Benutzt man hingegen den Sucher, fokussiert man mittels eines Mischbilds, das durch Drehen des Fokusrings übereinandergelegt werden muss. Einerseits ermöglicht das, selbst jahrzehntealte Optiken zu verwenden. Ein Vorteil für Sammler oder all jene, die von einem analogen Modell umsteigen wollen. Außerdem sind die Objektive vergleichsweise kompakt gebaut.

Andererseits zeigte sich im Praxistest des STANDARD jedoch, dass die neu gewonnene Detailtreue deutlich macht, ob die Fokussierung auch wirklich perfekt war. Natürlich ist es beeindruckend, selbst beim Hineinzoomen jedes noch so kleine Detail einer Aufnahme erkennen zu können. Allerdings erfordert der Fokus dafür eine höhere Präzision als jene, die der Autor von der Nutzung einer analogen M6 gewohnt ist. Gerade für Menschen mit Sehschwäche, aber auch für Einsteiger dürfte die Nutzung einer M-Kamera dadurch immer schwieriger werden.

Aufnahmen bei wenig Licht

Mit ausreichend Übung und Geduld kann man dennoch selbst bei schlechteren Lichtverhältnissen technisch solide Aufnahmen tätigen. Bis inklusive ISO 6400 sind die Bilddateien einwandfrei nutzbar, wenn man etwaige Fehlberechnungen des Sensors in der Nachbearbeitung korrigiert. So zeichnet sich ein sichtbares Bildrauschen ab ISO 3.200 ab. Treibt man es auf die Spitze – und fotografiert zum Beispiel mit ISO 12.500 – macht sich aber ein Farbrauschen bemerkbar, und die Detailliertheit nimmt deutlich ab. Die theoretischen Maximalwerte sind also nur auf dem Papier interessant.

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Schwierig werden Nachtaufnahmen allerdings dann, wenn es im Motiv keine klaren Spitzlichter, Kanten oder anderweitige Elemente gibt, die einem das Fokussieren erleichtern. Ein scharfes Foto aufzunehmen kann sich dann zum Glücksspiel entwickeln, zumindest wenn man nicht allzu geübt ist. Hingegen sind die Rahmenlinien, die den aktuellen Bildausschnitt anzeigen, stets hell beleuchtet. Ein Feature, das mit der M240 eingeführt wurde. Zuvor musste man hierfür auf das Umgebungslicht setzen. Leider fehlt der M weiterhin ein Bildstabilisator, was gerade für Nachtaufnahmen interessant gewesen wäre.

Fehlende Leistung …

Schade ist zudem, dass nicht nur die Fokussierung schwieriger geworden ist, sondern offenbar auch der neue Bildprozessor mit dem Sensor zu kämpfen hat. Bis die Kamera nach dem Anschalten einsatzbereit ist, vergehen etwa drei Sekunden. Das klingt zwar nach wenig, hat in der Praxis aber zur Folge, dass man immer wieder interessante Momente verpasst. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die M11 keinen elektronischen Sucher hat und auch das rückseitige Display nicht anspringt, verwundert die Trägheit etwas.

Ob diese nur auf die hohe Auflösung zurückführbar ist, kann natürlich nicht mit Sicherheit gesagt werden. Zudem sie auch mit einer weiteren Neuerung der jüngsten M zusammenhängen könnte: Erstmals in der Geschichte der Leica-Messsucherkameras wird die Belichtung der M11 auch im Sucherbetrieb vom Sensor abgelesen. Noch beim 2016 erschienenen Vorgänger wurden die Werte über den Verschluss gemessen. Als Messmethode standen daher bloß die Spot- und Mittenbetonte Messung zur Verfügung – außer man aktivierte den Live-View-Modus, der die Mehrfeldmessung ermöglichte. Diese Einschränkung gibt es inzwischen nicht mehr. Zumindest theoretisch.

In Wirklichkeit muss man das neu dazugewonnene Feature mit Vorsicht genießen. Fotografiert man bei gemischten Lichtverhältnissen, tendiert die Automatik nämlich zu einer starken Überbelichtung, vermutlich um die tiefsten Schatten zu korrigieren. Im Laufe des Tests wurden manche Aufnahmen dadurch gänzlich unbrauchbar. Ein Nachteil des optischen Suchers ist in dieser Hinsicht, dass man etwaige Fehler erst im Nachhinein erkennt. Nicht immer hat man Zeit, um Probefotos zu machen und die Einstellungen nachzujustieren. Eine mögliche Lösung: die Umstellung auf mittenbetonte Messung, eine Belichtungskorrektur oder manuell festgelegte Parameter.

Umgekehrt dürfen sich Besitzer besonders lichtstarker Objektive freuen, die auch tagsüber mit Offenblende fotografieren wollen. Die schnellste Belichtungszeit bei Nutzung des mechanischen Verschlusses liegt bei einer 1/4.000 Sekunde, der elektronische Verschluss erhöht das auf 1/16.000 Sekunde.

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… oder Entschleunigung?

Diese Einschränkungen muss man bei der Nutzung stets im Kopf behalten, beim Fotografieren also vorsichtiger sein als mit "herkömmlichen" Kameras. Allerdings dürfte die notwendige Entschleunigung eingefleischte Leica-Fans nicht unbedingt stören. Das System ist nicht darauf ausgelegt, Serienaufnahmen mit hunderten Fotos zu tätigen – was sich auch darin zeigt, dass diese mit maximal 4,5 Bildern pro Sekunde möglich sind. Grund dafür sei laut Leica die kompakte Bauweise, wegen dieser unterstütze der Verschluss keine schnellere Bildwiederholrate.

Simple Bedienung, komplizierte Datenübertragung

Wie eingangs erwähnt, ist die Bedienung sehr simpel. Neben den Kontrollrädern zur Steuerung des Belichtungsdreiecks gibt es drei individuell belegbare Funktionstasten. Auf der Rückseite des Geräts findet man neben dem 2,95-Zoll großen Touch-Display mit einer Auflösung von 2,3 Megapixeln außerdem ein Steuerkreuz, eine Menü- und Playback-Taste und ein Kontrollrad. Das Ansehen geschossener Fotos wird dadurch recht simpel, der Touchscreen reagiert auf Eingaben meist zuverlässig, erlaubt die Navigation durch die Galerie und ermöglicht einen Schärfecheck durch Tap-to-Zoom.

Auch die oberste Menüebene, auf der sich die wichtigsten Einstellungen wiederfinden, kann man per Touch-Eingabe steuern. Taucht man hingegen tiefer in die Menüstrukturen ein und möchte das Erlebnis weiter individualisieren, muss man auf das Steuerkreuz zurückgreifen. Dorthin verirrt man sich nach der Ersteinrichtung des Geräts allerdings nicht allzu oft.

Negativ fiel auf, dass man auf der Unterseite der M11 zwar einen USB-C-Anschluss findet, dieser aber nicht zur direkten Datenübertragung auf den Computer genutzt werden kann. Will man an die intern gespeicherten Fotos gelangen, muss man daher einen Umweg über die eingelegte SD-Karte in Kauf nehmen – wofür man wiederum in die Tiefen des Menüs eintauchen muss.

Aber Achtung: Hat man einmal seine Fotos auf die Speicherkarte übertragen, muss man diese nach dem Abspeichern am PC formatieren. Steckt man diese stattdessen einfach zurück in die Kamera, fotografiert fleißig weiter und will dann erneut Bilder vom internen Speicher auf die SD-Karte übertragen, erhält man eine Fehlermeldung – weil sich dort Duplikate befinden würden. Warum das die Kamera sonderlich stört, sei dahingestellt. Alternativ kann man auf die drahtlose Übertragung über WLAN und die Smartphone-App zurückgreifen.

Fazit

Die Leica M11 lässt einen mit gemischten Gefühlen zurück. Das Fotografieren macht Spaß, keine Frage. Dank simpler Bedienung, hochwertiger Verarbeitung und dem Messsucher kann man sich meist auf das Geschehen konzentrieren. Dem gegenüber stehen Schwachstellen wie die ungenaue Belichtungsautomatik und die Verzögerung beim Einschalten.

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Orientiert man sich für eine Einordnung am Markt an den Vorgängermodellen, bietet die M11 deutliche Verbesserungen. Die Handhabung ist einfacher, der Funktionsumfang größer und die technische Ausstattung besser. Im Vergleich zur Konkurrenz wirkt die Kamera hingegen etwas aus der Zeit gefallen, selbst wenn man den manuellen Fokus als Markenzeichen des Leica-Erlebnisses ausklammert.

Bei einem Preis von 8.350 Euro sollte eine Kamera nicht nur mit einem höher auflösenden Sensor, einem neuen Bildprozessor und einer neu entworfenen Geräteunterseite aufwarten. Zumal die Kamera sehr lange braucht, um nach dem Einschalten aus dem Schlaf zu erwachen und die Mehrfeldmessung so fehleranfällig ist, dass man sowieso gezwungen ist, auf bisher verfügbare Modi zurückzugreifen. Auch einen Bildstabilisator sucht man weiterhin vergeblich.

Eine klare Kaufempfehlung kann man daher eigentlich nur für die treuesten Leica-Fans und Pixel-Junkies aussprechen – die vermutlich sowieso zum neuesten Modell greifen werden. Allen anderen sei nahegelegt, noch etwas abzuwarten, ob an manchen Stellen zumindest softwareseitig nachgebessert wird. Oder aber man nutzt die Chance und sieht sich nach dem günstigeren Vorgängermodell um. Dank der Neuveröffentlichung dürften nun die Preise etwas sinken. Viel verpasst man durch das Downgrade jedenfalls nicht. (Mickey Manakas, 29.1.2022)


Eine wichtige Information: Wer die Beispielfotos (JPEG und Raw) im Detail betrachten will, sei auf den zugehörigen Google-Drive-Ordner verwiesen, wo zusätzliche Aufnahmen zu finden sind.