Für die Therapie werden weiße Blutkörperchen entnommen, aufbereitet und wieder zugeführt. Dadurch schafft es das Immunsystem wieder besser, einen Tumor selbst zu bekämpfen.

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Geht es um Krebs, können fast alle mitreden. Zumindest im weiteren Umfeld kennt man jemanden, der oder die daran erkrankt oder sogar verstorben ist – oft berühren einen solche Schicksale noch viel direkter. Denn Krebs ist nach wie vor eine der häufigsten Krankheiten und die zweithäufigste Todesursache nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Genau dafür möchte der Weltkrebstag am 4. Februar Bewusstsein schaffen.

Im Jahr 2019 etwa sind in Österreich 41.775 Krebsneuerkrankungen festgestellt worden. Die häufigsten Tumore betrafen Prostata, Brust, Lunge und Darm, diese machten rund die Hälfte der Diagnosen aus. Bei rund 20.300 Personen führte 2019 eine Krebserkrankung zum Tod. Das relative Fünf-Jahres-Überleben liegt bei 61 Prozent, aber immer mehr Menschen leben mit Krebs, geht aus Daten der Statistik Austria hervor. Anfang 2020 waren es österreichweit 375.749 Personen, das sind vier Prozent der Bevölkerung.

Die Forschung und Entwicklung zu neuen Therapieansätzen ist entsprechend ein großer wissenschaftlicher Bereich. Eine solche Entwicklung, eine innovative Zelltherapie, könnte nun schwerkranken Patientinnen und Patienten neue Chancen eröffnen. Dabei handelt es sich um eine autologe Zelltherapie, entwickelt vom Biotech-Unternehmen Invios mit Sitz in Wien, mit dem Namen APN401, die erstmals den Fokus auf solide Tumore legt, erklärt Romana Gugenberger, Forschungs- und Entwicklungsleiterin bei Invios.

Reaktivierung des Immunsystems

Der Kern des Verfahrens ist, dass die körpereigene Immunabwehr zur Bekämpfung des Tumors reaktiviert wird. Denn "irgendwann hat der Tumor das Immunsystem so ausgetrickst, dass es das Karzinom nicht mehr bekämpft. Die Therapie soll jetzt die allgemeine und die spezifische Immunabwehr wieder anregen", erläutert Gugenberger. Ähnliche Verfahren sind bereits bei Blutkrebserkrankungen in Anwendung, für solide Tumore gibt es diese aber noch nicht. Da die Krebszellen hier nicht im Blut schwimmen, sondern sich im Gewebe "verstecken", kann man sie nicht so leicht finden, was die Therapie komplexer macht.

Für die neue Zelltherapie werden Betroffenen Immunzellen, die sind Teil der weißen Blutkörperchen, entnommen. Im Labor werden diese Zellen gereinigt, ein Botenstoff wird zugesetzt – dabei handelt es sich um eine RNA –, der das Protein Cbl-b ausschaltet. Dann werden die weißen Blutkörperchen ohne diesen Inhibitor den Erkrankten wieder zugeführt.

Gugenberger erklärt: "Dieses Protein Cbl-b verhindert im Normalfall ein Überschießen des Immunsystems. Im Falle einer Tumorerkrankung ist es dafür zuständig, dass die Antwort des Immunsystems auf Tumorzellen unterdrückt wird. Nimmt man das Protein heraus, kann das Immunsystem wieder arbeiten. Das ist wie eine Art Zangenangriff von zwei Seiten. Der Tumor wird mit der Aktivierung des Immunsystems aktiv bekämpft, und die Immunzellen bleiben auch langfristig aktiviert und können generell wieder besser arbeiten."

Gut verträgliche Therapie

Derzeit wird diese ambulante Therapie in einer Phase-1-Studie bereits am AKH Wien eingesetzt. Studienleiterin und Prüfärztin Nina Worel von der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin beschreibt den Vorgang: "Die Patientinnen und Patienten kommen zu uns, wir klären sie darüber auf, dass mit der Therapie ein Eiweiß ausgeschaltet wird, das das Immunsystem bremst. Dann entnehmen wir ihnen einen Teil der weißen Blutkörperchen, im Normalfall über die Armvene, das kann man sich ähnlich wie bei einer Blutwäsche vorstellen." Die Entnahme dauert drei bis vier Stunden, den Rest des Blutes mit allen anderen Bestandteilen bekommen die Teilnehmenden direkt wieder zurück, deshalb wird dieser Vorgang im Normalfall sehr gut vertragen.

Am nächsten Tag, wenn die aufbereiteten Immunzellen in einer Infusion wieder verabreicht werden, verbringen die Patienten nur noch eine knappe Stunde auf der Station. Bedenkliche Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt. Zwar ist die Zahl der Studienteilnehmenden mit 30 noch sehr klein (Daten mit 30 weiteren Patienten gibt es bereits aus einer Phase-1-Studie in den USA, bei diesen konnte man klar eine Stabilisierung der Krankheit sehen), doch bedenkliche Nebenwirkungen müsste man auch in dieser Gruppengröße bereits sehen.

"Werden die aufbereiteten Zellen wieder zugeführt, kann es zu Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, erhöhter Temperatur, Schüttelfrost, Juckreiz, Blutdruckveränderungen oder auch Müdigkeit kommen, ähnlich wie bei einem grippalen Infekt. Das sind aber im Grunde alles nur Anzeichen dafür, dass das Immunsystem aktiviert wurde. Andere Nebenwirkungen, die die Therapie problematisch machen könnten, haben sich bisher nicht gezeigt", beschreibt Studienleiterin Worel.

Sie gibt außerdem zu bedenken, dass diese Anzeichen auch oft generelle Begleiterscheinungen der Krankheit seien und man deshalb die Nebenwirkungen nicht immer deutlich abgrenzen könne. Auch müsse man andere Begleiterscheinungen der Krebserkrankung, etwa Blutungen bei Darmkrebs, berücksichtigen, die durch die Therapie nicht gestoppt werden, aber auch nichts damit zu tun haben.

Frage der Dosis

"Insgesamt haben wir aber noch keine schweren Nebenwirkungen gesehen, die zeigen, dass man mit der Dosis zurückgehen müsste", betont Worel. Über die Wirkung der derzeit laufenden Studie könne man noch nichts Konkretes sagen, da in der Dosisfindungsphase in erster Line die Sicherheit des Medikaments untersucht wird. Hier kann man sich derzeit nur auf die Ergebnisse der Phase-1-Studie aus den USA berufen.

Aktuell nehmen Betroffene mit unterschiedlichsten soliden Tumoren an der Studie teil. Es werden drei unterschiedliche Dosierungen getestet, derzeit wird die mittlere Stärke angewendet. Die Therapie wird in drei bis sechs Zyklen im Abstand von jeweils drei Wochen eingesetzt. Ziel ist, das Immunsystem dadurch dauerhaft zu stabilisieren. "Sollte sich herausstellen, dass die Patientinnen und Patienten auch längerfristig davon profitieren, könnte man die Therapie auch öfter als in sechs Zyklen einsetzen", erklärt Entwicklerin Gugenberger. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Transfusionsmedizinerin Worel schätzt die Therapie als sehr vielversprechend ein: "Wenn die Studie tatsächlich zeigen kann, dass sie erfolgreich ist, dann wäre das definitiv ein Meilenstein in der Krebstherapie. Natürlich wird sie bei gewissen Karzinomen besser anschlagen als bei anderen, das liegt in der Natur des Tumors. Aber es könnte auch eine hervorragende Therapieergänzung sein." Als alleinigen Therapieansatz für alle Krebserkrankungen sieht Worel die Anwendung derzeit noch nicht, sie schätzt sie eher als Zusatz ein oder als alternierende Anwendung mit anderen Therapien.

In einem nächsten Schritt nehmen bald drei weitere Krebszentren in Österreich an der Studie teil, in Linz, Salzburg und Innsbruck. Dort wird die Therapie dann in der ermittelten, am besten verträglichen Dosis spezifisch bei Lungenkrebs, Darmkrebs und Karzinomen im Kopf-Nacken-Bereich an insgesamt 45 Patientinnen und Patienten geprüft. Sollte sich die Therapie tatsächlich als so vielversprechend herausstellen, wie jetzt vermutet, dauert es wohl fünf bis sechs Jahre, schätzt Gugenberger, bis sie breit angewendet werden kann – "außer es gibt so herausragende Daten, dass sich dieser Prozess beschleunigen lässt". (Pia Kruckenhauser, 1.2.2022)