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Vor einem Jahr gingen so viele Polinnen und Polen wie seit den Solidarność-Protesten nicht mehr auf die Straße.

Foto: REUTERS/Aleksandra Szmigiel/File Photo

Drei Frauen sind gestorben. Drei Frauen sind tot, weil in Polen seit einem Jahr ein De-facto-Abtreibungsverbot gilt, sagen die Aktivistinnen der Gruppe Ciocia Wienia, der "Tante Wienia". Mindestens. Denn oft gehen die Familien der Toten nicht an die Öffentlichkeit, erzählen die "Tanten" im Gespräch mit dem STANDARD.

Im Juni und September des Vorjahres bzw. erst vor einer Woche starben drei Schwangere in Polen, weil ihnen ein medizinischer Eingriff verwehrt wurde. Eine Sepsis, wahrscheinlich ausgelöst durch die toten Föten im Uterus, soll ihr Todesurteil gewesen sein. In einem Fall haben Fachleute nun angegeben, dass die Frau mit einem positiven Corona-Test eingeliefert wurde und die Schwangerschaft nicht früher hätte abgebrochen werden können. Die Staatsanwaltschaft in Katowice ermittelt aber noch wegen eines möglichen Fehlers des Krankenhauspersonals.

Prinzipiell besagt das restriktive Abtreibungsgesetz in Polen, dass ein Abort nur durchgeführt werden darf, wenn die Frau durch eine Vergewaltigung oder Inzest schwanger geworden ist oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Den Ärzten ist die Definition von Letzterem aber zu unsicher. Deshalb lassen sie es oft auch darauf ankommen.

Teure Pandemie

Die Aktivistinnen von Ciocia Wienia helfen insbesondere Polinnen zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen im Ausland. Und wollen anonym bleiben, um ihr Angebot aufrechterhalten zu können. Rund drei bis fünf Betroffene kommen wöchentlich nach Wien, um abtreiben zu lassen. Alle zwei bis vier Wochen entbindet eine Person aus Polen im Rahmen der anonymen Geburt in der österreichischen Hauptstadt.

Daran hat auch die Covid-Pandemie nichts geändert, erzählen die Aktivistinnen. Es sei nur teurer geworden, weil ein PCR-Test in Polen zwischen 70 und 100 Euro koste und die Spendengelder immer weniger werden.

Weniger Untersuchungen

Durch das strenge Gesetz würden noch mehr Frauen Hilfe suchen, erzählen die Vertreterinnen der Ciocia Wienia: "Waren es früher Personen mit einer ungewollten Schwangerschaft, melden sich nun auch solche, die eigentlich eine gewollte Schwangerschaft haben."

Denn indem das Verfassungsgericht die Rechtslage geändert und eine Abtreibung auch im Fall irreversibler Schädigungen des Kindes untersagt hat, haben die Betroffenen beim ersten Anzeichen eines solchen Schadens Angst: "Sie wollen dann nicht mehr zu viel Zeit verlieren, denn in Österreich können sie meist nur bis zur 14. Woche abtreiben. Oft verzichten sie auf weitere Untersuchungen", erzählen die Aktivistinnen.

Gesetze könnten restriktiver werden

Doch nicht alle Betroffenen, die Hilfe benötigen, müssen dafür ins Ausland fahren. Oft unterstützen die Wiener "Tanten" die Polinnen auch in ihrem Heimatland und helfen ihnen, an Abtreibungspillen zu gelangen. "Wir betreuen sie dann oft noch per Mail oder am Telefon, um sie nicht alleinzulassen", sagt eine Aktivistin. Doch diese Hilfe könnte bald ein Ende nehmen.

Denn Abtreibungsgegnerinnen und -gegner lobbyieren dafür, dass die Einnahme der Medikamente in Polen illegal wird. Noch können die Tabletten im Netz und über Hilfsnetzwerke organisiert und zu Hause eingenommen werden. Geht es nach ihnen, würden Frauen, die selbst abtreiben, aber strafrechtlich verfolgt. Die radikalen Aktivistinnen und Aktivisten unterstützten gemeinsam mit der katholischen Kirche Ende des Vorjahres einen Gesetzesentwurf, dem gemäß Abtreibungen wie Mord verfolgt werden könnten. Strafen zwischen fünf und 25 Jahren Haft wären möglich gewesen. Der Entwurf wurde im Parlament abgelehnt, doch der Kampf der Pro-Life-Bewegung geht weiter.

Registrierte Schwangerschaften

Ein Register, in das jede Schwangerschaft eingetragen werden muss, könnte noch immer eingeführt werden. "Oft wechseln betroffene Personen jetzt schon nach einer Abtreibung im Ausland den Gynäkologen, weil sie Angst haben, Probleme zu bekommen", sagt eine Aktivistin der Ciocia Wienia. Mit Einführung des Registers würden sich noch weniger zu Untersuchungen trauen: "Es gibt endlose Möglichkeiten, wie die Situation noch schlimmer werden könnte", sagt eine der "Tanten".

Doch die Helferinnen im Ausland geben die Hoffnung nicht auf: "Wir müssen es schaffen, diese Gesetze zu ändern." Laut Umfragen werden die restriktiven Abtreibungsgesetze nur von einer Minderheit in der Bevölkerung unterstützt. Drei Viertel der Polinnen und Polen wollen eine gelockerte Rechtslage, und nur acht Prozent unterstützen Strafen für die Mütter. (Bianca Blei, 3.2.2022)