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Die engen Verflechtungen sind aktuell besonders für die Raiffeisen Bank mit Risiken verbunden.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Zwischen Wien und Moskau liegen 1.700 Kilometer. Was aber die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, befand sich die russische Hauptstadt lange Zeit im Grunde genommen ums Eck. Österreichische Kreditinstitute expandierten nach dem Fall des Eisernen Vorhanges schnell ostwärts, die Verbindungen im Gas- und Ölsektor waren immer schon eng. Dazu kamen solide Handelsbeziehungen.

Die Annexion der Krim durch Russland 2014 brachte einen ersten großen Dämpfer. Nicht sofort, noch damals gab es für Russlands Präsidenten Wladimir Putin anlässlich eines Wien-Besuchs Standing Ovations von österreichischen Unternehmern bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer. Aber die EU und die USA verhängten als Reaktion auf die Aggression Wirtschaftssanktionen. Investitionen in den russischen Energiesektor sind seitdem verboten. Russland antwortete mit einem Verbot von Agrarimporten.

Connection eins: der Handel

Die Handelsvolumen zwischen Österreich und Russland sind seitdem stark rückläufig. Zwar verkaufen Österreichs Firmen nach wie vor Fahrzeuge und chemische Erzeugnisse in Russland im Wert von zwei Milliarden Euro. "Aber die Ausfuhren nach Russland machen derzeit gerade 1,5 Prozent aller Exporte aus", analysiert die Ökonomin Elisabeth Christen vom Forschungsinstitut Wifo.

Eine Neuauflage des Ukraine-Konflikts könnte Österreich dennoch hart treffen. Russland hat eine beachtliche Drohkulisse aufgebaut. Zehntausende seiner Soldaten sind in der Grenzregion zur Ukraine stationiert. Die Nato hat klargestellt, dass sie selbst bei einem Angriff eine direkte militärische Intervention zugunsten der Regierung in Kiew ausschließt. Die mächtigste Waffe, die dem Westen damit bleibt, sind Wirtschaftssanktionen.

US-Präsident Joe Biden droht mit "enormen Konsequenzen", sollten russische Soldaten einmarschieren. Viele Maßnahmen werden diskutiert. Im Gespräch sind Strafen gegen russische Persönlichkeiten und Institutionen. Aber auf dem Tisch liegen auch Sanktionen gegen das russische Finanzsystem. Und da wird es aus Sicht Österreichs heikel.

Grafik: DER STANDARD

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, eine Zentralbank der Zentralbanken, sammelt Informationen zu Abhängigkeiten im globalen Finanzsektor. Banken aus westlichen Ländern haben offene Forderungen in Höhe von 121 Milliarden US-Dollar (108 Milliarden Euro) gegenüber Russland. So viel schulden also russische Banken, Haushalte, Unternehmen und staatliche Institutionen ausländischen Kreditinstitutionen.

Connection zwei: die Banken

Der Anteil Österreichs daran beträgt 17,5 Milliarden Dollar und ist damit sehr hoch. Nur in zwei Ländern, in Italien und Frankreich, ist dieser Wert noch höher (siehe Grafik). Diese Summen sagen über konkrete Risken wenig aus, sie zeigen die enge Verflechtung. Der Großteil der Forderungen in erwähnter Statistik ist auf die Raiffeisen Bank International (RBI) zurückzuführen.

Ihre Tochter in Russland hat mehr als drei Millionen Kunden und 130 Filialen. Das Säbelrasseln um die Ukraine ist für die Giebelkreuzler – die RBI gehört mehrheitlich den Raiffeisen-Landesbanken – unangenehm. Denn Banken verdienen in Russland sehr gut Geld. Die Kreditinstitute dort können höhere Gebühren für ihre Leistungen verrechnen als im Westen. Russische Kunden sind das gewohnt. Dazu kommt, dass das Zinsniveau in Russland hoch ist: Je höher die Zinsen, umso leichter können Banken Geld verdienen.

Das zeigt sich auch bei der RBI. Die Bank ist in mehr als einem Dutzend Länder in Osteuropa aktiv. Im Jahr 2020, aus dem die jüngste Bilanz stammt, machte die Bank 804 Millionen Euro Gewinn nach Steuern. Davon entfiel mehr als die Hälfte, 460 Millionen, auf Russland. Zugespitzt formuliert sagt ein Insider: "Ganz Raiffeisen lebt vom Russland-Geschäft."

Die RBI muss sich aber nicht nur wegen Gewinnen sorgen, wenn Sanktionen kommen. Die Russland-Tochter hat 1,9 Milliarden Euro an Eigenkapital. Das ist eine wichtige Rechengröße in der Bilanz der Bank, ein Puffer für schlechte Zeiten. Werden Sanktionen verhängt, dann könnten notwendige Abschreibungen dieses Eigenkapital verringern.

DER STANDARD

Das Eigenkapital darf in einer Bankbilanz aber nicht unter bestimmte, von Aufsehern vorgegebene, Niveaus fallen. Laut Raiffeisen Bank International sei das auszuschließen: "Wir sehen nicht, dass durch die aktuelle Krise für die RBI ein solches Szenario eintritt", heißt es bei Raiffeisen. Die RBI verfügt über eine Kernkapitalquote von 13,2 Prozentpunkten, die regulatorische Mindestkernkapitalquote betrage 10,4 Prozentpunkte, sagt eine Sprecherin. Sprich: Da sei ausreichend Puffer. Seit der Finanzkrise müssen alle Großbanken für einen solchen Fall sowieso Notfallpläne in der Schublade ausgearbeitet haben.

Aber würden die Europäer Sanktionen gegen das Bankensystem Russlands überhaupt mittragen, wenn im Bankensektor einiger Länder so enge Verbindungen herrschen? Im Fall eines Krieges bliebe den Europäern vielleicht wenig anders übrig, zumal sie das Zepter bei dieser Frage nicht allein in der Hand halten. Da sind auch die USA.

Eine Möglichkeit ist, dass die USA Institute, die mit Russland groß im Geschäft sind, sanktionieren. Die USA nehmen sich das Recht für solche Maßnahmen, die weit über ihre Landesgrenzen hinaus wirken, öfter heraus. In so einem Fall könnte die RBI gezwungen sein, ihre Russland-Tochter zu verkaufen. Ein unangenehmes Szenario. "Das ist so ähnlich, wenn jemand gezwungen ist, sein Haus in wenigen Stunden zu veräußern", sagt Stefan Selden, Bankenberater von 720° Restructuring & Advisory. Nachsatz: So ein Extremszenario hält er für unwahrscheinlich.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass Russlands Finanzsystem isoliert wird. Auch das ist ein Worst-Case-Szenario. Im Fokus steht dabei die Bankenorganisation Swift mit Sitz in Belgien. Swift ist das bedeutendste Finanznetzwerk, mit dessen Hilfe Banken internationale Geldüberweisungen tätigen können.

In US-Medien wird berichtet, dass in Washington erwogen wird, Russland aus dem Swift-System auszuschließen, sollten seine Truppen in der Ukraine einmarschieren. Iranische Banken wurden im Zuge der Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms aus Swift rausgedrängt. Ein Präzedenzfall existiert. Ohne Swift wären direkte Überweisungen nach Russland kaum möglich und teuer. Für Russland wäre das ein harter Schlag.

Connection drei: die Energie

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Was die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, befand sich die russische Hauptstadt lange Zeit im Grunde genommen ums Eck.
Grafik: Getty; Illustration: Fatih Aydogdu

Während der Westen Russland mit Sanktionen im Finanzsystem hart treffen kann, ist der Energiesektor im Gegenzug die eigene Achillesferse. Auch hier stechen die engen Beziehungen Österreichs mit Russland hervor. Gas ist dabei der wichtigere Stoff. Während die Ölimporte aus Russland über die Jahre stark schwanken und meist zwischen 14 und 2,5 Prozent des Bedarfs lagen, sind die Gasimporte aus Wladimir Putins Reich stabil hoch bei 80 Prozent des heimischen Bedarfs. Manchmal sogar darüber.

Drehscheibe fürs Gas ist die teilstaatliche OMV. Österreich konnte die Gasstation Baumgarten, wo der Rohstoff zufließt, zudem als Brückenkopf für Europa aufbauen. Große Gasleitungen nach Italien und Deutschland wurden in der Folge errichtet. Am Betrieb der Gasleitungen verdiente die OMV stets mit.

Die jährlichen Gaslieferungen nach Österreich sind in den vergangenen 50 Jahren um das 64-Fache gestiegen. Erst 2018, zum 50-Jahr-Jubiläum der Gaskooperation, sind die Lieferverträge bis 2040 verlängert worden. Unterschrieben haben die Vereinbarung der damalige OMV-Chef Rainer Seele und Gazprom-Chef Alexey Miller. Den Rahmen bildete der Staatsbesuch von Putin, der auf Einladung des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) nach Österreich kam.

Auch bei Nord Stream 2 ist die OMV mit dabei, dem umstrittenen Röhrenstrang am Boden der Ostsee, parallel zum bestehenden. Die Investitionskosten für das Anfang September fertiggestellte Projekt belaufen sich auf rund 9,5 Milliarden Euro. Die Hälfte wurde von fünf westlichen Konzernen finanziert, darunter der niederländisch-britischen Shell und der OMV. Letztere hat 729 Millionen Euro gezahlt.

Die fünf Geldgeber werden auch die Abnehmer des Gases sein, sofern es eine Betriebsgenehmigung für die Pipeline gibt. Erst dieser Tage hat die in der Schweiz angesiedelte Nord Stream 2 AG, ein Ableger von Gazprom, ein Tochterunternehmen nach deutschem Recht gegründet. Das ist die Bedingung dafür, um mit dem Zertifizierungsprozess zu beginnen.

Die EU-Kommission müsste diesen Vorgang überprüfen, erst dann könnte die Genehmigung für den Betrieb der Pipeline kommen. Entschieden wird also in Berlin und Brüssel. Wobei die US-Regierung am Freitag allen Beteiligten ausgerichtet hat: Sollte Russland in der Ukraine einmarschieren, bedeute dies das Aus für Nord Stream 2. (András Szigetvari, Renate Graber, Günther Strobl, 29.1.2022)