Fotos: APA/Punz, Reuters/Niesner Faksimiles: DER STANDARD

Was die Öffentlichkeit über Koalitionsabkommen erfährt, ist offenbar nur ein Teil der politischen Absichtserklärungen der Parteien, die sich in einer Regierung zusammenfinden. Freitagabend wurden gleich zwei geheime "Sideletter" zu ÖVP-geführten Regierungen bekannt: einer mit der FPÖ aus dem Jahr 2017, einer mit den Grünen, dem derzeitigen Koalitionspartner.

Zunächst zu türkis-blau: Aus dem fünfseitigen "Sideletter" (einem Zusatzpapier zum Koalitionsvertrag), der dem STANDARD vorliegt und über den auch der ORF und das Profil berichten, geht hervor, wie politische Vereinbarungen und Postenvergaben im Jahr 2017 getroffen wurden – auch Beilagen zu Kammern, dem Budgetvollzug und dem ORF finden sich darin. Unterzeichnet wurde jede Seite von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Das Gerücht, dass es ein derartiges Dokument gegeben haben soll, war schon länger im Umlauf – der Inhalt war bisher unbekannt.

Bekannt wurden sie jetzt, weil sie der Klubdirektor der FPÖ, Norbert Nemeth, im Rahmen einer Zeugenvernehmung vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) am Montag vorgelegt hat.

Weitreichende Vereinbarungen

Das Dokument regelt klar die Postenvergaben in der Republik – von Verfassungsgerichtshof bis hin zu Oesterreichischer Nationalbank. Beim VfGH etwa äußerten Türkis-Blau ihre Wünsche für die Höchstrichter folgendermaßen: "Bis zum 31.12.2019 Brigitte Bierlein (FPÖ), ab 1.1.2020 Christoph Grabenwarter (ÖVP)." Am 23. Februar 2018 wurde Brigitte Bierlein dann erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Als Ibiza die Regierung im Juni 2019 implodieren ließ und Bierlein als Übergangskanzlerin ausrückte, folgte ihr Grabenwarter als Präsident.

Auch für andere frei werdende VfGH-Sitze wurden Namen verankert, selbst wenn der Nationalrat diese nominieren durfte. Wolfgang Brandstetter, zum Zeitpunkt der Verhandlungen ÖVP-Justizminister, wurde im Sideletter schon ein VfGH-Posten zugesichert.

Faksimile des Sideletters zwischen ÖVP und FPÖ.

Generell scheint es, als hätte es keinen Bereich gegeben, wo nicht fleißig aufgeteilt wurde: vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, "Nominierung durch ÖVP") über den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bis zum Europäischen Rechnungshof, bei dem die FPÖ nominieren durfte. Auch das höchste Amt im Staat wurde 2017 bedacht: Für die Bundespräsidentschaftswahl 2022 hätte bis Dezember 2021 eine "Abstimmung zur allfällig gemeinsamen Vorgangsweise" stattfinden sollen.

Gelassen sieht ein Sprecher von Kurz die Enthüllungen: "Es ist bekannt, dass solche Abkommen zwischen Regierungspartnern üblich sind", sagte er dem ORF. Es hätte diese Vereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ genauso wie zwischen ÖVP und den Grünen gegeben.

Auch grün-türkises Dokument

Und dieses Dokument der aktuellen Koalition liegt nun auch vor. Unterzeichnet ist dieses von Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Vorab vereinbart wurden damit schon beim Abschluss der Koalition auch heikle Personalfragen.

So halten die Koalitionäre unter anderem fest, dass die ÖVP den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes nominieren darf, sofern der Job vakant ist. Beim Vizepräsidenten, so das Papier, wären die Grünen dran. Bereits vollzogen ist die im Sideletter beschriebene Aufteilung am Verfassungsgerichtshof: Christoph Grabenwarter ist dort als Präsident vermerkt, das Nominierungsrecht für den Vize-Chef lag bei den Grünen. Auch im Bundesverwaltungsgericht und im Bundesfinanzgericht hat die ÖVP das Vorschlagsrecht.

Festgelegt haben Türkis und Grün auch bereits, dass die ÖVP 2024 den EU-Kommissar auswählen darf, die Grünen dafür bei Rochaden am Europäischen Gerichtshof und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2023 den Vorzug erhalten sollen.

ORF

Ebenfalls schon vereinbart wurde die Führung der Oesterreichischen Nationalbank: Den Präsidenten im Generalrat darf laut dem Papier 2023 die ÖVP nominieren, den Vize wiederum die Grünen. Und selbst die Nominierungsrechte für weitere Mitglieder des Generalrates sind schon zwischen ÖVP und Grünen vergeben. Die zwei im Jahr 2023 zu vergebenden Vorstände der Finanzmarktaufsicht teilen sich Türkis und Grün auf – "vorbehaltlich möglicher Änderungen aufgrund von Reformen".

Faksimile aus dem Sideletter zwischen ÖVP und Grünen.
Faksimilie: DER STANDARD

Ein Verteilungsschlüssel wurde auch für Beteiligungen festgelegt: Der ÖVP steht demnach ein Drittel der Aufsichtsräte bei Infrastrukturbeteiligungen wie den ÖBB oder der Asfinag zu, Grün kommt dafür in anderen Unternehmensbeteiligungen zum Zug.

Grundsätzlich halten beide Parteien fest, "dass alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen". (red, APA, 28.1.2022)