2G-Kontrolle beim Weihnachtsmarkt auf dem Wiener Rathausplatz.

APA/Pfarrhofer

Wien – "Da werden BK Nehammer und Minister Mückstein ganz schön ins Schleudern kommen", schreibt einer in eine Gruppe voller Corona-Skeptikerinnen und Maßnahmengegner. Und weiter: "denn JETZT geht es – endlich – um die Beweisführung seitens der Regierung". Es geht um das Schreiben des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) an das Gesundheitsministerium, das am Wochenende aufgetaucht ist.

Was ist geschehen? Der VfGH hat im Zuge seiner Prüfung der Corona-Maßnahmen Fragen an das Gesundheitsministerium übermittelt. In erster Linie will der Absender, ein Höchstrichter, wissen, wie gerechtfertigt die Verordnungen waren, die etwa Lockdown und 2G-Regel umfassten. Das Interesse gilt dabei vor allem der Belastung des Gesundheitssystems, an die die Maßnahmen gekoppelt waren. Bis zum 18. Februar erbittet man Auskünfte auf insgesamt zehn Fragenkomplexe. Die Impfpflicht betrifft das aber nicht. Beim VfGH sind laut einer Sprecherin derzeit etwas mehr als 100 Verfahren im Zusammenhang mit Covid-19 anhängig, etwa 480 wurden schon erledigt.

Bei allen davon ist das Prozedere folgendes: Jeder Fall, der beim VfGH eingeht, wird vom VfGH-Präsidenten einem der 13 Mitglieder zugewiesen. Die bearbeiten ihn und leiten gegebenenfalls ein Vorverfahren ein, das ist in der aktuellen Causa geschehen und passiert laut VfGH "sehr oft". Dann bittet der Bearbeiter die gegnerische Partei – in dem Fall Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) – um Stellungnahme.

Mehrere Verfahren laufen, Wirbel um Richter schon bei Bestellung

So weit, so normal. Unüblicher ist, dass ein derartiger Vorgang in der Öffentlichkeit landet. Selbst die Antragsteller sehen das so. Im aktuellen Fall ist das die Kanzlei Stix, namentlich etwa deren Mitgesellschafterin Ulrike Reisner. Dass dieses Dokument "viral gegangen ist", sei von der Kanzlei "nicht autorisiert" gewesen, sagt sie und betont, dass es um Formalitäten gehe.

Reisner und der Anwalt Lothar Stix sind bei den "Anwälten für Aufklärung" aktiv, einer Organisation, die in der Vergangenheit von Corona-Regelungen auch schon als "Gesundheitsdiktatur" gesprochen hat. Die Kanzlei hat laut Reisner drei Individualanträge eingebracht, in allen gehe es um Corona-Verordnungen. Und schon im Zuge zweier Verfahren sei ebenjener Fragenkatalog verschickt worden – beide Male von Verfassungsrichter Andreas Hauer.

Auch das ist ein Grund, warum das Papier in den sozialen Netzwerken polarisiert. Hauer kommt nämlich auch in einer anderen aktuellen Causa am Rande vor: Er taucht im Sideletter der ÖVP-FPÖ-Regierung als FPÖ-Personalwunsch auf. Seine Bestellung zum Richter sorgte schon 2018 für Wirbel, weil er schlagender Burschenschafter ist, den ORF als "umstrittenen Staatssender" und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als "mitverantwortlich für die multikriminelle Gesellschaft" bezeichnet hatte. Im VfGH betont man unabhängig davon stets: Nach ihrem Amtsantritt agieren die Mitglieder unabhängig und nicht entlang parteipolitischer Zuordnungen. Hauer selbst will sich zu laufenden Verfahren nicht äußern.

Fragen zur Zählweise

Ihn interessiert jedenfalls, ob jemals eine Überlastung des Gesundheitssystems gedroht habe – ein Szenario, das laut Gesetz erst einen Lockdown rechtfertigt. Seine entsprechende Frage lautet: "Der Verfassungsgerichtshof ersucht daher um Auskunft, ob die in den Verordnungsakten angegebenen Hospitalisierungs- bzw. Verstorbenenzahlen alle mit Sars-CoV-2 infizierten Personen, die in Spitälern auf Normal- oder Intensivstationen untergebracht sind bzw. die 'an oder mit' Sars-CoV-2 verstorben sind, umfassen. Wenn ja, warum wird diese Zählweise gewählt?"

In dieser Tonart geht es weiter. So werden genaue Daten zu Verstorbenen – ob "an" oder "mit" Covid – sowie zu Hospitalisierungen und zum Alter der Betroffenen eingefordert. Außerdem will der VfGH wissen, welche Virusvarianten am 1. Jänner 2022, am 25. Jänner und tagesaktuell zu welchen Prozentsätzen bei Infizierten, Hospitalisierten und Verstorbenen vertreten waren. Und auch eine "prozentuelle Zuordnung von stattfindenden Infektionen auf Lebensbereiche", also etwa Familie, Arbeit, Einkauf und Freizeitbeschäftigungen, wird vom Ministerium erbeten.

Tatsachen werden auch zu den diversen verordneten Schutzmaßnahmen eingefordert. So lautet eine weitere Frage: "Um welchen Faktor reduziert das Tragen einer FFP2-Maske in geschlossenen Räumen bzw. im Freien das Ansteckungs- bzw. Übertragungsrisiko?" Und: "Um welchen Faktor verringert die Covid-Schutzimpfung das Risiko schwerer Verläufe?" Auch weitere Fragen zur Wirksamkeit der Impfung folgen, aber auch zu den unterschiedlichen Tests. Die letzten Fragen beziehen sich auf den Lockdown für Ungeimpfte und die Frage, inwieweit dieser Auswirkungen auf die Hospitalisierungen bzw. das Hospitalisierungsrisiko hat. Nur zwei Tage nach der Übermittlung der Fragen wurde diese Maßnahme von der Regierung aufgehoben.

Hauer wird in dem aktuellen Verfahren nun einen Entscheidungsvorschlag erarbeiten, auch das ist ein üblicher Vorgang. Darüber, ob er angenommen wird, werden im Endeffekt aber alle 13 Richter und Richterinnen des VfGH entscheiden. (red, APA, 31.1.2022)