Nur Ausbildungen auf Wunsch des Mitarbeiters sind keine Arbeit.

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Die jüngste Judikatur macht es Arbeitgebern alles andere als leicht, die Fortbildungen ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu fördern. Während der Oberste Gerichtshof nicht ohne weiteres zulässt, dass Arbeitnehmerinnen und -nehmer für einen Teil der Ausbildung Urlaub nehmen, und Zahnärzten erst kürzlich den (vereinbarten!) Rückersatz bestimmter Ausbildungskosten verwehrte (OGH 2. 9. 2021, 9 Ob 66/21b), qualifiziert nun der Europäische Gerichtshof bestimmte Ausbildungszeiten als vollwertige Arbeitszeit (EuGH 28. 10. 2021, C-909/19).

Konkret urteilte der EuGH, dass die Zeit, in der ein Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, "Arbeitszeit" ist – auch wenn er sich dabei außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsorts befindet und auch nicht seinen gewöhnlichen Aufgaben nachgeht.

Das kann in der Praxis bedeuten, dass die an einem Wochenende absolvierten Ausbildungsstunden zu der davor erfüllten Wochenarbeitszeit hinzukommen und somit sogar Überstunden sind. Unter Umständen können dadurch auch die wöchentlichen Höchstarbeitszeitgrenzen verletzt und die wöchentliche Ruhezeit gestört worden sein.

Pflichterfüllung

Das klingt nach einem harten Ergebnis, ist aber bei näherer Betrachtung nicht erstaunlich: Ordnet ein Arbeitgeber etwas an, und sei es eine Ausbildung, kann die Pflichterfüllung wohl kaum als Freizeit gelten. Umgekehrt bleibt es weiterhin zulässig, einem Arbeitnehmer die nur von ihm gewünschte Ausbildung zu ermöglichen, ja sogar zu bezahlen – und dennoch bleibt seine dafür aufgewandte Zeit: Freizeit.

Unerfreulich ist an der Entscheidung, dass sie den wunden Punkt des österreichischen Mittelwegs trifft. Der EuGH kennt nur Arbeitszeit und Ruhezeit, sonst nichts. Die Praxis aber lebt faire Abmachungen, indem bei beidseitig erwünschten Ausbildungen oft halbe-halbe gemacht wird: "Wir zahlen die Ausbildung, du machst sie in deiner Freizeit." Für derartige Kompromisswege bleibt kein rechtssicherer Raum. Der Arbeitgeber müsste Beweise dafür sichern, dass er die Ausbildung nicht, auch nicht indirekt, angeordnet hat.

Absurde Ergebnisse

Wer für Ausbildungen keine zusätzlichen Arbeitsstunden akzeptieren will, sollte sie somit möglichst nicht anordnen und auch in Arbeitsverträgen keine Fortbildungsverpflichtung mehr vorsehen.

Freilich führt das zu absurden Ergebnissen: Wo Kurse nötig sind, um die Berufsberechtigung aufrechtzuhalten, etwa in freien Berufen oder der Sozialwirtschaft, werden damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihre Eigenverantwortung zurückgeworfen: Entweder sie sorgen rechtzeitig und ohne Anordnung des Arbeitgebers für die vom Staat vorgeschriebenen Fortbildungsnachweise – oder der Job ist weg, weil nicht mehr erlaubt.

Rückzahlungspflicht

Indem der EuGH angeordnete Ausbildungszeiten der Arbeitszeit zuordnet, wird auch die bisherige Judikatur zur Rückzahlung des Entgelts, das während der Ausbildung fortbezahlt wurde, angepasst werden müssen. Der OGH (RS0126389) bejaht die Rückzahlungspflicht bei entsprechender Vereinbarung, selbst wenn die Ausbildung angeordnet war, vorausgesetzt der Arbeitnehmer war dafür – wie in der Regel – von seinem Dienst freigestellt.

Betrachtet man die Vielzahl an Fällen, die die Gerichte im Zusammenhang mit Ausbildungspflichten, -kosten und -zeiten wegen meist sehr niedriger Streitwerte schon bis jetzt beschäftigt haben, und die zunehmende Bedeutung, die Wissen in unserer Gesellschaft hat, ist die aktuelle gesetzliche Regelung unzureichend.

Wenn Unternehmen motiviert werden sollen, Fortbildungen ihres Personals weiterhin zu unterstützen, geht kein Weg an neuen, umfassenden und klaren Regeln, möglichst gepaart mit Förderungen, vorbei. (Kristina Silberbauer, 31.1.2022)