Die Tische in der Gastronomie können wieder hergeräumt werden, auch Ungeimpfte dürfen bald wieder ins Wirtshaus – und das deutlich länger. Die Sperrstunde wird verschoben.

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Wien – Der Westen jubiliert. Tagelang haben die Landeshauptleute der an Skigebieten reichen Bundesländer auf die Regierung eingeredet, zum Auftakt der für den Tourismus so wichtigen Semesterferienwochen die Corona-Regeln zu lockern. Doch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) schien sich nicht erweichen zu lassen – bis die Regierung am Samstag kurzfristig eine Pressekonferenz ansetzte.

Nun soll recht kurzfristig doch gelockert werden. Als Erstes verschiebt die Regierung die von Wirten beklagte Sperrstunde: Pünktlich mit dem Anreisetag der Wiener Skiurlauber am 5. Februar darf in der Gastronomie bis Mitternacht statt nur bis 22 Uhr konsumiert werden.

Plötzliche Wende bei der Sperrstunde

Am Freitag hat Mückstein die vorgezogene Sperrstunde noch als "sehr wirkungsvolle Maßnahme" verteidigt, die eine Kontaktreduktion von zehn bis 15 Prozent bringe. Er stehe für eine "sichere Variante", argumentierte der Minister im ORF-Interview und strich den Unterschied zu Ländern heraus, die derzeit Öffnungsschritte vornehmen: Diese seien zwei, drei Wochen voraus, stünden bereits am Höhepunkt der Omikron-Welle und könnten deshalb vorausblicken. Österreich hingegen erwarte den Peak erst um den 7. bis 9. Februar herum. Wenn die Prognosen auch danach gut seien, könne weiter gelockert werden.

Trotzdem legte sich die Koalition aus ÖVP und Grünen einen Tag später auf einen Zeitplan für eine sukzessive Normalisierung im Laufe des Februars fest. Haben sich Kanzler Karl Nehammer und Minister Mückstein von der Wirtschaftslobby in eine Hals-über-Kopf-Entscheidung ohne sachliche Evidenz treiben lassen?

Gecko für "kleinere Öffnungsschritte"

Die Regierung beruft sich sehr wohl auf eine Expertise. Am Freitag erarbeitete die staatliche Krisenkommission Gecko eine neue Lageeinschätzung. Obwohl die Infektionsrate noch ein paar Tage anschwellen dürfte, sei eine Überlastung der Spitäler zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Das gelte "voraussichtlich" auch dann, wenn nach dem Peak – die Rede ist hier von der ersten Februarwoche – Öffnungsschritte erfolgten.

Die Conclusio lässt Interpretationsspielraum offen: Eine "umfangreiche Beendigung" von Maßnahmen würde zum erheblichen Anstieg der Infektionen führen. Doch "kleinere Öffnungsschritte" wie die Verschiebung der Sperrstunde könnten in nächster Zeit "geplant" werden – abhängig von der Dynamik des Infektionsgeschehens.

Expertenmeinungen gehen auseinander

Gecko erstellt Berichte nicht im kleinen Kreis, sondern zieht zu den einzelnen Fragen Arbeitsgemeinschaften hinzu. Jene, die unter der zitierten Einschätzung angeführt wird, besteht aus namhaften Fachleuten wie Niki Popper, Eva Schernhammer oder Herwig Kollaritsch.

Ja, die vorsichtige Empfehlung für kleine Öffnungsschritte sei mit der Expertengruppe akkordiert, bestätigt Kollaritsch, der resultierende Stufenplan aber Entscheidung der Politik. Die Verschiebung der Sperrstunde hält der Infektiologe jedenfalls für vertretbar, beim danach geplanten Aus für die 2G-Regel ist er sich nicht so sicher. Wenn sich nichts Dramatisches ändere, könnte dies gutgehen – "aber garantieren kann ich dafür nicht".

West-Ost und Rot-Schwarz als Trennlinien

Nicht in die Gecko-Beratungen involviert war Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems. "Die Semesterferien hatten Vorrang vor epidemiologischer Vorsicht", urteilt der Experte. Die Öffnungen vor der Trendwende bei den Infektionszahlen würden zu einer höheren Omikron-Welle führen. Die Regierung gehe das Risiko ein, dass mehr Patienten im Verein mit durch Corona außer Gefecht gesetztem Personal doch noch zu "Versorgungsengpässen" in den Spitälern führen könnten.

Verständnis fehlt zum Teil auch in SPÖ-regierten Ländern. Wien will noch beraten und abwarten. Der politisch schwarze Westen würde hingegen gerne noch weiter vorpreschen. Tirols Landeshauptmann Günther Platter nennt es "unverständlich", dass die Geltungsdauer des grünen Passes ohne Übergangsfrist verkürzt wird – der zweite Stich darf nun maximal sechs statt neun Monate zurückliegen. Die Befürchtung: Urlauber, etwa auch aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien, drohen plötzlich vom Skiurlaubsvergnügen ausgesperrt zu sein. (Gerald John, Steffen Arora, 30.1.2022)