Karl Gabl ist der Vertrauensmeteorologe einiger der besten Alpinisten der Welt.

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Der K2 hat nicht nur im Winter seine Tücken.

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Karl Gabl ist ein Bergwetter-Flüsterer. Kaum jemand kennt die meteorologischen Eigenheiten der höchsten Berge so gut, der Tiroler ist der Vertrauensmann zahlreicher Höhenbergsteiger. Anhand seiner Prognosen entscheiden beispielsweise Simone Moro oder Tamara Lunger über Auf- und Abstieg. Gabl verfolgte auch die Winter-Erstbesteigung des K2 (Link zum Feature). Hinweis zur Transparenz: Das Interview wurde bereits kurz nach der Erstbesteigung im vergangenen Winter geführt.

STANDARD: Wie muss man sich den K2 im Winter wettertechnisch vorstellen?

Karl Gabl: Die Bedingungen variieren natürlich so wie bei uns von Tag zu Tag, aber bei der Erstbegehung durch die nepalesische Gruppe hatte es zum Beispiel am Gipfel minus 36 Grad. Dazu 50 bis 60 km/h Wind, da sind wir bei einer gefühlten Temperatur von minus 60 Grad. Während der Zeit der Expedition legt sich immer wieder mal der Jetstream über dieses Massiv, aber dazu gibt es ja die meteorologischen Modelle, dass man da nicht in größerer Höhe ist. Die höchste Windgeschwindigkeit, die ich in der Zeit, wo die ganze Gruppe unten war, gesehen habe, waren im Gipfelbereich 220 km/h.

STANDARD: Das ist dann, wenn der Jetstream gerade zu Besuch ist?

Gabl: Ja, das ist ein Starkwindband. Es gibt da zwei, die sich um die ganze Erde herumbewegen, und da geht es zur Sache. Über die Tragödie von Gerfried Göschl, Nisar Hussain und Cedric Hählen am Hidden Peak im Karakorum gibt es einen tollen Film, der den Sturm im Basislager zeigt: Zwei Tage lang hatten die mittlere Windgeschwindigkeiten von 100 bis 120 km/h, zu dieser Zeit waren am Gipfel oben ungefähr 260 km/h.

STANDARD: Das ist viel.

Gabl: Ich glaube, jeder kann sich vorstellen, was 260 km/h heißt. Da spielt die Temperatur keine Rolle, das ist einfach nicht denkbar.

STANDARD: Kann man verlässlich vorhersehen, wann der Jetstream so anzieht?

Gabl: Das ist keine Prognose, die für die nächsten Stunden gilt, sondern eine, wo Sie drei oder vier Tage vorhersagen. Für Gerlinde Kaltenbrunner habe ich einmal untersucht, ob man im Winter auf den Everest gehen könnte. Die meteorologischen Daten haben gezeigt: Man hat kaum einmal drei Tage hintereinander, an denen nicht Sturm herrscht, also mittlere Windgeschwindigkeiten ab 70 bis 80 km/h und Höhen über 100 bis 120. Darum muss man geduldig sein, bis sich einmal zwei, drei Tage bieten. 100 bis 200 km/h sind im Winter auf dem Berg an der Tagesordnung.

STANDARD: Wäre es denkbar, dass es einfach eine ganze Wintersaison ohne Fenster gibt, in dem der Wind schwach genug ist?

Gabl: Ja, die gibt es auch. Das ist das Geheimnis des Winterbergsteigens, dass die Leute im Kopf gut sein müssen. Die drei auf dem K2 Verschollenen (Ali Sadpara, John Snorri und J. P. Mohr, Anm.) waren meines Erachtens zu draufgängerisch unterwegs. Die Nepalesen hatten ein fantastisches Team, außer dem großen Star haben alle Sauerstoff verwendet – das ist im Winterbergsteigen meines Erachtens eine sehr kluge und weise Entscheidung, wenn es noch höher hinauf geht als auf durchschnittliche Achttausender. Manche wie der Makalu gehen ja nur bis etwa 8.400 Meter und bieten nicht diese extreme Schwierigkeit wie der K2. Durch die große Kälte muss der Körper ja durchblutet werden, und je kälter es ist, desto mehr muss diese Durchblutung funktionieren. Der K2 ist eigentlich der kälteste Berg, denn im Durchschnitt ist es im Himalaja in Nepal im Winter vier bis fünf Grad wärmer als im Karakorum.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass auf dem Gipfel des K2 weniger Sauerstoff als auf dem Everest ist. Warum?

Gabl: Das ist einfach zu verstehen. Wenn Sie den 6.100 Meter hohen Denali in Alaska mit dem knapp 6.000 Meter hohen Kilimandscharo vergleichen: Die Atmosphäre am Kilimandscharo in den tropischen Breiten ist generell viel wärmer als in den nördlichen Breiten. Wenn Sie sich jetzt die Luftmoleküle vorstellen, die da über dem Kilimandscharo und über dem Denali lagern, dann sind die in der Kaltluft enger, dichter beisammen. In der Warmluft sind sie weiter auseinander. Wenn Sie nun den warmen Berg hinaufsteigen, dann überwinden Sie mit der Höhe weniger schnell einen Druckunterschied. Es gibt zum Beispiel für die Flugmeteorologie Höhenkarten: Da gibt es eine Karte für die 300-Hektopascal-Fläche, das ist ungefähr eine Höhe von 9.000 Metern. Und diese Höhenkarte gibt an, wie hoch diese potenziellen Meter über Grund, diese 300 Hektopascal, gemessen werden. Das heißt, am Denali erreichen Sie viel früher die 500-Hektopascal-Fläche, weil es kälter ist. Und dadurch ist der Sauerstoff-Partialdruck am Denali niedriger als in der Tropik. Ich habe das einmal für den Ralf Dujmovits berechnet: Das sind ungefähr 700 Meter Unterschied zwischen Kilimandscharo und Denali. Der Denali wäre in der Tropik vom Luftdruck gesehen ein Siebentausender.

(Während des Interviews wird Gabl von Simone Moro angerufen, der zu diesem Zeitpunkt gerade am Manaslu ist. Bei der Wiederaufnahme des Gesprächs spricht Gabl kurz darüber, wie sehr er diesen Berg wegen seiner Lawinengefahr fürchtet. Ein Zitat muss man auch ohne Kontext herausheben: "Das ist ja die größte Gefahr beim Höhenbergsteigen, dass die Psyche stärker ist als die Physis.")

STANDARD: Der K2 ist ein so schwieriger Berg, dass auch etwas passieren kann, wenn man alles richtig macht?

Gabl: Ja. Wenn man den Berg anschaut, ist das eine einzige Steilflanke. Ich bin zwar auch ein Mini-Höhenbergsteiger gewesen, aber ich habe diese Berge immer gefürchtet und bin da eigentlich kaum gegangen, wo ungegliederte, lange Hänge waren. (Martin Schauhuber, 31.1.2022)