Katalin Karikó, die "Mutter der mRNA-Impfung", wurde in Budapest von der Künstlergruppe The Colorful City mit einem Wandporträt geehrt und verewigt.

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Mit ihrer jahrzehntelangen Forschung hat die ungarischstämmige US-Biochemikerin Katalin Karikó wesentlich zur Entwicklung mRNA-basierter Covid-19-Impfstoffe beigetragen und damit das Leben von Milliarden von Menschen erleichtert. Dabei habe sie ursprünglich gar nicht das Ziel gehabt, einen Impfstoff zu entwickeln, sondern Krebstherapien, sagte Karikó im Gespräch. Angst vor Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen der mRNA-Impfstoffe hält sie für völlig unbegründet.

Im Vergleich geringe Nebenwirkungen

Die 67-jährige Forscherin wird oft als "Mutter der mRNA-Impfstoffe" bezeichnet. Tatsächlich hätten aber sehr viele Wissenschafter über Jahrzehnte an den Grundlagen geforscht, betonte Karikó. "Auch jetzt arbeiten viele meiner Kollegen sehr hart daran, den Impfstoff rasch verfügbar zu machen." Die Impfung sei sehr sicher und wirksam, auch wenn es Nebenwirkungen gebe. "Es gibt keine Medizin ohne Nebenwirkungen. Aber sie sind sehr gering, auch im Vergleich zu anderen Impfungen."

Die Angst mancher Impfgegner, dass die mRNA-Impfung ihr Erbgut verändern könnte, entbehre jeglicher Grundlage, erklärte die Wissenschafterin. "Damit RNA in DNA eingebaut werden kann, braucht man spezielle Enzyme, die nicht vorhanden sind. Ich bin absolut sicher, dass das nicht möglich ist, dafür gibt es keinen Mechanismus." mRNA sei außerdem sehr instabil und werde vom Körper rasch ausgeschieden.

Auch das Argument, dass die Covid-Impfstoffe sehr rasch entwickelt worden seien und es zu wenig Erfahrung damit gebe, lässt Karikó nicht gelten. Schon während ihres Biologiestudiums in Ungarn in den 1970er-Jahren arbeitete sie an der Synthetisierung von RNA. 1985 wanderte sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in die USA aus und begann ab 1989 an der Medizinischen Fakultät der University of Pennsylvania an der Entwicklung von Medikamenten auf mRNA-Basis zu arbeiten. mRNA-Studien mit Menschen habe es schon vor Jahrzehnten gegeben.

Fehlende Finanzierung für RNA-Forschung

An der Entwicklung von Impfstoffen sei sie damals noch gar nicht interessiert gewesen, erklärte Karikó. "Mein Kollege Drew Weissman (der an der University of Pennsylvania mit ihr zur Nukleosid-modifizierten mRNA geforscht hat, Anm.) wollte immer einen Impfstoff entwickeln, ich nicht." Weissman habe erkannt, dass mRNA-Moleküle von der menschlichen Immunabwehr angegriffen wurden und zu Entzündungen führten. Später gelang es ihr, RNA-Moleküle so zu verändern, dass sie nicht mehr von der Immunabwehr zerstört werden, was den Weg für den therapeutischen Einsatz ebnete.

Zunächst konnte sie aber keine Finanzierung für ihre Forschungsarbeit bekommen. 2006 gründete sie mit Weissmann eine Firma, es kam aber nie zur Entwicklung von Medikamenten, weil Karikó und Weissmann von ihrer Universität das Patent für ihre Technologie nicht bekamen. Um ihre Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen, kam Karikó 2013 nach Deutschland zu Biontech, dem damals noch wenig bekannten Biotechnologieunternehmen mit Sitz in Mainz.

Ob man sich mit dem Impfstoff von Biontech, Moderna oder anderen Herstellern impfen lässt, macht laut Karikó keinen wesentlichen Unterschied, sie seien sehr ähnlich. Es habe sich auch gezeigt, dass die derzeit verwendeten Impfstoffe auch gegen die Omikron-Variante des Coronavirus wirksam seien. Für die Anpassung der Impfstoffe an neue Virusvarianten brauche man etwa 100 Tage.

Mit der Freigabe von Impfstoffpatenten und -lizenzen, um mehr Menschen in ärmeren Ländern impfen zu können, könnte sich Karikó anfreunden, aber damit wäre noch nicht viel erreicht, meinte sie. Es genüge nicht, das Rezept zu besitzen, man brauche für die Herstellung der Impfstoffe auch ausgebildetes Personal und entsprechende Qualitätskontrolle.

Erste Erfolge in der Bekämpfung von Krebs

Unterdessen wird weiter daran gearbeitet, die mRNA-Technologie zur Behandlungen von Krebs und anderen Erkrankungen einzusetzen. So sei es bereits gelungen, Melanom-Metastasen erfolgreich zu bekämpfen.

Geld sei für sie nie eine Motivation gewesen, betonte Karikó. Es sei ihr immer um den Erkenntnisgewinn gegangen. "Mir bereitet die Arbeit Freude, ich genieße es, im Labor zu sein." Als sie in die USA ausgewandert sei, habe sie zunächst an der Temple University in Philadelphia 17.000 Dollar (aktuell 15.263 Euro) im Jahr verdient. Davon habe sie mit ihrer Tochter, ihrem Mann und ihrer Mutter gelebt. "Unser Lebensstandard war niedriger als vorher in Ungarn, denn in Ungarn hatten wir eine Waschmaschine." Ab 1989 arbeitete Karikó an der University of Pennsylvania, wo sie dann 40.000 Dollar im Jahr verdiente. In dem Haus, das sie damals gekauft habe, lebe sie noch heute.

Karikós Einstellung zur Arbeit hat auch auf ihre Tochter Zsuzsanna (Susan) Francia abgefärbt. "Harte Arbeit macht Spaß", sagt die zweifache Olympiasiegerin und fünffache Weltmeisterin im Rudern. Ihr Sport habe eine gewisse Ähnlichkeit mit der Wissenschaft. "Wir rudern aus Leibeskräften und fahren rückwärts, ohne die Ziellinie sehen zu können." In der Forschung sei der Ausgang noch ungewisser, sagte Karikó. "Wir wissen nicht einmal, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen."

Für die verbreitete Wissenschaftsskepsis macht Karikó die Wissenschafter selbst und auch die Medien verantwortlich, weil sie den Menschen die Arbeit der Forscher zu wenig erklären würden. "Wenn man Menschen auf der Straße fragen würde, welche Wissenschafter sie kennen, würden sie Einstein nennen, aber sie könnten keinen lebenden nennen. Aber sie kennen alle Kardashians, die überhaupt nichts gemacht haben." (APA, kru, 31.1.2022)