Grimmige Drachen, goldene Säulen, rote Lampions und glänzend lackierte Paravents – die heimischen China-Restaurants aus den 1970er-Jahren wirken wie eine wenig authentische, europäisierte Version des Originals. Umso überraschender ist die Erkenntnis beim ersten Besuch in Peking, dass die Restaurants tatsächlich so aussehen, wie man das von zu Hause gewohnt ist.

Weniger vertraut sind allerdings die Qualität des Gebotenen und das allgemein sehr hohe Niveau der Pekinger Küche und Gastronomie, deren berühmtestes Aushängeschild, ganz ohne Zweifel, die Pekingente ist – eines der ältesten, raffiniertesten, aufwendigsten und spektakulärsten Gerichte der Welt.

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Eine Fahrradpumpe, heißes Wasser, und schwungvolle Bewegungen in den Flammen des Ofens sollen die Haut der Pekingente knusprig machen.
Foto: Getty Images

Entstanden ist der Entenbraten offenbar bereits im Mittelalter (einige Quellen sagen noch früher), in Zeiten der Ming-Dynastie, auch bekannt für die nach ihr benannte blau-weiße Vase. Seinen wahren Durchbruch erzielte das Gericht aber erst unter den Qing-Kaisern, die vom 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert regierten. Unter ihnen wurde es weiterentwickelt und gewisserweise in den Adelsstand erhoben, indem man es zum fixen Bestandteil offizieller Banketts machte.

In die Zeit der Qings fällt auch die Gründung des Restaurants Quanjude, dem nach eigenen Angaben ersten seiner Art, im Jahr 1864. Andere wiederum behaupten, dass dieser Titel dem Bianyifang gebührt, das bereits 1855 beziehungsweise überhaupt schon im 15. Jahrhundert eröffnete. Wie dem auch sei: Sowohl Quanjude als auch Bianyifang bestehen nicht nur bis zum heutigen Tag, sondern betreiben inzwischen etliche Filialen auf der ganzen Welt. Und ehrwürdig sind sie selbstverständlich alle beide.

Gut vorbereitet

Obgleich das Gericht derart traditionsbeladen ist, wurde es offenbar nie wirklich kodifiziert. Was bedeutet, dass man es in unterschiedlichen Lokalen in verschieden Formen zubereitet und serviert. Ein paar Konstanten gibt es dennoch, die sich von der Aufzucht der Tiere bis hin zum Service bei Tisch ziehen.

So handelt es sich in der Regel um Enten einer Rasse, die bequemerweise denselben Namen trägt wie das Gericht. Soweit es die Situation mit der Geflügelpest zulässt, werden diese "Pekingenten" im Freien gehalten und erst am Ende ihres Lebens in Käfigen gemästet, um schön viel Fett und eine dünne Haut anzusetzen. Geschlachtet werden sie mit einem Gewicht von circa drei Kilogramm.

Von wegen "Zu viele Köche verderben den Brei": Im Restaurant Da Dong Roast Duck kümmert sich eine ganze Kochbrigade um die Pekingenten.
Foto: Georges Desrues

Danach – und das ist ein ganz wesentlicher Prozess – wird am Hals ein kleiner Schnitt getätigt, durch den man, wie bei einem Ballon und häufig mit einer Art Fahrradpumpe, Luft unter die Haut bläst. Dadurch soll diese sich vom Fleisch lösen, zuerst weicher und beim Braten knusprig werden. Denn in erster Linie geht es, und das ist spätestens jetzt klar, um die Haut.

Generationen an Köchen haben studiert, geforscht, herumexperimentiert, um sie knuspriger und zugleich schmelzender zu machen. Angeblich aßen die imperialen Hoheiten früherer Zeiten überhaupt nur die Haut und überließen den Rest des Vogels dem Gesinde.

Brennholz von Obstbäumen

Ist das Tier gerupft, wird es mit kochendem Wasser übergossen beziehungsweise darin eingetaucht und an einem Haken zum Trocknen aufgehängt, was die Haut spannen soll. Während die Ente am Haken trocknet, wird sie – wiederum, um eine glänzende, süßliche und knusprige Haut zu erlangen – mit einer sirupartigen Marinade bepinselt, bestehend aus Honig, Gewürzen und, je nach Koch und Restaurant, etlichen Geheimnissen. So hängt sie dann bis zu 24 Stunden an ihrem Hals, bevor sie im Ofen gebraten wird.

Weitgehend einig ist man sich, dass das Brennholz von Obstbäumen stammen muss. Beim Ofen indessen scheiden sich die Geister. Unter den großen Restaurants ist das Bianyifang eines der wenigen, wo in einem geschlossenen Ofen über Glut gebraten wird, wie es ursprünglich üblich war und wodurch die Haut knuspriger und das Fleisch zarter werden soll.

Die meisten anderen benutzen einen offenen Ofen, füllen die Ente mit kochendem Wasser und braten hängend über Holzfeuer, was dazu gedacht ist, richtig: die Haut knuspriger und das Fleisch zarter zu machen. Und so bedarf es auch keiner weiteren Erklärung dafür, wozu in der Restaurantkette namens Hutong mit ihren Ablegern in Hongkong, Dubai, London und New York die Ente obendrein auch noch bei Tisch flambiert wird.

Das ultimative Spektakel

In den Restaurants der viel jüngeren Kette Da Dong Roast Duck indessen wird hängend in einer Art Pizzaofen gebraten. Besser gesagt in gleich einem halben Dutzend solcher Öfen, die in der Mitte des Gastsaales stehen. An ihnen werkt akribisch eine Brigade Köche in blütenweißen Kochgewändern mit hohen Kochmützen und langen Stangen.

Entenzubereitung im Da Dong Roast Duck.
Foto: Georges Desrues

Mit diesen bewegen sie die Enten ständig innerhalb des Ofens von einem Haken an einen anderen. Ranghöhere Köche nehmen ihnen die Stangen von Zeit zu Zeit aus der Hand und schwingen die Enten damit in den Flammen hin und her, fast so als wären sie Laternen. (Natürlich soll auch das der Haut guttun.) Nach circa 40 Minuten ist die Ente fertig, das Fleisch gar, die Haut knusprig.

Danach muss der Braten noch etwas ruhen, dann ist es Zeit, zu Tisch zu gehen. Dorthin wird auf einem Servierwagen die Ente von einem Koch, einem Kellner oder in manchen Fällen gleich von beiden chauffiert. Nun kann das ultimative Spektakel beginnen – das Tranchieren der Ente. Damit auch ja niemand im Speisesaal etwas davon verpasst, schlägt man im Pekinger Restaurant Duck de Chine (eröffnet 1949) in diesem Augenblick jedes Mal einen Gong.

Wie eine Flasche teuren Wein beziehungsweise eine zerbrechliche Chinalack-Vase wird die glänzende Ente dem Gast präsentiert. Und danach mit einem Messer, das die Form einer kurzen Machete hat, in Windeseile in etliche Teile filetiert. Ein fingerfertiger Koch, und in der Regel darf nur ein solcher überhaupt ran, schafft es, bis zu hundert Teile aus dem Geflügel zu schnitzen.

Richtig gerollt

Gereicht werden zudem kleine Schüsseln mit jeweils feingeschnittenen Frühlingszwiebeln, einer dicklich-süßen Sojabohnensauce (meistens Hoisin-Sauce) und einer Art kleine Palatschinken (in einigen Fällen auch noch weitere Zutaten). Eine Palatschinke wird mit der Sauce bestrichen, mit ein, zwei Fleischstücken und ein paar Streifen Zwiebeln belegt und eingerollt.

Essen darf man die Röllchen durchaus mit der Hand, Stäbchen sind hier ausnahmsweise nicht Pflicht. Die Haut knuspert, das Fleisch ist zart, sein Fett schmilzt auf der Zunge. Frische und Schärfe der Zwiebel halten die Süße der Sauce im Zaum, der Teig der Palatschinke federt das Ganze ab. In jedem Fall sollte man nach dem ersten Röllchen kurz innehalten und die Explosion an Aromen und Konsistenzen im Mund wirken lassen, bevor man weitere Stücke einrollt.

In einigen der Pekinger Restaurants wird währenddessen die Karkasse des Geflügels ausgekocht und in Form einer Suppe als zweiter Gang serviert. In manchen gibt’s dazu auch noch die Flossen, die Zunge, den Magen etc.

In jedem Fall ist die Pekingente ein Gericht, dessen Zubereitung man den Profis im Restaurant überlässt. Und das im Übrigen nichts zu tun hat mit dem, was man aus heimischen China-Lokalen als "knusprige Ente" kennt. Die hat zwar oft auch eine knusprige Haut, wird aber, gänzlich aufwandfrei und unspektakulär, in heißem Öl frittiert. (Georges Desrues, RONDO, 4.2.2022)